EZB Anleihekäufe:Vertrauliche Gedankenspiele

Urteil zu Anleihenkäufen der EZB

Die Flaggen der EU und der Bundesrepublik Deutschland wehen am Sitz des Bundesverfassungsgerichts.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Um neuen Klagen beim Bundesverfassungsgericht vorzubeugen, regen Rechtsexperten des Bundestags an, die Kaufprogramme der EZB zusammenzulegen.

Von Cerstin Gammelin

Die Rechtsexperten des Bundestags befürchten weitere Klagen gegen die laufenden Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank und regen vorsorglich an, die beiden Programme der EZB zum Aufkauf von Anleihen (PSPP und PEPP) neu zu strukturieren. Eine "Zusammenlegung" böte einige "Vorteile", heißt es in einem Gutachten des Referats für EU-Grundsatzangelegenheit der Wirtschafts- und Währungsunion. Unter anderem ließen sich "Risiken für künftige Klagen" gegen Aufkaufprogramme "minimieren".

Das fünf Seiten umfassende Papier "Mögliche Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank", das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, dient zusammen mit dem Protokoll einer Anhörung im Europaausschuss vom vergangenen Montag als Arbeitsgrundlage für die von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gegründete vertrauliche Gesprächsrunde, die die heikle Entscheidung der Karlsruher Richter vom 5. Mai umsetzen soll. Ihr gehören je ein Abgeordneter aus jeder Fraktion sowie die Ausschüsse für Europa, Recht, Haushalt und Finanzen an. Die Gruppe tagt an diesem Donnerstag. Die Zeit drängt sehr; der Bundestag tagt regulär noch zwei Mal bis zur Sommerpause.

Die Richter haben Bundestag und Bundesregierung verpflichtet, bei der EZB darauf hinzuwirken, dass diese eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der Anleihenkäufe des Programms PSPP vorlegt. Konkret: Steht die erzielte Reduzierung der italienischen Zinslast in einem guten Verhältnis zu den Nullzinsen für deutsche Sparer oder den hohen Hauspreisen?

Die Rechtsexperten schlagen zwei Wege vor. Einer führt über das EU-Parlament, der andere über die Bundesbank. Beides wären nur Auswege aus einem Dilemma: Karlsruhe habe Bundestag und Bundesregierung sowie die Zentralbank in ein "Spannungsverhältnis" gesetzt, so die Autoren. Es gelte, die rechtlich gesicherte Unabhängigkeit der EZB zu wahren. Andererseits müsse Karlsruhe beachtet werden. Man müsse also "lösungsorientiert" denken. Was so viel heißt wie: Man tagt vertraulich, pflegt informelle Kontakte.

Weder Schäuble noch Angela Merkel dürfen die Vertraute und EZB-Präsidentin Christine Lagarde direkt bitten. Die EZB müsse von sich aus die Verhältnismäßigkeitsprüfung darlegen, "ohne dass die Handlung tatsächlich/formell vom Bundesverfassungsgericht veranlasst wäre", warnen die Rechtsexperten. Wie das geht?

Lagarde könnte im Rahmen des laufenden währungspolitischen Dialogs mit dem EU-Parlament die Verhältnismäßigkeit darlegen; der nächste Termin ist turnusmäßig im Juni. Sie könnte einen Anhang zum Jahresbericht 2019 nachreichen; dieser käme über kooptierte Abgeordnete in den Bundestag. Oder: Der EZB-Rat könnte der Bundesbank die Aufgabe übertragen, "die Verhältnismäßigkeit des PSPP (erneut) darzulegen". Die Bundesbank würde das Ergebnis dann Bundesregierung und Bundestag übermitteln, wo ein dazugehöriger Entschließungsantrag verabschiedet werden könnte.

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Als langfristig sichere Lösung regen die Rechtsexperten an, das von der EZB wegen Corona aufgelegte Notankaufprogramm PEPP mit dem von Karlsruhe kritisierten Wertpapierkaufprogramm PSPP "innerhalb der nächsten drei Monate zu einem neuen Programm zum Ankauf von Staatsanleihen zusammenzulegen", inklusive großer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Vorteile: Das strittige PSPP existierte nicht länger, PEPP könnte rechtssicher gemacht und die Ankaufkriterien klarer formuliert werden.

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