EZB-Chef spricht vor CDU/CSU-Fraktion:Lehrstunde mit Draghi

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Er wurde als "Falschmünzer", "Vertragsbrecher" und "Geldvernichter" bezeichnet. Jetzt stellte sich Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag - und glättete einige Wogen. Im Anschluss an die zweistündige Sitzung erhielt er einen weitaus versöhnlicheren Spitznamen.

Claus Hulverscheidt und Jannis Brühl, Berlin

Mario Draghi (l.), Präsident der Europäischen Zentralbank, neben Bundestagspräsident Norbert Lammert.  (Foto: dpa)

Und plötzlich steht er da im Allerheiligsten des deutschen Parlamentarismus, der "Falschmünzer", der "Vertragsbrecher", der "Geldvernichter" aus Italien, der die Phantasie so vieler Koalitionspolitiker in den vergangenen Wochen beflügelt hat und die Bundesbürger angeblich um ihr sauer Erspartes bringen will. Zu sehen ist Mario Draghi zunächst nicht. Dass er den Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Berliner Reichstag betreten hat, verrät nur die Traube aus Kameraleuten und Fotografen, die sich halb drängelnd, halb stolpernd vor und hinter ihm her schiebt. Wahrscheinlich hat mancher Bundestagsabgeordnete, der den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) noch nie aus der Nähe gesehen hat, sich ihn anders vorgestellt: auffälliger vielleicht, irgendwie verschwenderischer, italienischer eben.

Doch Mario Draghi ist keiner dieser feurigen Leinwand-Südländer, die Frauenherzen höher schlagen lassen. Mit seiner überschaubaren Körpergröße, der randlosen Brille, dem strengen Seitenscheitel und dem schwarzen Anzug erinnert er eher an einen ostwestfälischen Finanzbeamten. Wenn die Menschen in seiner Heimatstadt Rom in der Zeitung lesen, dass ihr Mario Draghi von manchen Deutschen für einen italienischen Luftikus mit Hang zum Geldausgeben gehalten wird, dann verstehen sie die Welt nicht mehr. Daheim gilt der 65-Jährige, weil er auf Haushaltsdisziplin und Preisstabilität herumreitet, als deutschester unter allen Italienern.

EZB-Chef in Berlin
:Draghi besänftigt die Skeptiker

"Seine Antworten waren sehr überzeugend": Zwei Stunden erklärte sich EZB-Chef Mario Draghi vor Abgeordneten des Bundestages. Die Bilanz danach: überwiegend positiv. Die meisten Zweifel an seiner Politik habe der oberste Notenbanker ausräumen können. Alle Kritiker hat er trotzdem nicht überzeugt.

Draghis Verhältnis zu den Deutschen und insbesondere zur CDU/CSU ist verkorkst, seit er angekündigt hat, dass die EZB kriselnde Euro-Staaten durch den Kauf von Staatsanleihen unterstützen will. "Nah dran an der verbotenen Staatsfinanzierung über die Notenpresse" sei das, meint Bundesbankpräsident Jens Weidmann, Bayerns Finanzminister Markus Söder warnte den Italiener davor, die EZB "von einer Stabilitätsbank in eine Inflationsbank" zu verwandeln. Auf die Idee, mit- statt übereinander zu reden, kamen der Notenbanker und seine Kritiker aus der Koalition aber erst, als Draghi in einem Interview gefragt wurde, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn er vor dem Bundestag sprechen würde. Wenige Stunden nach Veröffentlichung des Zeitungsgesprächs lud Parlamentspräsident Norbert Lammert den EZB-Chef nach Berlin ein.

Gekommen, um zuzuhören

Für eine Rede im Bundestagsplenum reicht es nicht. Draghi ist schließlich weder der Papst, noch das Staatsoberhaupt eines fernen Landes, wie es ein einsamer Demonstrant vor dem Reichstag suggeriert. "End Draghistan!" hat er auf ein braunes Pappschild geschrieben, "Inflation ist Diebstahl" auf ein anderes. Der vermeintliche Imperator aus "Draghistan" hat derweil auf dem Podium im Unionsfraktionssaal Platz genommen, flankiert von seinem Direktoriumskollegen Jörg Asmussen und von Lammert. Etwa 120 Abgeordnete haben sich eingefunden, mindestens noch einmal so viele Mitarbeiter, und doch bleiben einige Dutzend Plätze im Raum frei. Angesichts der Debatten in Deutschland, sagt Draghi in einem etwa zehnminütigen Eröffnungs-Statement, empfinde er es "als besonderes Privileg, im Bundestag, dem Herzen der deutschen Demokratie, zu sprechen". Er sei nicht nur gekommen, um reden, sondern auch, um zuzuhören.

Lange aber hält sich der Präsident nicht mit Höflichkeitsfloskeln auf, was folgt, ist eine Art Volkshochschulkurs, warum die "geldpolitische Transmission" in Europa gestört sei und die historisch niedrigen Leitzinsen der EZB in manchen Regionen nicht ankämen. Die betroffenen Länder, sagt Draghi, seien an ihren Problemen selbst schuld und müssten entsprechende Reformen angehen. Weil aber manche Finanzmarktteilnehmer ein Auseinanderbrechen der gesamten Währungsunion befürchteten und "imaginären Katastrophenszenarien" anhingen, bekämen einzelne Staaten und ihre Banken kaum noch Geld zu tragbaren Konditionen. Dadurch werde eine Spirale aus Rezession und Preisverfall in Gang gesetzt. In Wahrheit sei die Gefahr einer Deflation deshalb in einigen Euro-Staaten höher als die einer Inflation. Sollten die Preise in Europa wider Erwarten doch kräftig ansteigen und das Vermögen der Bürger bedrohen, könne die EZB zudem jederzeit den Leitzins anheben.

Abgeordnete, die mit Draghi diskutieren wollen, müssen sich bei Lammert melden. Gerade einmal zwei Minuten Zeit erhält jeder, eine große digitale Uhr, die auf eine Leinwand an der Stirnseite des Saals projiziert wird, zählt die Sekunden. Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei, die Spannung, die vor Beginn der Sitzung herrschte, verflogen. "Sehr überzeugend" sei der EZB-Chef gewesen, sagt der CDU/CSU-Haushaltsexperte Norbert Barthle im Anschluss, "Draghi erschien uns als preußischer Südeuropäer".

© SZ vom 25.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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