Wenn es gut läuft, erfüllen Banken ihre vornehmste Aufgabe, geben Unternehmen und Privatleuten Kapital und befördern damit Wachstum und Innovation. Läuft es aber schlecht und strauchelt eine große Bank, etwa weil sie sich verspekuliert hat, kann sie ein ganzes Land mit in den Abgrund reißen - ungefähr so wie in der Finanzkrise. Seither ist weitgehend Konsens: Die Finanzbranche sollte strengen Regeln unterliegen. Banken mögen als Aktiengesellschaften firmieren und an der Börsen notiert sein, sie sind dennoch kein reines Privatvergnügen. Der Staat erteilt Lizenzen zum Geschäftsbetrieb und kann sie auch entziehen.
Als Antwort auf die Finanz- und Schuldenkrise hat Europa vor mehr als zehn Jahren eine gemeinsame Aufsicht erschaffen für die 120 größten Kreditinstitute, angesiedelt bei der Europäischen Zentralbank. Tatsächlich haben die Banken die jüngsten Krisen, die Corona-Pandemie, die Gaskrise, bislang halbwegs gut überstanden, auch wegen erheblicher staatlicher Unterstützung für die Kreditnehmer, aber auch, weil die Aufsicht zu höheren Kapitalrücklagen und einem besseren Risikomanagement gedrängt hat.
Protestbrief einer Bank
Nun werden Banken wieder übermütig und möchten die strengen Regeln aufweichen. Jüngster Höhepunkt: Lorenzo Bini Smaghi, Aufsichtsratsvorsitzender der französischen Großbank Société Générale und ehemaliges Mitglied des EZB-Direktoriums, hat im Oktober einen Protestbrief an die Zentralbank geschickt, in dem er gegen die Teilnahme von Aufsehern bei Aufsichtsratssitzungen protestierte. Ausgerechnet Bini Smaghi, der als EZB-Direktor 2010 in einer Rede genau dies gefordert hatte: Aufseher sollten Banken gegenüber "aufdringlicher" werden und Zugang erhalten zu allen Gremien, also auch dem Aufsichtsrat. Doch als Lobbyist hat der Italiener nun eine ganz andere Meinung. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge argumentierte er in dem Schreiben, dass die Anwesenheit der Aufseher in den Sitzungen die Qualität der Managementgespräche beeinträchtige. Tatsächlich sind gelegentliche Besuche der Aufseher üblich, sie wollen nicht nur die Protokolle lesen, sondern sich auch vor Ort selbst ein Bild machen.
Bei der Société Générale, die wegen der riskanten Derivatgeschäfte eines eigenen Aktienhändlers 2008 fast Pleite gegangen wäre, empfindet man die Kontrolle offenbar als "übergriffig". Bini Smaghi beschwert sich jedenfalls darüber: "Meines Wissens nimmt keine andere Behörde in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften bei ihrer Aufsichtstätigkeit an Aufsichtsratssitzungen und in Ausschüssen teil." Weder die US-Notenbank Fed noch die Schweizer Aufsicht täten dies. "Sehr geringer Nutzen" stehe "ernsthaften Bedenken seitens der beaufsichtigten Unternehmen" gegenüber.
In der Bankenwelt gibt es schon länger Kritik an der beherzten Arbeit von EZB-Bankenaufsichtschef Andrea Enria. Zu den Beschwerden gehörten alltägliche Themen wie "lästige" Datenanfragen. Aber auch die behördliche Beschränkung für Banken, Dividenden und Boni in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auszuschütten, erzeugte bei den Betroffenen Unmut.
Banken wollen trotz Krise Milliarden ausschütten und Boni zahlen
In der Corona-Pandemie hatte die EZB den Banken vorübergehend Dividenden-Ausschüttungen untersagt. Das ist zwar derzeit nicht geplant, dennoch macht die unsichere globale Wirtschaftslage die europäischen Bankenaufseher nervös. "Bislang hat sich das günstige Zinsumfeld gut für die Banken entwickelt, aber sie müssen wachsam mit Blick auf Entwicklungen im Risikoausblick bleiben", sagte Enria unlängst. Er will, dass Banken Kreditrisiken früher berücksichtigen - das bedeutet: Kapital zurücklegen anstatt es auszuschütten.
Noch deutlicher wurde Steven Maijoor, der niederländische Vertreter im EZB-Bankenaufsichtsgremium: Die europäischen Banken sollten sich bei Dividenden und Aktienrückkäufen zurückhalten, um genügend Reserven für den zu erwartenden Konjunkturabschwung zu behalten, mahnte er an. Nicht alle beherzigen das freiwillig: Die EZB hat die italienische Großbank Unicredit nun sogar dafür kritisiert, sich trotz des Ukraine-Krieges nicht aus Russland zurückzuziehen und bis 2024 enorme 16 Milliarden Euro an die Aktionäre auszuschütten, wie die Financial Times am Montag schrieb. Das Verhältnis von Bank und Aufsicht sei entsprechend angespannt.
Ins Stocken geraten sind auch die strengen Kapitalregeln für Banken. Die EU-Kommission hat im Oktober 2021 ihre Vorschläge zur Umsetzung der Reform vorgelegt. Sie gehen auf die Empfehlungen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zurück. Das Gremium mit Experten aus 28 Ländern hatte 2017 ein Reformpaket für den internationalen Bankensektor beschlossen, das die Erfahrungen aus der globalen Finanzkrise einbringen sollte - Stichwort Basel III. Zur Zeit verhandeln EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament noch darüber, ob Ausnahmen von einigen Regeln gemacht werden sollen. In einem gemeinsamen Blogbeitrag rieten internationale Bankenaufseher jetzt davon ab, die geplanten Bankenreformen aufzuweichen. "Wir sind sehr besorgt, dass es in der aktuellen legislativen Debatte im EU-Rat und dem Europäischen Parlament über das EU-Bankenpaket viele Aufforderungen gibt, von den internationalen Standards abzuweichen" schreiben die EZB-Kontrolleure. Die Bundesregierung steht dem Vernehmen nach zum Koalitionsvertrag, wonach die Basel-Regeln "in zentralen Elementen" umgesetzt werden sollen.
"Die EU liegt bei der Umsetzung der Baseler Bankenregeln bereits mehrere Jahre hinter den USA zurück", sagt Michael Peters, Bankenexperte bei der Bürgerbewegung Finanzwende, der darauf hinweist, dass viele Großbanken in den vergangenen Jahren an Finanzskandalen beteiligt waren. "Einen Vertrauensvorschuss kann es angesichts der Historie nicht geben", so Peters. Und überhaupt: "Welche Geschäftsvorgänge können Aufsichtsräte nur besprechen, wenn die Bankenaufsicht außerhalb des Raumes ist?"