Wer 0,0000001 Prozent an einem Unternehmen besitzt, dem gehört im übertragenen Sinne wohl nicht einmal die sprichwörtliche Klobrille. Ein so verschwindend geringer Anteil an einem so riesigen Koloss wie dem weltgrößten Ölkonzern Exxon Mobil wäre unter normalen Umständen wohl kaum der Rede wert. Aber schon die Umstände sind nicht normal und Exxon auch keine Firma wie jede andere.
Seit Monaten tobt im größten Ölkonzern der Welt schließlich ein Kampf um Macht und Mitsprache: Erst reichten zwei Aktionärsvertreter einen Antrag ein, dass der Ölkonzern seine Emissionen stärker drosseln solle. Dann reagierte Exxon mit einer Klage gegen das Ansinnen der eigenen Anteilseigner. Dabei geht es längst nicht mehr nur um das Klima im engeren Sinne, sondern auch um das gesellschaftliche Klima im Kernland des Kapitalismus.
Wer den Aktionärsstreit verstehen will, muss Mark van Baal kennen. Vielleicht war es ein bisschen wahnwitzig, als sich der Amsterdamer Energieexperte vor inzwischen knapp zehn Jahren vornahm, mit nur einer Handvoll Aktien die Geschicke der weltgrößten Ölkonzerne entscheidend zu beeinflussen. Sein Ansatz: Privatanleger sollten Titel der umstrittenen Ölkonzerne kaufen und ihre Stimmrechte dann von seiner Organisation Follow This vertreten lassen. Anleger als "trojanische Pferde", so hat es van Baal einmal selbst formuliert.
Exxons Klageschrift ist zum Politikum geworden
Je länger sich van Baal mit den Klimabilanzen der Ölkonzerne beschäftigte, desto mehr Ungereimtheiten fielen ihm schließlich auf: Exxon zum Beispiel hat durchaus Klimaziele für seine eigenen Geschäftsaktivitäten formuliert. Doch der größte Teil der Emissionen entsteht nicht, wenn der Ölgigant den Rohstoff aus dem Boden pumpt oder in Raffinerien verarbeitet, sondern wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher den Rohstoff nutzen. Anders als andere Ölkonzerne hat Exxon für diese Emissionen aus dem Verbrauch seiner Produkte keine Klimaziele formuliert - und genau das wollte van Baal zusammen mit dem Anlageverwalter Arjuna Capital in einem Aktionärsantrag erreichen.
Nur wenige Minuten nach Mitternacht am 21. Januar reagierte Exxon auf den Aktionärsantrag, allerdings anders als viele vermutet hatten. In einem 26-seitigen Schreiben an ein texanisches Gericht will Exxon den Antrag der Aktionärsvertreter abweisen lassen. Arjuna Capital und van Baals Organisation Follow This verfolgten eine "extreme Agenda" und wollten "das aktuelle Geschäft der Firma verschlechtern", möglicherweise sogar bestimmte Produkte "eliminieren". Der Druck des Konzerns zeigte offenbar schnelle Wirkung, kaum anderthalb Wochen später zogen die beiden Investorengruppen ihren Aktionärsantrag zurück.
Auch wenn das Ansinnen der Anteilseigner nun nicht auf der Hauptversammlung am kommenden Mittwoch zur Abstimmung stehen wird, hält Exxon an seiner Klageschrift fest. "Wir glauben, dass das Gericht immer noch wichtige Themen zu klären hat. Unsere Pläne haben sich nicht geändert, die Klage geht weiter", sagte die texanische Ölgesellschaft kürzlich in einem Statement. Juristisch stört sich der Konzern vor allem daran, dass die Klimaaktivisten ihre Pläne bereits mehrfach zur Abstimmung gestellt haben und zuletzt nur eine geringe Zustimmung bekamen, ihren Antrag daher nach Regeln der US-Börsenaufsicht nicht direkt wieder einbringen dürften.
Inzwischen ist Exxons Klageschrift jedoch längst zum Politikum geworden, das die Macht der einfachen Anleger in den Fokus rückt. Während sich Aktionärsanträge schließlich simpel einbringen lassen, könnten komplexe Gerichtsverfahren für die aktivistischen Umweltinvestoren unabsehbare Kosten mit sich bringen. "Das ist eine besorgniserregende Entwicklung", sagte kürzlich Nicolai Tangen, der Chef des norwegischen Staatsfonds, der Financial Times. "Wir meinen, dass das sehr aggressiv ist, und wir machen uns Sorgen um die Folgen für die Anlegerrechte."
Noch deutlicher wurde jüngst Marcie Frost, die Chefin des kalifornischen Pensionsfonds Calpers, der wohlgemerkt größte seiner Art in den Vereinigten Staaten mit einem Anlagevermögen von 463 Milliarden Dollar. Mit ungewöhnlich scharfen Worten ging Frost nun mit dem Ölriesen ins Gericht: Exxon wolle "einen Präzedenzfall schaffen", versuche, "Stimmen zum Schweigen zu bringen", und greife zu Methoden, die Mobbing auf dem Schulhof ähnlicher seien als guter Unternehmensführung.
Am kommenden Mittwoch wollten ihre Vertreter auf der Aktionärsversammlung daher gegen den kompletten Vorstand und gegen den Vorstandschef von Exxon stimmen. Je nach Sichtweise ein deutliches Votum, vielleicht aber auch eine kleine Schulhof-Spitze.