Konjunktur:Die Exporte boomen

Frachtschiff vor der Kueste New Yorks USA New York City freighter in front of New York USA New Y

Die Exporte treiben den Aufschwung aus der Pandemie. Ein Frachtschiff vor der Küste New Yorks.

(Foto: M. Gann/imago/blickwinkel)

Deutsche Firmen verkaufen schon wieder so viel ins Ausland wie vor Corona. Fehlende Teile bremsen aber. Und der Streit zwischen den USA und China könnte für viel Ärger sorgen.

Von Alexander Hagelüken

Deutsche Unternehmen verkaufen viel ins Ausland und stabilisieren so die Konjunktur. "Die Exporte treiben den Aufschwung aus der Corona-Krise wesentlich an", analysiert der Ökonom Jens Südekum. Allerdings zeichnen sich einige Herausforderungen ab: von fehlenden Teilen für die Produktion über Klimafragen bis zum Titanenkampf zwischen den Vereinigten Staaten und China.

Im Juni nahmen die deutschen Exporte um 1,3 Prozent zu, meldet das Statistische Bundesamt. Das war das vierzehnte Monatsplus in Folge. Überdurchschnittlich gegenüber dem Vorjahr stiegen die Ausfuhren in andere EU-Länder - und in die USA, wo Präsident Joe Biden viel Geld in die Wirtschaft pumpt. Hier gab es ein Plus von 40 Prozent.

"Als die Corona-Pandemie ausbrach, brach der Handel stark ein", sagt Jens Südekum, Professor für Internationale Ökonomie an der Uni Düsseldorf. "Die Wertschöpfungsketten zerrissen. Aber danach kamen die Exporte schneller in Gang als die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt. Das Geschäft mit China und den USA zog die deutsche Industrie aus dem Dreck und stützte die Konjunktur in schwierigen Zeiten."

2020 war die deutsche Wirtschaft so stark eingebrochen wie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg nur in der Finanzkrise 2008. Die Exporte belebten, als Geschäfte und Gastronomie noch geschlossen waren. Inzwischen liegen sie bereits wieder höher als vor Ausbruch der Pandemie. Auch der Ausblick für die nächste Zeit ist gut. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag korrigierte seine Prognose kürzlich nach oben. Dieses Jahr erwartet der Verband nun ein Exportplus von acht Prozent.

Transportprobleme und Liefermängel bremsen die Produktion

Stefan Kooths schüttet Wasser in den Wein. Etwa die Hälfte des Exportanstiegs im Juni geht auf Preiseffekte zurück, rechnet der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) vor. Betrachte man nur die ins Ausland verkauften Mengen, schrumpften diese im April und Mai sogar. Der Grund sind Transportprobleme und Liefermängel bei Teilen wie Chips, die die Produktion bremsen.

Da kommt dieses Jahr viel zusammen. In den USA stoppte Frost die Chipfertigung, in Japan brannte eine Chipfabrik ab. Auf vielen Routen sind Container knapp, im März lief auch noch im viel befahrenen Suezkanal das Riesenschiff Ever Given auf Grund und blockierte tagelang andere Schiffe. "Das Expansionstempo der Exporte hat sich deutlich verlangsamt", warnt IfW-Ökonom Kooths. "Aber das liegt nicht etwa an einer lahmenden Weltwirtschaft, sondern an Transporthindernissen und Lieferengpässen."

Kooths kalkuliert, diese Probleme kosteten die Bundesrepublik dieses Jahr 25 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung. Sie bremsten auch im Juli und August die Exporte und sind aus seiner Sicht bis Jahresende ein Thema. Die Politik könne dagegen nichts tun: "Das muss die Logistikbranche lösen." Er spricht sich explizit gegen Gedankenspiele aus, die seit Ausbruch der Pandemie immer wieder zu hören sind: Deutschland und Europa müssten mehr Produktion zurückholen, um sich gegen Lieferprobleme zu wappnen. "Die Vorteile des freien Handels aufzugeben wäre ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Und warum auch? Dieses Jahr kam wirklich viel an Logistikproblemen zusammen. So eine Häufung ist selten."

Um den freien Handel und seine Vorteile für Deutschland zu sichern, fordert Kooths die Politik, sich mehr zurückzuhalten. Eigene Umwelt- oder Arbeitsstandards etwa durch das beschlossene Lieferkettengesetz auf andere Länder zu übertragen, werde nicht funktionieren - und von diesen Staaten als Protektionismus verstanden. Kooths drängt die EU, den geplanten Klimazoll für Importe aus Ländern mit weniger Klimaschutz so zu gestalten, dass er nicht als Kampfansage aufgefasst wird: "Die EU sollte die Einnahmen aus diesem Grenzausgleich mit den anderen Ländern halbe-halbe teilen."

Industriestaaten sollten ungenutzte Impfdosen rasch in ärmere Ländern liefern

Jens Südekum von der Uni Düsseldorf sorgt sich währenddessen um eine andere Frage, die neben Menschenleben auch den Außenhandel bedroht. "In Ländern wie Indien oder Brasilien wütet die Pandemie noch voll, und es gibt wenig Impfungen. Wenn der Rest der Welt weitere ein, zwei Jahre in der Pandemie steckt, ist das aus vielen Gründen eine schlechte Nachricht." Südekum ruft die Industriestaaten auf, so schnell wie möglich ungenutzte Impfdosen in ärmere Länder zu liefern und auch sonst alles zu tun, um dort Impfungen zu beschleunigen.

Am Horizont lässt sich eine weitere Frage erkennen, die die Zukunft des Handels und der deutschen Wirtschaft allgemein stark beeinflusst. "Wenn Donald Trump die Wahl gewonnen hätte, hätte er Europas Firmen vor die Wahl gestellt, Geschäfte entweder nur mit den USA oder nur mit China zu machen. Das war für Dax-Konzerne das Super-GAU-Szenario", sagt Südekum. "Joe Biden artikuliert anders und eskaliert nicht wie Trump, aber auch er könnte Druck auf Europa ausüben, sich mit ihm gegen China zu stellen. Ich warte noch auf ein klares Signal, was Biden wirklich will."

Südekum erwartet, dass deutsche Konzerne und größere Mittelständler versuchen, mögliche Handelsstreitigkeiten zu umgehen: indem sie noch stärker Produktion und Vertrieb sowohl in China wie in den USA aufbauen, um dann als quasi lokale Firma ungeschoren zu bleiben, wenn ein Handelsstreit losbricht. Bisher hätten solche Direktinvestitionen im Ausland unter dem Strich in Deutschland keine Arbeitsplätze gekostet. "Wenn künftig ganze Produktionswege verlagert werden und nicht wie bisher Kernkompetenzen der Industrie im Inland belassen werden, könnte das aber durchaus zu Jobverlusten führen."

Der Ökonom rät Europa im Titanenkampf zwischen USA und China zu mehr Selbstbewusstsein - und zu Investitionen in die Zukunft. Joe Biden versuche mit den großen Ausgabenprogrammen, gezielt Technologien zu entwickeln und Geschäftsmodelle anzugreifen, die bisher Europas Domäne seien. "Europa muss massive staatliche Investitionen starten, um stark und unabhängig zu werden - dann werden die USA oder China weniger versuchen, Druck auszuüben." Bei dieser Frage hält Südekum die Bundestagswahlen für entscheidend: "Da muss jemand ins Kanzleramt kommen, der so eine Investitionsagenda anpackt."

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