Exportüberschuss:Warum die Kritik an Deutschland berechtigt ist

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Exportware auf dem Parkplatz: Autos in Bremerhaven. (Foto: REUTERS)

Das deutsche Wirtschaftsmodell steht am Pranger. Doch hierzulande verstehen viele die massive Kritik bewusst falsch. Exporte an sich sind kein Problem. Doch sie können zu einem werden, wenn die Kapitalströme lange einseitig bleiben. Welche Korrekturen nötig sind.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Der amerikanische Ökonom Paul Krugman attackiert das deutsche Wirtschaftsmodell schon seit Jahren - aber hierzulande wird er gern als Blogger abgetan, der zufälligerweise auch mal den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen hat. Hans-Werner Sinn kommt als Ökonom aus einer ganz anderen Ecke als Krugman - doch auch er kritisierte in seinem Bestseller "Basarökonomie" bereits im Jahr 2005 den "pathologischen Exportboom" der Deutschen, weil diese sehr viele Waren in alle Welt verkaufen, die aber in Deutschland oft nur zusammengeschraubt werden. Und selbst US-Präsident Barack Obama hat den Deutschen schon vor mehr als drei Jahren vorgeworfen, sie setzten zu sehr auf den Außenhandel und täten zu wenig für die Binnennachfrage in ihrem Land.

Die Kritik am deutschen Wirtschaftsmodell ist also nicht neu. Doch noch nie wurde sie derart massiv vorgetragen wie in diesen Tagen. Der amerikanische Finanzminister, der italienische Premierminister, der französische Präsident, der Chef der EU-Kommission, die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds - sie alle werfen der größten Volkswirtschaft in Europa vor, dass sie immer mehr exportiert und immer weniger importiert. Mit ihren Exportüberschüssen mache die Bundesrepublik den übrigen Europäern das Leben schwer - ja, so lautet vor allem der Tadel der Amerikaner und des IWF: Deutschland gefährde damit die Stabilität der Weltwirtschaft.

In Deutschland mag man diese Kritik nicht hören. Oder besser gesagt: Man versteht sie bewusst falsch. Denn entgegen den Behauptungen der meisten Verbände und des geschäftsführenden Bundeswirtschaftsministers fordert niemand, dass Deutschlands Unternehmen ihre Exporte drosseln sollen. So etwas ließe sich allenfalls in einer Planwirtschaft umsetzen, nicht aber in einer Marktwirtschaft.

Ja, die Exporte sind nicht einmal das eigentliche Problem. Gefährlich ist stattdessen etwas anderes: Im gleichen Maße, in dem die Deutschen Waren und Dienstleistungen in alle Welt verkaufen, schaffen sie auch das Geld, das sie damit verdienen, ins Ausland - denn irgendwer muss ja den Abnehmerländern den Kauf von "Made in Germany" finanzieren. Die deutschen Exportüberschüsse gehen deshalb seit Jahren mit gewaltigen Kapitalströmen in die südlichen Länder Europas einher. In diesen Staaten sanken dadurch die Zinsen, was Regierungen, Unternehmen und Bürger dort dazu verführt hat, sich noch stärker zu verschulden.

Solche globalen Ungleichgewichte sind per se erst mal kein Problem, denn der Welthandel befindet sich, anders als es der große Außenhandelstheoretiker David Ricardo zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterstellt hat, nun mal nicht permanent im Gleichgewicht. Globale Ungleichgewichte gehören zu einer dynamischen, sich verändernden Weltwirtschaft dazu. Zum Problem werden sie erst dann, wenn sie zu groß werden und das Kapital über einen sehr langen Zeitraum in eine Richtung fließt. Dann entstehen Blasen, und Wechselkurse werden verzerrt; wenn Blasen platzen, kommt es zu Krisen.

Im Fall von Deutschland gibt es nun genau dieses Problem: Die Exporte übersteigen seit sechs Jahren die Importe immer stärker, während es in den USA seit Langem umgekehrt ist und die Amerikaner weit mehr Waren und Kapital importieren, als sie exportieren. Niemand verlangt, dass die Deutschen sich komplett von ihrem Modell verabschieden; nur eine Korrektur, eine Normalisierung wäre sinnvoll. Was also ist zu tun?

Vor allem eines: Weil, wie gesagt, niemand den hiesigen Exportunternehmen Fesseln anlegen will, muss Deutschland am anderen Ende ansetzen - und seine Binnennachfrage stärken. Die große Koalition muss also das tun, was die SPD vor der Wahl gefordert hat: Sie muss die staatlichen und privaten Investitionen ankurbeln (beide sind im internationalen Vergleich sehr niedrig). Und die Koalition muss, um auch den Konsum zu befeuern, etwas tun, was bislang weder die SPD noch die Union ernsthaft will: Sie muss die Nettolöhne erhöhen. Aber das geht - weil hierzulande nun mal die Tarifautonomie gilt - nur indirekt: Die neue Regierung muss die Steuern und Sozialabgaben senken; dann bleibt am Ende den Bürgern vom Brutto mehr Netto übrig und sie können mehr ausgeben.

Solch eine Politik würde nicht nur hierzulande das Wachstum ankurbeln, das auch im sechsten Jahr nach dem Lehman-Crash immer noch sehr mager ist. Solch eine Politik würde auch der gesamten Euro-Zone zu einem Schub verhelfen; dies würde den Krisenländern zu mehr Jobs und höheren Exporten verhelfen - und so dazu beitragen, dass diese zähe, elende Krise schneller zu Ende geht.

© SZ vom 14.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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