Jennifer Lopez tänzelt. Vor der Bühne gibt es Wasserspiele, Bässe wummern. Eine Geburtstagsparty ganz nach dem Geschmack von Gurbanguly Berdimuhamedow, dem Herrscher von Turkmenistan. "Happy Birthday, Mister President", flötet Lopez. Später war der Sängerin der Auftritt peinlich. Dass es um die Menschenrechte in Turkmenistan so schlecht bestellt sei, hätten sie und ihr Management nicht gewusst.
Geschäftsmäßig ignorant handeln Unternehmen, die an Turkmenistan und ähnliche Länder Überwachungstechnologien verkaufen wollen. Was schon in demokratischen Staaten höchst umstritten ist, wird in den Händen von Diktatoren zur digitalen Waffe. Deutsche Firmen preisen ihre Produkte bei fragwürdigen Regimen weltweit an. Das zeigen neue Unterlagen von Wikileaks, die der Norddeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung im Rahmen einer Recherchekooperation vorab einsehen konnten. Die Enthüllungsplattform startet damit eine neue Veröffentlichungswelle.
Um Wikileaks war es zuletzt still geworden, seit die Schlüsselfigur Julian Assange nach Ermittlungen aufgrund von Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet war. Nun veröffentlicht seine Organisation Hunderte Seiten Dokumente von Herstellern von Überwachungstechnologie. Es finden sich Informationen über Firmen wie Glimmerglass oder Vupen. Glimmerglass bietet Hilfsmittel zum Anzapfen von Glasfaserkabeln an, Vupen verkauft Informationen über Schwachstellen bekannter Software, damit Staaten so in Computer einbrechen können. Der Markt der Überwachungstechnologie ist milliardenschwer. Wenn ein Diktator den Amerikanern nacheifern und ein Spähprogramm aufbauen möchte, kann er sich an deutsche Firmen wie Trovicor, Utimaco, Atis, Elaman und Gamma Group wenden.
Regelmäßige Flüge nach Turkmenistan
Zum Beispiel Staatspräsident Berdimuhamedow, der offiziell von 97 Prozent seiner Untertanen gewählt wurde. In sein Reich schickte die Gamma Group ein Angebot: Die deutsch-britische Firma präsentierte eine Überwachungslösung namens "Finfly ISP". Das Produkt wird in den Knotenpunkten des nationalen Internets installiert, dann können Nutzer "infiziert" werden, deren Daten über die zentralen Kreuzungen geschickt werden - also praktisch jeder. Ist erst ein Gamma-Trojaner auf der Festplatte, hat der Staat potenziell Zugriff auf das gesamte virtuelle Gedächtnis der Zielperson, auf E-Mails, Geschäftsdaten und Unterhaltungen mit dem Videotelefonie-Programm Skype. Es ist mächtiger als Prism. Selbst technisch versierte Nutzer können sich dann nicht mehr gegen die Überwacher wehren.
Gamma-Chef Martin Münch hatte vor wenigen Monaten im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung betont, dass "Finfly ISP" kein Werkzeug zur Massenüberwachung sei, sondern nur gegen einzelne Individuen eingesetzt werde. Aber wer wählt die zu überwachenden Personen aus? Staatspräsident Berdimuhamedow? Ob ein Staat Kunde ist oder nicht, und in welche Länder er Angebote schickt, dazu schweigt Münch. Eine erneute Anfrage ließ er unbeantwortet.
Wikileaks wurden auch Daten zugespielt, aus denen hervorgeht, wie oft die großen Hersteller von Spähprodukten in welches Land gereist sind: Alleine dieses Jahr waren Mitarbeiter deutscher Firmen demnach in Turkmenistan, Oman und Äquatorialguinea - Staaten, die in Demokratie-Rankings auf den hintersten Plätzen landen. "Die Reisen der Firmenvertreter in die meisten dieser Länder lassen vermuten, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung für Menschenrechte nicht gerecht werden", sagt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen. Gamma-Chef Münch reiste den Daten zufolge ins autoritär regierte Kasachstan.
Das Angebot an Turkmenistan wurde bereits 2011 öffentlich. Die neuen Reisedaten zeigen nun, dass die Firma Elaman immer wieder Vertreter nach Turkmenistan schickte. Elaman ist ein Vertriebspartner von Gamma. Die Firma reagierte nicht auf schriftliche Fragen.
Das Unternehmen Trovicor, das früher zu Nokia Siemens Networks gehörte, bestätigte, dass die Wikileaks vorliegenden Reisedaten zumindest teilweise korrekt seien. Sie zeigen etwa Reisen eines Vertriebsleiters in das Trovicor-Büro in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Arabischer Frühling sorgte für finanzielle Probleme
Staaten in Nahost und Nordafrika gehören zu den wichtigsten Zielgruppe, so heißt es in Unterlagen der Bad Homburger Firma Atis. Sie bietet ein Überwachungssystem namens "Klarios" an, mit dem Daten- und Telefonnetze überwacht werden können. Der arabische Frühling hatte der Firma nach eigenen Angaben zu schaffen gemacht.
In den Wikileaks-Veröffentlichungen findet sich eine Präsentation, in der Atis stolz mitteilt, im Nahen Osten einen Marktanteil von fünfzig Prozent zu besitzen. Es gebe mehr als 100 Klarios-Überwachungsstationen weltweit. Tunesien nutze das System seit 1998. Damals herrschte noch der Autokrat Zine el-Abidine Ben Ali in dem Polizeistaat; wer dort Geschäfte machen wollte, musste Ben Alis Familienbande beteiligen. Atis äußerte sich dazu nicht.
Regierung will Auflagen nicht verschärfen
Solche Exporte sind heikel - in der Regel aber legal. Denn die Ausfuhr von Überwachungstechnologie wird in Deutschland lax kontrolliert, weil Trojaner und andere Hacker-Werkzeuge nicht als Waffen gelten. Der politische Wille der Bundesregierung, daran etwas zu ändern, ist gering. Union und FDP antworteten Reporter ohne Grenzen sinngemäß, dass die bestehenden Regelungen ausreichend seien. SPD, Grüne, Linke und Piratenpartei sprachen sich für eine strengere Genehmigungspolitik bis hin zu Exportverboten aus.
In Großbritannien beispielsweise sind die Regeln etwas strenger. Dort hat die Gamma Group neben München ihren Hauptsitz. Aktivistengruppen haben bei der britischen Kontaktstelle für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Beschwerde eingereicht. Sie werfen Gamma vor, an den Polizeistaat Bahrain geliefert zu haben. Die Ermittler hätten dann dank der Technik Oppositionelle aufgespürt und gefoltert. Die Kontaktstelle, angesiedelt im britischen Wirtschaftsministerium, sah die Anschuldigungen als schwerwiegend und schlüssig genug an, um ein Mediationsverfahren einzuleiten.
Für nächste Woche ist ein Treffen der Kontaktstelle, den Gamma-Kritikern und dem Unternehmen geplant; ob die Firma einen Vertreter schicken wird, ist jedoch offen. Ein Thema dürften dann jedenfalls zwei verdächtige Reisen eines Gamma-Mitarbeiters sein. Er hielt sich laut den Wikileaks-Daten im März und im Juni am Persischen Golf auf: in Bahrain.