Joachim Nagel:Der Bundesbank-Veteran kehrt zurück

Lesezeit: 4 min

Joachim Nagel (li.) folgt auf Jens Weidmann, der im Oktober völlig überraschend um seine Entlassung als Bundesbankpräsident gebeten hatte. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Joachim Nagel wird neuer Bundesbankpräsident: Deutschlands zentrale Stimme zur Inflation. Warum FDP und SPD auf den Ökonomen setzen.

Von Jan Diesteldorf, Cerstin Gammelin, Henrike Roßbach und Markus Zydra

Eine Minute und siebzehn Sekunden, länger braucht Christian Lindner nicht, bis aus seiner Sicht alles gesagt ist. Dabei hat der Bundesfinanzminister und FDP-Chef zwischen "Hallo zusammen, grüße Sie" und "Besinnliche Weihnachtstage und einen guten Start ins neue Jahr, tschüss!" durchaus Dinge von Gewicht zu verkünden. Denn schon am Montagmorgen war bekannt geworden, dass sich die Regierung auf einen neuen Bundesbankpräsidenten geeinigt hat. Joachim Nagel, 55, soll Jens Weidmann nachfolgen, der zum Jahresende freiwillig aus dem Amt scheidet.

Lindner also sagt am Nachmittag, dass Nagel "eine erfahrene Persönlichkeit" sei und "für die geldpolitische Kontinuität in der Bundesbank" stehen werde. Man sei "in Zeiten von einer gewachsenen Aufmerksamkeit bei der Inflation", fügt er gewunden hinzu. Geldpolitische Stabilität "in der Tradition der Bundesbank" sei wichtig, und er sei sicher, dass Nagel "in genau dieser Einschätzung auch die deutsche Bundesbank positionieren" werde. Eine "gute Besetzung", befindet er, und "ein gutes Signal" sowohl an die deutsche Bevölkerung als auch nach Europa.

Der neue Bundesbankpräsident wird in der langen Geschichte der Institution abermals ein Mann. Wichtige Frauen in mächtigen Ämtern, mit denen Joachim Nagel, 55, künftig zusammenarbeiten wird, gratulieren über Twitter: EZB-Präsidentin Christine Lagarde freut sich sehr "mit einem derart erfahrenen Zentralbanker" zusammenzuarbeiten. Isabel Schnabel, EZB-Direktorin und eine der gescheiterten Kandidatinnen um die Nachfolge von Weidmann, begrüßt Nagel an Bord und verweist auf "die vielen wichtigen Aufgaben, die vor uns liegen".

Damit geht eine wochenlange Personaldebatte zu Ende, mit der bis vor kurzem noch niemand gerechnet hätte. Denn Weidmann, der an diesem Dienstag im Schloss Bellevue seine Entlassungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entgegennehmen wird, bat am 20. Oktober völlig überraschend um seine Entlassung. Er machte persönliche Gründe geltend, gleichzeitig warnte er vor Inflationsgefahren, die von der EZB ernster genommen werden müssten. Mit diesem Paukenschlag bekam die neue Bundesregierung ein Problem, bevor auch nur der Koalitionsvertrag fertig war. Welches geldpolitische Signal würde die Ampel mit dieser Personalie setzen wollen? Eines der Kontinuität oder eines des Wandels?

Zu hören war dann von einer innerkoalitionären Verabredung, vor allem zwischen SPD und FDP. Die Sozialdemokraten hätten sich das Vorschlagsrecht für die Weidmann-Nachfolge gesichert, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die FDP der Personalie zustimme. Die Verabredung wurde aber nur informell getroffen, also ohne Notiz im Koalitionsvertrag. Was umso erstaunlicher ist, da das Recht der Grünen, den nächsten deutschen EU-Kommissar vorschlagen zu dürfen, sehr wohl ordentlich im Koalitionsvertrag vermerkt ist.

Am Montag hieß es in Berlin zunächst, die FDP habe Nagel in die Nachfolgedebatte eingespeist, offiziell aber sei er ein SPD-Vorschlag gewesen. Lindner wiederum twitterte am Vormittag, Bundeskanzler Olaf Scholz und er hätten Nagel vorgeschlagen. Und mittags sagte dann ein Regierungssprecher: "Ich kann bestätigen, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner den Volkswirt Joachim Nagel als neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank vorgeschlagen hat." Am 22. Dezember werde das Kabinett voraussichtlich darüber beraten.

In der Eurozone liegt die Inflation inzwischen bei 5,2 Prozent und damit so hoch wie noch nie

Aus der Sicht von SPD und FDP hat Nagel tatsächlich etwas von einem idealen Kandidaten. Er ist SPD-Mitglied und in geldpolitischen Fragen stabilitätsorientiert. Damit wäre sowohl die sozialdemokratische Seite befriedet als auch die der FDP; die Liberalen wollen sich schließlich als finanzpolitischer Stabilitätsanker der Ampel-Koalition inszenieren.

