Reinräume:Wenn's nicht nur sauber sein muss, sondern rein

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Blick in den technischen Zwischenboden der Kantonsapotheke Zürich - eines der Projekte von Exyte. (Foto: Det Goeckeritz/Exyte)

Die Firma Exyte baut weltweit Reinräume und andere besondere Produktionsumgebungen für Chiphersteller oder Pharmakonzerne. Das größte Problem des Unternehmens, sagt der Chef: Das Home-Office.

Von Helmut Martin-Jung

Putzen, immer wieder putzen. Erst mit großen Saugern, dann auch nass. "Anders", sagt Wolfgang Büchele, "bekommt man den Staub nie mehr raus." Staub, auch nur ganz wenig, wäre bei der Produktion von Halbleitern die blanke Katastrophe. In deren Reinräumen enthält ein Kubikmeter Luft im Schnitt nur noch ein einziges Partikel. Also lässt Büchele die Putzkolonnen immer wieder anrücken, damit er seinen Kunden ihren Reinraum so übergeben kann, wie sie ihn brauchen: staubfrei.

Büchele leitet einen wahren Hidden Champion, ein Unternehmen, das außerhalb der Branche kaum jemand kennt, das aber weltweit nur wenig Konkurrenz hat: Exyte plant und baut weltweit Reinräume und andere spezielle Produktionsumgebungen. Mit Ausnahme von Japan und Südkorea ist der Mittelständler mit Sitz in Stuttgart in allen Märkten vertreten.

Aber wieso kommen Weltfirmen ausgerechnet zu Exyte, wenn sie einen Reinraum für die Produktion von Chips brauchen oder einen supertrockenen Raum für die Herstellung von Autobatterien? Nun, Anlagen wie die für Chips, Medikamente oder Batterien sind nicht einfach nur Hallen mit einem etwas besonderen Innenleben. Sie sind zuallererst einmal: eine unfassbar komplexe Planungsaufgabe.

Umgekehrtes Zwiebelprinzip

"Wir gehen nach dem umgekehrten Zwiebelprinzip vor", sagt Büchele, ein erfahrener Manager, der davor den Gase-Konzern Linde geleitet hat. "Die Planung und die Umsetzung überlappen sich." Das bedeutet, dass bereits gebaut wird, auch wenn die Pläne für viele Details noch gar nicht abgeschlossen sind. Es geht dabei zum Beispiel darum, wo und wie welche Kräne aufgestellt werden, damit einerseits der Bau möglichst schnell abgewickelt werden kann, sich andererseits die Riesenmaschinen aber auch nicht gegenseitig behindern oder den Materialtransport stören.

Oder aber um die Maschinen, die einmal in dem Gebäude arbeiten sollen. Welche sind es, in welcher Reihenfolge sollen die Experten von Exyte sie aufstellen? Und: "Wie viel Zukunft soll eingebaut werden?", sagt Büchele, also: Inwieweit müssen mögliche spätere Erweiterungen bereits mitgedacht werden? "Der Kunde gibt den Prozess vor." Im Prinzip wird also festgelegt, was in einer Anlage produziert werden soll, dann entsteht das Gebäude sozusagen drumherum.

Wolfgang Büchele war früher Vorstandschef von Linde, jetzt leitet er einen echten Hidden Champion - die Stuttgarter Firma Exyte. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Etwa 80 Prozent des Geschäfts macht Exyte derzeit mit Halbleiter-Herstellern, unter anderem bauen die Stuttgarter die Erweiterung des Werks von Infineon in Dresden. 18 Monate dauern Büchele zufolge kleinere Projekte, große auch mal drei Jahre. Dabei geht es um Bausummen zwischen 500 Millionen und fünf Milliarden.

