Extrembergsteiger:"Männer sind doch alle Spinner und Spieler"

Reinhold Messner über Todes­angst auf 8000 Metern und Instrumente gegen die Finanz­krise.

Interview von Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

Reinhold Messner, von Beruf Bergsteiger, geht neue Wege: Gerade hat er den Regisseur Joseph Vilsmaier dabei beraten, einen Film über die Erstbesteigung des Nanga Parbat zu drehen, bei der Messner im Jahr 1970 seinen Bruder Günther verlor. Und vor ein paar Wochen hat er nun endlich seine langjährige Freundin Sabine Stehle geheiratet. Sie ist es auch, die sich zuhause ums Geld kümmert. Von Gelddingen habe er nämlich, so lässt er vor dem Gespräch ausrichten, keine Ahnung. Also dann . . .

SZ: Herr Messner, reden wir über Geld. Für die meisten Eltern muss es ein Horror sein, wenn ihr Kind sagt: Ich werd als Beruf Bergsteiger. Wie lief das bei Ihnen?

Messner: Ich war schon vor dem Abitur ein begeisterter Kletterer. Ich war kaum in der Schule, fast nur klettern. Mein Vater sagte dann: Du kriegst kein Geld mehr. So arbeitete ich nebenher als Lehrer. 1970, mit Mitte zwanzig, wurde ich gefragt, ob ich zum Nanga Parbat mitkommen will, 3000 Mark musste ich bringen. Als ich vom Nanga Parbat zurückkam, war ich invalide und pleite. Trotzdem habe ich schnell entschieden: Nun tue ich nur mehr das, was ich gerne tue, und irgendwie wird mich das schon ernähren. Seitdem bin ich Freiberufler.

Klingt unsicher. Hatten Sie mal Existenzangst?

Nein, nie.

Warum nicht?

Ich habe Angst, wenn ich auf 8000 Metern bin. Dann habe ich Angst zu sterben. Jetzt denke ich: Ich habe es überlebt, drei Monate durch die Antarktis zu laufen - dann bringt mich die Finanzkrise nicht um. Ich habe keine Angst, dass ich mich nicht ernähren kann.

Wann hatten Sie im Leben die größte Angst?

Am Nanga Parbat. Wir waren tagelang völlig verloren. Die Wahrscheinlichkeit umzukommen war ununterbrochen groß. Meinem Bruder Günther und mir war ununterbrochen klar, wir schaffen es nicht. Der Abgrund, die Kälte, die Übersichtslosigkeit, die Lawinen, die Erschöpfung. Ich hatte eine Woche nichts gegessen. Mein Körper war ausgedörrt. Da kann sich leicht ein Blutgerinnsel bilden, das im Herz oder im Gehirn die Adern verstopft. Dann ist es aus. Die Angst ist so lange da, wie die Hoffnung da ist. Wenn keine Hoffnung mehr da ist, dann lässt man sich in den Tod fallen. Dann ist der Tod wie eine Erlösung. Dann ist alles ganz einfach.

Warum hörten Sie nach dieser Erfahrung nicht auf?

Man steigt auf, um abzusteigen. Das Zurückkommen ist eine Wiedergeburt. Als ich nach dem Verlust meines Bruders Günther halbtot den Nanga Parbat hinunterkam, war das für mich wie eine Geburt. Ich bekam das Leben geschenkt.

Und das streben Sie immer wieder an? Diesen Moment?

Ich vermute das, ja. Du erkennst: Das Leben ist etwas ganz Großartiges, und das lässt Dich alles vergessen, alle Schwüre, das nie wieder zu tun, alle Schmerzen.

Wie sehr macht man das auch, weil man Anerkennung haben will?

Das ist ein interessantes Spiel unter uns. Im Höhenbergsteigen gab es fünf Jahre, da wusste ich, was ich mache, kann niemand auf der Welt. Das beflügelt.

Wie finanzierten Sie Ihre Expeditionen? Gingen Sie zur Bank und beantragten einen Kredit für die Todeszone?

