EZB-Chefvolkswirt Stark tritt zurück:Wenn der letzte Falke geht

"Wir sind hier nicht auf dem Basar": Jürgen Stark ist ein scharfer Analytiker, der sich stets gegen die Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik gesträubt hat. Mit seinem Abgang verliert die Europäische Zentralbank einen Verteidiger der Stabilität.

Helga Einecke, Frankfurt

Der Rücktritt von Jürgen Stark zeigt, wie sehr die Meinungen über den richtigen Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) selbst in deren Führung auseinandergehen. Nach außen demonstriert EZB-Präsident Jean-Claude Trichet Geschlossenheit. Selbst der deutsche EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark übte stets Loyalität - bis zur Selbstverleugnung. Er war von Anfang an gegen die Käufe von Staatsanleihen, die im Mai in der Krise um Griechenland begannen. Aber öffentlich kam ihm kein Wort der Kritik über die Lippen.

Nur im kleinen Kreis beklagte er sich über den falschen Kurs, den die EZB seit dem Ausufern der Krise eingeschlagen hat. Ihm ging die Politik der Notenbank immer mehr gegen den Strich. Er gilt als scharfer Analytiker, der die ökonomischen Zusammenhänge kurz und bündig erklären kann. Aber seine Linie als Stabilitätspolitiker erlaubt keine Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik. Die EZB hat nach Auffassung von Stark nur das Mandat die Preise und die Währung stabil zu halten.

Es passt nicht in sein Weltbild, wenn eine Notenbank Staatsanleihen vom Markt aufkauft und damit über einen Umweg die Regierungen ermuntert, mit den Schulden so weiterzumachen wie bisher. In seinem letzten Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte er, es gebe eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen den Regierungen und der Zentralbank.

"Wir sind hier nicht auf dem Basar nach dem Motto: Politiker fordern, und die EZB handelt.", sagte er wörtlich. Damals vertrat er auch die Position, mit der Trichet stets die Käufe von Staatsanleihen verteidigt. Die EZB-Übernahme von Anleihen aus Griechenland, Portugal oder Irland dienten der Umsetzung der Geldpolitik, keineswegs aber dazu, den Staaten ihre Schulden zu erleichtern oder günstigere Zinsen für Staaten durchzusetzen. Konsens war zunächst, dass die Käufe eine vorübergehende Angelegenheit wären. Weil sie aber nun verstärkt und unvermindert fortgesetzt werden, scheint Stark der Geduldsfaden gerissen.

Konservative Geldpolitiker auf dem Rückzug

Mit Stark verschwindet einer der letzten Falken aus dem EZB-Rat. Die Geldpolitiker werden von den EZB-Beobachtern in Falken und Tauben eingeteilt. Die Falken vertreten eine harte Linie, verteidigen die stabile Währung und sind gegen jedwedes Abrutschen in die Inflation. Dagegen können sich die Tauben eher mit einer leicht steigenden Inflation anfreunden.

Vor Stark hatte bereits der ehemalige Bundesbankpräsident Axel Weber eine Falken-Position vertreten. Er trat bereits im April vorzeitig aus dem Amt zurück. Auch der luxemburgische Notenbankpräsident Yves Mersch gilt als strenger Stabilitätsverfechter, ebenso wie Webers Nachfolger Weidmann.

Aber innerhalb des Zentralbankrats sind die konservativen Geldpolitiker auf dem Rückzug. Mehr und mehr werden die Diskussionen von Notenbankvertretern geprägt, die aus hoch verschuldeten oder sehr kleinen Ländern stammen und nicht von der Bundesbank geprägt wurden.

Stabilität des Euro als Leitmotiv

Der 63 Jahre alte Stark begann seine Karriere an der Universität Hohenheim, wechselte aber schon 1978 in die Politik. Zunächst arbeitete er im Wirtschaftsministerium, danach im Kanzleramt und von Oktober 1992 an im Finanzministerium. Als Finanzstaatssekretär zählte er zu den Architekten des Euro-Stabilitätspaktes und war Beauftragter von Bundeskanzler Helmut Kohl für Weltwirtschaftsgipfel. "Wir haben nur einen Schuss frei. Zu viel steht auf dem Spiel, als dass wir uns einen Fehlschuss erlauben könnten. Die Wirtschafts- und Währungsunion eignet sich nicht für eine Strategie des 'trial and error' (also des Ausprobierens) ", sagte Stark schon im Jahr 1996.

Die Aufweichung des Stabilitätspakts, auch durch Deutschland, hat Stark stets gegeißelt, allerdings hatte er da bereits die Seiten gewechselt und war Notenbanker. Dabei nahm er die Gene der Bundesbank als Vizepräsident von 1998 bis 2006 auf, danach wechselte er in die Europäische Zentralbank. Die Stabilität des Euro wurde zu seinem Leitmotiv. Ungefragt forderte er die Bundesregierung auf, eine solidere Haushaltspolitik zu betreiben. Kritiker warfen ihm eine "Stabilitäts-Manie" vor. Die französische Presse nannte ihn "den Mann, der die deutsche Philosophie vom Null-Defizit verkörpert".

Aber Stark ließ sich nicht beirren. Monatelang erklärte er geduldig, wie die staatlichen Sünder im Euroraum bestraft werden müssten und, dass an einem strikten Sparkurs kein Weg vorbeiführen würde. In seinem letzten Interview im Handelsblatt sagte er zum Thema Staatsanleihekäufe nur, jeder müsse bei derart wichtigen Entscheidungen mit seinem Gewissen im Reinen sein.

Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener Ifo-Instituts, zeigte Verständnis für den Rücktritt von Stark. Der EZB-Rat habe in der Krise die ehernen Regeln gebrochen, die die Bundesrepublik seinerzeit beim Maastrichter Vertrag zur Bedingung für die Aufgabe der D-Mark gemacht hatte.

Dazu gehöre insbesondere das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank, das Deutschland wegen der negativen Erfahrungen mit der Hyperinflation von 1923 verlangt hatte. Bundespräsident Wulff habe öffentlich erklärt, dass der Aufkauf der Staatspapiere ein Umgehungstatbestand ist, der dem Geist und der Absicht der Maastrichter Verträge widerspricht.

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