Süddeutsche Zeitung

Banken:Defizite in der Chefetage

Mangelndes IT-Wissen, zu wenig Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, kaum Diskussionen im Vorstand - Andrea Enria, oberster EZB-Bankenaufseher, kritisiert Deutschlands Banker hart.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Es ist nicht immer ehrenvoll, ganz vorne zu sein. Die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) durfte das nun erleben, denn sie musste als erstes deutsches Kreditinstitut eine Strafe an die EZB-Bankenaufsicht bezahlen. Der Grund für die Sanktion: Die Staatsbank habe ab 2020 bei der Bewertung ihrer Bilanzrisiken "bewusst" die Kursturbulenzen beim Ausbruch der Corona-Krise ausgeblendet und in der Folge "wissentlich" falsche Zahlen an die Aufseher geliefert.

Die Strafe beträgt zwar überschaubare 6,8 Millionen Euro, doch auf der Skala von eins (minderschwer) bis fünf (äußerst schwer) stuft die EZB den Verstoß immerhin auf drei (schwer) ein. In ihrer achtjährigen Geschichte hat die EZB-Aufsicht überhaupt erst 15 Sanktionen gegen europäische Großbanken verhängt. Es handelt sich also nicht um eine Lappalie. Das wäre auch noch schöner, steht doch der Vorwurf der vorsätzlichen Verschleierung von Bankrisiken im Raum, was die Helaba indes zurückweist. Zu keinem Zeitpunkt sei ein Verstoß gegen Verpflichtungen beabsichtigt gewesen.

Die EZB überwacht in der Währungsunion 125 Großbanken, und die Kontrolleure entdecken oft Mängel über Mängel. In den seltensten Fällen folgt darauf eine Sanktion. Oft geben die Aufsichtsteams den Banken eine Frist, das Problem zu lösen. Aber dennoch steht die Frage im Raum: warum verletzen Kreditinstitute überhaupt so oft die Regeln? Ist es Schlamperei oder Absicht? Oder beides?

Andrea Enria, der im kommenden Jahr scheidende Chef der EZB-Bankenaufsicht, hat sich zuletzt an einer Erklärung versucht, die in der öffentlichen Debatte nur selten angesprochen wird: Es geht um die fachliche Eignung von Bankvorständen und Aufsichtsräten und Aufsichtsrätinnen.

Bei mehr als der Hälfte aller Banken in Europa musste die Aufsicht im vergangenen Jahr bei der Auswahl des Spitzenpersonals eingreifen, sprich die Kandidaten hatten nicht das notwendige Know-how und mussten nacharbeiten. Darüber hinaus bemängelte Enria, viele Banker besäßen nicht ausreichendes IT-Wissen. Dadurch seien Institute nicht immer in der Lage, die notwendigen Daten zur Messung der Bilanzrisiken zu beschaffen. Vielleicht der wichtigste Punkt: Enria stört sich auch daran, dass Entscheidungen zu selten hinterfragt würden: "Die Debatten in den Führungsetagen sollten kontroverser ablaufen, um die Grundlage für bessere Entscheidungen zu legen", mahnte er bei der Vorstellung der Ergebnisse der jährlichen Bankenprüfung an.

Aufsichtsräte, die die Vorstandsetagen der Banken kontrollieren sollten, seien zudem oft nicht unabhängig genug und kämen ihrer Aufgabe nicht immer ausreichend nach. In vielen europäischen Banken fehle es an strategischer Steuerung und effektiver Führung. Ein ziemlich hartes Urteil für jemanden, der seit Jahren über den europäischen Bankensektor wacht.

Tatsächlich sitzt die Aufsicht mit am Tisch, wenn es um die Frage geht, wie gut die Vorstände sind. Wer in die Führung einer Bank aufgestiegen ist, hat vergleichsweise viel Macht, aber eben auch große Verantwortung: Manager und Managerinnen, die versagen, können ein Geldhaus in die Pleite treiben und damit großen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Angehende Bankvorstände müssen daher bei der Finanzaufsicht vorstellig werden und die Beförderung genehmigen lassen. Sie müssen dabei allerhand nachweisen, vor allem ausreichend Erfahrung bei der Kreditvergabe, anders als Chefs vom Industrieunternehmen, für die es solche Regeln nicht gibt. Je größer die Bank ist, desto wichtiger die Prüfung, die sich Monate hinziehen kann.

102 Vorstandsanwärter machten einen Rückzug

Ein aktuelles Beispiel liefert die Commerzbank, wo sich die Bestellung des designierten Risikovorstandes nach SZ-Informationen ungewöhnlich lange hinzieht. Zwar hat der Commerzbank-Aufsichtsrat nach eigener Aussage "keine Zweifel an der Eignung des vorgeschlagenen Nachfolgers". Und dem Vernehmen nach soll die Prüfung "gut laufen" und bis März abgeschlossen sein. Die Bankenaufsicht bei der EZB aber lässt sich offenbar nicht drängen und will zuvor genau ergründen, welche Rolle der Manager bei der verlustreichen Kreditvergabe der Commerzbank an Wirecard gespielt hatte.

Schließlich gibt es auch immer mal wieder Kritik, es sei die Aufsicht, welche die Anwärter und Anwärterinnen nicht gut genug durchleuchtet. Vor drei Jahren verschärfte die EZB daher die Eignungsprüfung noch einmal und forderte zudem einheitlichere Regeln in Europa. Problematisch war vor allem, dass in manchen EU-Ländern Bankvorstände im Amt sind, die seit Jahren in endlose Gerichtsverfahren verwickelt sind.

Hat es etwas gebracht? Neueste Zahlen zeigen: Seit ihrer Gründung 2014 hat die Behörde bis 2022 rund 20 000 Personen geprüft, ob sie als Vorstand oder Aufsichtsrat für eine Bank die notwendige Eignung haben. Wie viele offizielle Ablehnungen es gab, möchte die EZB auf Anfrage nicht mitteilen. Insgesamt hat es von 2019 an - damals wurde die Zahl erstmals veröffentlicht - 102 Personen gegeben, die sich "freiwillig" aus dem Bewerbungsprozess zurückgezogen, weil sie von der EZB die entsprechenden Signale erhalten hatten. Im Jahr 2021 allein waren es 52 Personen. Das könnte darauf hindeuten, dass die EZB mittlerweile stärker durchgreift. Doch zufrieden ist die Aufsicht offenbar immer noch nicht, ansonsten hätte Enria wohl nicht eine derart scharfe Kritik geäußert.

Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass die EZB nun auch die Boni-Usancen der Banken noch einmal durchleuchten möchte, wie die Aufseher diese Woche in ihrem Newsletter schrieben. Noch immer - oder schon wieder - kritisiert die Behörde falsche finanzielle Anreize für die Banker: Die Vergütungsstrukturen, so die Aufseher, würden sich zu oft an den Erträgen ausrichten - und eben nicht an den Risiken, die man eingehe.

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