Ich hab' noch nie um Kredit gebeten. Selbst als ich die Solo-Besteigung des Mount Everest 1980 fast nicht finanziert bekam. Die Chinesen knöpften mir 80 000 Dollar für die Genehmigung ab. Ich musste am Ende fast alles verkaufen, was ich besaß. Auch meinen Porsche.

Sie haben doch mal Geld verdient, indem Sie eine Tour führten.

Ich hab' den ersten 7000er in der Geschichte des Bergsteigens geführt, 1972 in Afghanistan. Mea culpa. Heute ist daraus ein Massengeschäft geworden. Hätt' ich gewusst, was auf mich zukommt, hätt' ich das Zehnfache verlangt. Ein hochangesehener Kunstkritiker war dabei. Er war für die Tour zu alt. Im zweiten Lager sagte ich: Es tut mir leid, ich kann Sie nicht auf den Gipfel bringen, zu gefährlich. Er: Ich habe Sie bezahlt. Bringen Sie mich da rauf! Sonst verklage ich Sie.

Und?

Ich hielt ihn trotzdem ab. Danach habe ich beschlossen: Das tue ich nie mehr.

Wann waren Sie sicher, dass Sie vom Bergsteigen leben können?

Bis ich 40 war, brauchte ich alles Geld, um meine Expeditionen zu finanzieren. Ich kam nach Hause und war pleite. Dann verkaufte ich ein Buch, eine Geschichte an ein Magazin, hielt 30 Vorträge, warb für Produkte - und mit dem Geld plante ich die nächste Expedition. Erst ab 40 blieb mir etwas übrig.

Was machten Sie mit dem, was übrig blieb?

Ich kaufte einen Bauernhof. Um mir einen Lebensabend als Selbstversorger zu ermöglichen. Ich habe keine Rente eingezahlt. Ein Bauernhof ist die sicherste Rente. Mittlerweile besitze ich drei, die so geführt werden, wie ich will.

Und zwar?

Jeder Bauer verkauft seine Produkte direkt. Für eine Flasche Wein bekommt er 18 Euro. Wenn er den Wein über einen Händler verkaufen würde, bekäme er nur acht. Einer der Höfe stellt alles her, was es zum Leben braucht: Gemüse, Obst, Wein, Milch, Fleisch, Butter, Holz. Ich kann sofort dorthin ziehen und mit meiner Familie dort leben. Wir arbeiten genau wie vor mehr als 100 Jahren.

Zurück ins 19. Jahrhundert, das soll ein Vorbild sein?

Am Anfang wollte mir keiner glauben, dass meine Pächter davon leben können. Die Politiker hielten mich für einen Spinner. Jetzt sehen sie: Die Pächter haben mehr Autos als ich, denen kann es nicht so schlecht gehen. Beim letzten Finanzkongress in Wien sagte ich vor 1000 Bankern: "Ich vertraute Ihren Papieren nie, ich hab einen Hof gekauft. Wenn Sie das Ganze noch mehr in den Sand setzen, ziehe ich mich dorthin zurück und trinke meinen Wein. Sie lade ich nicht ein." Dafür bekam ich Standing Ovations.

Sie haben kein Geld auf der Bank?

Na doch, schon. Manchmal ruft meine Sekretärin an und sagt: Wir haben kein Geld mehr, Du musst Dir etwas überlegen (lacht). Dann sag ich immer: Ich werde schon noch was finden.

Und zuhause? Verwalten Sie das Geld?

Das macht meine Frau, sie bestimmt das Familienleben. So war das bei uns zuhause auch immer, wir haben nach dem Matriarchat gelebt. Nach außen bestimmte mein Vater, der gab im Wirtshaus an. In Wirklichkeit sagte meine Mutter, wo es lang ging. Das ist doch die logische Lösung.

Warum?

In Tibet vererbt die Mutter alles an die jüngste Tochter. Frauen denken nachhaltiger, über Generationen hinweg. Männer, das sind doch alle so Spinner und Spieler.