Viele Teile der künftigen Gebäude werden nicht an Ort und Stelle gefertigt, sondern bei Vertragsfirmen und dann zusammengebaut, "vergleichbar mit Lego", wie Büchele sagt. "Unsere Teams wissen, was sie wann installieren müssen." Das gilt auch für die gewaltigen Anlagen, in deren Inneren die kaum mehr nachvollziehbaren Prozesse stattfinden, die kleinste Strukturen in Siliziumscheiben erzeugen.

Riesige Maschinen vibrationsfrei aufstellen - "das kann nicht jeder"

Führender Hersteller ist die niederländische Firma ASML, eine ihrer Maschinen wiegt mehr als 100 Tonnen, um sie zu transportieren, sind mehrere Frachtflugzeuge nötig. In der Fab, wie man die Halbleiter-Fabriken in der Fachsprache nennt, müssen sie vibrationsfrei aufgestellt werden. "Das kann nicht jeder", sagt Büchele. Exyte arbeitet mit ASML auch zusammen, um im Inneren der Maschine einen noch reineren Reinraum zu schaffen. Hier kommt es tatsächlich auf jedes Stäubchen an, denn die Spezialanlagen markieren mithilfe von ultraviolettem Licht und Matrizen Strukturen auf Siliziumscheiben, die dann in weiteren Arbeitsschritten weggeätzt werden. Dabei geht es um Nanometer, also Millionstel Millimeter - die modernsten Hochleistungschips sind mittlerweile bei einstelligen Nanometer-Prozessen angelangt.

Im thüringischen Arnstadt hat Exyte einen europäischen Rekord aufgestellt. Dort steht der größte dry room des Kontinents, die Luftfeuchtigkeit darin beträgt weniger als 0,1 Prozent. Zum Vergleich: In der Atacama-Wüste in Südamerika, die als trockenste der Erde außerhalb der Polargebiete gilt, herrscht eine Luftfeuchtigkeit von etwa sechs Prozent. In dem Raum werden zudem auch die Partikeldichte sowie der Luftdruck kontrolliert. Genutzt wird er vom chinesischen Marktführer CATL, der hier Lithium-Ionen-Batteriezellen für den europäischen Markt produziert.

Lieferprobleme und Personalsorgen

Was Exyte Sorgen macht und was die Pläne immer wieder durcheinanderbringt, sind Lieferprobleme. Wenn Teile nicht rechtzeitig ankommen, geraten die ganzen schönen Pläne der Fachleute durcheinander, Improvisationstalent ist gefragt. "Der Kunde sitzt den Projektleitern im Nacken", sagt Büchele, "und wenn wir über Verzögerungen von Monaten reden, dann kriege auch ich mal einen Anruf vom Kunden."

Mehr Sorgen macht Büchele aber ein anderes Problem: Der Mangel an Fachkräften. "Wir suchen Maschinenbau- und Elektrotechnik-Ingenieure, aber auch Betriebswirte, Planer und Logistiker, die den Materialfluss organisieren." Etwa 9000 Mitarbeiter beschäftigt Exyte derzeit, bald sollen es 10 000 sein, denn das Geschäft läuft gut. Das Problem ist natürlich, dass neue Mitarbeiter, die frisch von der Uni kommen, kaum ein Projekt übernehmen können.

Dazu brauche es langjährige Erfahrung, weil das Geschäft komplex sei und manchmal auch unkonventionelle Lösungen hermüssen. Bei einem Projekt in Asien flog die Firma Arbeiter aus einem Nachbarland mit einer Chartermaschine ein, weil es einen akuten Mangel gab. Die Neuzugänge von der Uni müssten erst einmal einige Zeit mit erfahrenen Projektmanagern mitlaufen, um von deren Erfahrung zu lernen.

Das größte Hindernis aus Sicht des Exyte-Chefs aber ist das Home-Office. Viele wünschten es, doch in den Jobs, die das Unternehmen anbietet, müsse man halt auch viel Zeit außer Haus verbringen. "Aber jeder hat 25 Ausreden, warum er nicht auf die Baustelle will."

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