Europas Zentralbank:Die EZB braucht dringend einen Schuss vor den Bug

Der Schaden, den die EZB unter ihrem Chef Mario Draghi in Deutschland anrichtet, ist bald größer als der Nutzen für Europa. Die Verfassungsrichter sollten ihr klar die Grenzen aufzeigen.

Kommentar von Marc Beise

Mit einigen mahnenden Worten, immerhin, haben Deutschlands höchste Richter die Europäische Bankenunion durchgewinkt. Das klingt wie eine Meldung aus dem Betrieb, weit weg von den Menschen. Dabei war dieses Verfahren und sind die anderen Verfahren, über die derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, für jeden Bürger wichtig. Es geht um Europas Zukunft, um deutsche (Rest-)Kompetenzen - und um viel Geld.

Die (jetzt bejahte) Frage, ob die EU auch zulasten deutscher Einflussmöglichkeiten Banken beaufsichtigen darf, ist das eine. Die Frage, wie sehr sich die Europäische Zentralbank (EZB) in die Finanzpolitik einmischen darf, das andere. So hat die EZB mit Wohlwollen der Regierungen für bisher 2,6 Billionen Euro Wertpapiere gekauft, um die Wirtschaft zu stimulieren und die Schulden vor allem in Südeuropa abzusichern. Das ist eine Zahl mit elf Nullen. In Ziffern geschrieben sieht sie so aus: 2 600 000 000 000. Euro!

Euro-Kritiker - konservative Politiker, Juristen, Professoren, Unternehmer - versuchen seit Jahren, die europäischen Institutionen bei dieser gigantischen Geldvermehrung vor Gericht zu stoppen. Ihr Argument: Das Finanzkarussell, maßgeblich betrieben vom jetzt scheidenden EZB-Präsidenten Mario Draghi, sei extrem riskant, für Deutschland schädlich und nicht vom europäischen Recht gedeckt. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht.

Historische Chance

Was die Kläger zu gering gewichten: Die Europäische Union ist eine historische Chance. Sie ist, nur zwei Generationen nach dem Ende des letzten Weltkriegs, ein Friedensprojekt und ein Katalysator für Wohlstand. Davon profitiert das kleine Griechenland nicht anders als das große Deutschland. Wer aber in einer solchen Gemeinschaft organisiert sein will, muss zu Kompromissen bereit sein. Das gilt auch für die stärkste Volkswirtschaft des Verbundes, Deutschland. Dazu waren die etablierten Politiker immer bereit, und sie werden es weiter sein müssen, erst recht seit der Einführung der gemeinsamen Währung ab dem Jahr 1999.

Der Euro kam, wie wir heute wissen, zu früh. Er setzt eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik voraus, für die die Mitgliedstaaten noch nicht bereit sind. Die Hoffnung, das werde sich in der Praxis schon richten, hat getrogen. Nun aber ist der Euro da, und ihn aufzukündigen, hieße, die EU dramatisch zu beschädigen - längerfristig ganz sicher zum Schaden Deutschlands.

Auch die lockere Geldpolitik der EZB ist gegen die konkreten Interessen vieler Deutscher, mindestens sofern sie Sparer sind. Wenn die Zinsen gegen null tendieren oder sogar zu Negativzinsen werden, dann schrumpft die Vorsorge vieler Menschen zusammen und das Geld verliert seine Funktion als Anreizsystem im Markt. Beispielsweise existieren Unternehmen weiter, die eigentlich nicht mehr kreditwürdig wären, und Grund und Boden wird immer teurer. Wenn diese Blase platzt, können die Folgen dramatisch sein.

Die EZB-Politik bewegt sich, vorsichtig formuliert: an der Grenze des rechtlich Zulässigen. Denn die unabhängige und kaum kontrollierte EZB soll nach den Verträgen das Geld stabil halten, nicht aber Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben, dafür sind dann doch die vom Volk gewählten Politiker da. Obwohl das alles viel diskutiert wird und einige Mitglieder im EZB-Rat, darunter der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann, opponieren, treibt die Draghi-Mehrheit ihr Spiel immer weiter. Kürzlich sind erneut Lockerungen der Geldversorgung in Aussicht gestellt worden, und in Frankfurt kursieren die wildesten Gerüchte, was den Notenbankern noch einfallen könnte in ihrem immer verzweifelteren Versuch, die Wirtschaft zu stimulieren.

Es naht der Moment, von dem an die konkreten Nachteile für Deutschland nicht mehr durch die allgemeinen Vorteile für Europa kompensiert werden. Wenn beispielsweise die Akzeptanz von Europa in Deutschland weiter schwindet, ist der Euro, ist die EU womöglich schneller am Ende, als mancher sich das jetzt vorstellen mag. Und auch wenn es in Deutschland verdächtig ruhig ist: Die Lage ist ernst. Wenn die EZB sich nicht besinnt und eine Kehrtwende wenigstens in Aussicht stellt, dann hilft bald nur noch ein Schuss vor den Bug. Und da sie unabhängig ist und die Politik sich besser nicht einmischt, kann dieser Schuss nur vom Bundesverfassungsgericht kommen, das jetzt verhandelt und in einigen Monaten seine Entscheidung verkündet.

Wenn der Warnschuss nicht fruchtet, wäre der nächste Schritt eine Notbremse. In Fachkreisen heißt das: ultra vires. Die Karlsruher Richter würden dann urteilen, dass sich die EZB außerhalb ihrer Zuständigkeiten bewegt und würden die deutschen Organe - etwa die Bundesbank - anweisen, dem nicht mehr zu folgen. Das wäre die größte denkbare Krise der EU und womöglich ihr Ende. Die EZB hat es jetzt in der Hand, eine solche verrückte Zuspitzung zu verhindern.

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