Sie auch?

Ich auch. Deshalb überlass' ich alles Wichtige meiner Frau. Sie hat organisiert, dass ich vor jeder Expedition ein Testament machte. Das war gescheit von ihr. Sie wusste, ich kann umkommen.

War Ihr Vater enttäuscht, dass Sie Bergsteiger wurden?

Er hatte ein sonderbares Verhältnis zu mir. Einerseits lehnte er es ab, andererseits war er stolz. Als ich den Everest ohne Sauerstoffgerät machen wollte, sagte die ganze Welt: Jetzt ist er durchgedreht. Alle sprachen meinen Vater in der Dorfbar an. Er sagte: Ihr kennt ihn ja, der tut, was er will, ich hab' ihm gesagt, das packt er nicht. Aber als ich's geschafft hatte, sagte er: Ich wusste es schon immer.

Ihr Vater wollte lieber, dass Sie was Gescheites machen.

Was Praktisches, ja. Aber er hat mich als Kletterer gefördert, weil er merkte, dass ich Talent habe. Er hat mich Sachen klettern lassen, die hätte ich meinen Sohn in dem Alter niemals klettern lassen.

Sie verbieten es Ihrem Sohn heute noch, bestimmte Berge zu klettern?

Der ist 18, der tut, was er will. Er hat gerade eine ganz schwierige Erstbesteigung gemacht, die hätte ich nicht mehr mitmachen können.

Wie ist das zu merken, dass manches körperlich nicht mehr geht?

Als ich Mitte der 80er Jahre die letzten großen Bergtouren gemacht habe, hatte ich schon Pläne, zu den beiden Polen zu gehen. Da braucht man Ausdauer, Erfahrung und Leidensfähigkeit. Das hat man auch noch, wenn man älter ist. Ich bin der Erste, der Grönland der Länge nach durchquert hat ohne Unterstützung aus der Luft. Irgendwann habe ich mich mal gefragt: Was tust Du denn, wenn Du nicht mehr kannst?

Und?

Und dann hatte ich die Idee, Museen zu machen. Mittlerweile habe ich vier Stück: Das fünfte, das Messner Mountain Museum Ripa auf Schloss Bruneck im Pustertal, wird bald fertig. In die Projekte habe ich eine Menge Geld reingesteckt.

Wie viel haben Sie schon ausgegeben ?

Ein paar Millionen werden es schon sein.

Alles fing mit Ihrer Burg Juval an. Was hat die gekostet?

Die war spottbillig. Billiger als jede kleine Eigentumswohnung. 30 000 Euro umgerechnet, 1983. Heute könnte ich sie für zehn Millionen Euro verkaufen. Das war die beste Investition meines Lebens. Mein Banker sagte mir damals: Tun Sie es nicht! Als ich ihn zur Eröffnung der Burg eingeladen habe, hat er sich für diesen Ratschlag entschuldigt. Wenn ich in eine Liebhaberei investiere wie in meine Burg, geht das nie daneben. Gefährlich ist es, wenn ich etwas halbherzig kaufe. Das geht meistens daneben.

Ihr Bergsteigen ist ein ziemlicher Gegenentwurf zum heute typischen Leben mit Karriere, drei Lebensversicherungen und den Vorschriften, wie man in der Firma den Aufzug nutzen darf.

Ich bin im Grunde bürgerlich: Familie, jetzt sogar verheiratet, Wohnungen. Aber das Aufbrechen in die Berge ist ein Gegenmodell, da gibt es keine Versicherung, die nutzt auch nichts, da trage ich die ganze Verantwortung selbst. Ich bin in einem archaischen Raum unterwegs, in der Anarchie. Es gibt keinen Gesetzgeber, keine Macht über mir.

Sind Sie glücklicher, weil Sie ab und zu in diesem archaischen Raum leben?

Ich habe in meinem Leben noch nie gearbeitet. Ich tue genau das, was ich am liebsten mache.

Also ja?

Ja.

Erschienen in der SZ vom 16. Oktober 2009.

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