Allerdings waren durchaus noch andere Kandidaten im Gespräch. Als aussichtsreich galt etwa die derzeitige EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Ihre Berufung wäre ein Signal gewesen, dass Berlin mittelfristig nach dem Präsidentenamt der Europäischen Zentralbank (EZB) greift. Wäre Schnabel in die Bundesbank gewechselt, hätte sie bessere Chancen gehabt, die Nachfolge von Lagarde in sechs Jahren anzutreten - ein direkter Wechsel aus dem Direktorenamt an die EZB-Spitze ist laut Statut nicht möglich. Allerdings war zu hören, dass Schnabel eher Favoritin der Grünen gewesen wäre als der SPD. Achim Post, Fraktionsvize der SPD, lobte Nagel am Montag jedenfalls als "hervorragend geeignet, um in den kommenden Jahren sowohl geldpolitische Stabilität zu sichern als auch europäisches Wachstum nach der Corona-Krise zu ermöglichen". Er sei "der richtige Präsident zur richtigen Zeit".

Viele bezeichnen Nagel als "Bundesbank-Veteranen", weil er dort seine Karriere begann und es bis zum Vorstand brachte. "Veteran" klingt zunächst einmal nach Erfahrung, also positiv. Es erzeugt aber auch andere Bilder, die nicht für jedermann mit Modernität und Fortschritt in Einklang stehen. Doch was die Ambitionen für das wichtige Amt angehen, sollte man den stets ruhig und besonnen auftretenden Nagel nicht unterschätzen. Die Fachkenntnis eines versierten Geldpolitikers besitzt er, das attestieren ihm die Experten unisono. Ihm wird man nicht vorwerfen können, er kenne sich nicht aus. Mit diesem Vorurteil muss ja EZB-Chefin Lagarde seit ihrem Amtsantritt kämpfen, weil sie nicht Ökonomin, sondern Juristin ist. In Deutschland liegt die Inflation inzwischen bei 5,2 Prozent, in der Eurozone bei 4,9 Prozent - so hoch wie noch nie in der Geschichte der Währungsunion. Nun musste die EZB auch noch ihre eigenen Prognosen korrigieren, auf 3,2 Prozent im nächsten Jahr; deutlich höher als der Zielwert. Die Kritik an Lagardes Kurs, die lockere Geldpolitik fortzusetzen, wächst - aber sie ist nicht mehrheitsfähig im EZB-Rat.

Die Deutschen und die EZB, das ist auch eine Geschichte vom Aufgeben

Wie wird Nagel sich da positionieren? Auf die Pauke hauen wie der frühere Bundesbankpräsident Axel Weber es 2010 tat - um später aus Frust zurückzutreten? Beherrscht und formvollendet mit klugen Argumenten im obersten EZB-Gremium auftreten, wie es Weidmann gut zehn Jahre lang praktizierte - aber schließlich auch hinwarf? Die Deutschen und die EZB, das ist auch eine Geschichte vom Aufgeben: Mit Jürgen Stark, Sabine Lautenschläger und Jörg Asmussen haben schon drei deutsche EZB-Direktoren ihre Verträge nicht erfüllt.

Nagel hat in der Bundesbank Karriere gemacht, bevor er zur Staatsbank KfW und zuletzt zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) wechselte. Einen solchen Menschen, der den Mythos der Bundesbank als Schutzpatronin der starken D-Mark eingesogen hat, dürfte der zunehmende Machtverlust dieser Institution im Eurosystem nicht kaltlassen. Aber was tun, wenn die anderen Notenbanker anderer Meinung sind? In einem Gespräch vor mehr als zehn Jahren, damals war Nagel als Bundesbankvorstand für die Finanzmärkte zuständig, sagte er, man solle als Bundesbanker nicht darüber spekulieren, was man tun würde, wenn etwas Bestimmtes einträte. Man müsse stattdessen immer die konkrete Situation sehen und dann neu entscheiden.

Weil ein Bundesbanker noch kein Banker ist, musste Nagel sich 2017 nach seinem Wechsel zur KfW erst einmal beweisen. Wer keine einschlägige Berufserfahrung hat, den lässt die Finanzaufsicht Bafin nämlich nicht einfach so in eines der Führungsorgane einer Bank. Und so diente Nagel ein Jahr lang als Generalbevollmächtigter, bevor er im KfW-Vorstand das Auslandsgeschäft inklusive Entwicklungszusammenarbeit übernahm. Ende 2019 verlängerte der Verwaltungsrat der Staatsbank seinen Vertrag vorzeitig. Sogar für die Nachfolge des im Sommer ausgeschiedenen KfW-Chefs Günther Bräunig war er im Gespräch. Aus der Bank aber hieß es schon länger: So richtig warm geworden sei der Währungshüter Nagel mit seiner neuen Rolle nicht.

Jetzt ist er zurück in seiner alten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: