Süddeutsche Zeitung

Innovation in Deutschland:Digital daneben

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Wie innovativ ist Deutschland? Eine Expertenkommission der Regierung zeichnet ein ziemlich düsteres Bild - vor allem, wenn es um Digitalisierung geht.

Von Helmut Martin-Jung

Deutschlands wichtigste und nahezu einzige natürliche Ressource ist technologisches Know-how, das lernen schon Schulkinder. Umso wichtiger also, diese Stärke zu erhalten oder sogar auszubauen. Das ist schon in normalen Zeiten nicht einfach, doch nun herrscht Krieg in Europa. Wie es um die Forschung und Innovation hierzulande steht, das ermittelt einmal im Jahr die Expertenkommission Forschung und Innovation, kurz EFI. An diesem Mittwoch ist die neueste Version des Berichts an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), übergeben worden. In den Bericht konnte natürlich noch nicht abgewogen werden, wie der Krieg sich auf Forschung und Entwicklung auswirken wird.

Dass geplante Vorhaben nun eingeschränkt werde, das müsse aber gar nicht sein, sagt Uwe Cantner, Lehrstuhlinhaber für Mikroökonomik in Jena, und Vorsitzender der Expertenkommission. Der Ruck, der nun durchs Land gehen müsse, sei zwar von außen auferlegt, könne aber, wenn etwa das Sondervermögen, das nun bereitgestellt werden soll, klug eingesetzt werden. Schließlich dürfe man die Herausforderungen trotz des Krieges in der Ukraine nicht aus den Augen verlieren, denen sich Deutschland und Europa stellen müssten. Zudem seien auch in der Militärtechnik Innovationen nötig, an denen es bisher in Deutschland fehle.

Besonders erfreulich ist es nämlich nicht, was der Kanzler sowie eine Reihe von Ministerien da im jüngsten EFI-Bericht zu lesen bekommen. Die Verfasser, sechs Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, sehen Deutschland in nahezu allen Bereichen hintendran. Die Autorinnen und Autoren haben auf 186 Seiten 13 sogenannte Schlüsseltechnologien identifiziert. Diese werden so bezeichnet, weil ohne sie auch in vielen anderen Bereichen nichts läuft. "Nur bei wenigen, zum Beispiel Lebenswissenschaften und Produktionstechnologie, sind wir gar nicht so schlecht", sagt Uwe Cantner der Süddeutschen Zeitung.

Deutschland liegt weit hinter den USA, China oder Korea

Besonders groß aber ist der Rückstand bei der Digitalisierung, "da sind wir richtig schlecht", urteilt Cantner. Mit den USA, mit China oder Korea könne Deutschland hier nicht mithalten. In keinem von sechs Bereichen der Digitalisierung zeige Deutschland eine Stärke, die maßgeblichen Importe für die Technologie kämen aus Asien, die meisten davon aus China. "Die Frage ist aber: Können wir uns immer frei auf den Weltmärkten bedienen?" Angesichts einer derart großen Abhängigkeit sei das eine reale Gefahr.

Eigentlich seien die Mitglieder der Expertenkommission zwar gegen industriepolitische Maßnahmen, bei der Digitalisierung aber, insbesondere bei der Produktion von Mikrochips, liege der Fall anders. Hier seien Eingriffe geboten - jedoch nur katalytisch, also als Anschubhilfe. Deutschland könne dabei gegen die großen Pole China und USA nicht alleine bestehen, das Projekt müsse auf europäischer Ebene gedacht werden. Cantner begrüßt, dass sowohl die EU die Spielregeln dafür geändert hat - Chip-Firmen dürfen nun Subventionen erhalten - als auch die Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt habe, tätig zu werden.

Der Kommissionsvorsitzende warnt aber auch davor, es mit der Eigenständigkeit zu übertreiben. "Man kann nicht überall Souveränität haben", sagt Cantner, und man müsse auch nicht die gesamte Breite abdecken. Aber man müsse die Technologien schon beherrschen. Die EFI fordert daher die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums, das technologische Entwicklungen im Blick hat und Veränderungen bewertet, ähnlich wie das die Wirtschaftsweisen tun. Die Empfehlungen dieses Gremiums müssten auch statistisch untermauert sein. In Israel oder Australien gibt es das schon.

Trotz aller Nüchternheit klingt der Bericht an vielen Stellen dramatisch

Der EFI-Bericht liest sich wie eine wissenschaftliche Arbeit und genügt auch den dabei üblichen Standards. Trotz aller Nüchternheit klingt er an vielen Stellen dennoch fast dramatisch, so sehr sorgen sich die sechs Mitglieder des Gremiums um die Innovationskraft des Landes. Ein Beispiel: "Die Bundesregierung kann sich nicht darauf verlassen, dass es ausreicht, die Technologiebereiche und Wirtschaftszweige, die Deutschland in den letzten Dekaden wirtschaftlich stark gemacht haben, weiterzuentwickeln sowie auf inkrementelle, auf höchste Qualität und auf größte Effizienz ausgerichtete Innovationen zu setzen. Der transformative Wandel lässt sich nur mit erheblichen, oft radikalen technologischen Neuerungen, sozialen Innovationen und dazu komplementären Verhaltensänderungen realisieren." Man könnte es auch so sagen: "Weiter so" wird nicht reichen, dazu ist der Wandel zu radikal.

An vielen Stellen wird besonders auf die Versäumnisse bei der Digitalisierung hingewiesen. "Auch in einer globalisierten Welt muss man einige Schlüsseltechnologien beherrschen", sagt der EFI-Vorsitzende Cantner, "bei der Digitalisierung müssen wir unbedingt besser werden und einen Fuß in die Tür bekommen". Eine Chance dafür sehen die Expertinnen und Experten bei digitalen Plattformen für Geschäftskunden, B2B genannt. Bei den Plattformen für Verbraucher wie Google oder Facebook sei der Zug abgefahren, aber bei B2B-Plattformen sei es noch nicht zu spät. Ihnen ist daher ein ganzes Kapitel gewidmet.

Warum aber hinken Deutschland und auch der Rest Europas den USA und China bei der Digitalisierung überhaupt so weit hinterher? Cantner argumentiert zum einen, die USA seien Europa stets um etwa zwei Jahre vorausgewesen. "Wenn es um Netzwerkeffekte geht, reicht das, um zu gewinnen." Netzwerkeffekte, damit ist gemeint, dass Angebote wie Facebook oder Google nur dann gut funktionieren, wenn sie eine große Nutzerzahl auf sich vereinen können. Das verschafft ihnen den Vorsprung, gemäß dem Motto, dass der Sieger alles bekommt.

"Jeder kocht sein eigenes Süppchen"

Der Jenaer Wirtschaftswissenschaftler sieht aber noch einen anderen Grund: "Wir kommen nicht zu Potte, weil wir keine richtige Digitalstrategie haben", sagt er. Die EFI habe beispielsweise sehr deutlich für ein Digitalministerium plädiert, nun gebe es wieder keines, stattdessen aber stets die Frage, wer bei einem bestimmten Thema den Hut aufhabe. Ein koordiniertes Vorgehen sei das nicht, "jeder kocht sein eigenes Süppchen". Auch die föderale Struktur Deutschlands setze einem besser koordinierten Vorgehen oft Grenzen, beklagt Cantner.

Die EFI warnt in ihrem Bericht denn auch leicht verklausuliert vor "durchsetzungsstarken Einzelinteressen". Diese könnten im Extremfall dazu führen, dass Technologien unterstützt werden, die in keiner Weise als Schlüsseltechnologie bezeichnet werden könnten. Das gelte etwa für den Marine-Unter- und Überwasserschiffsbau. Auch deshalb fordern die Expertinnen und Experten ein unabhängiges Beobachtergremium, das die wirklich förderwürdigen Technologien identifiziert.

Lob für die Quanten-Initiative

Lob gibt es immerhin für die Investition in die Quantentechnologie, viele Projekte dafür hätten auch bereits begonnen. Allerdings müsse die Finanzierung auch über das Jahr 2025 hinaus sichergestellt werden. Schlechter sieht es dagegen bei der Förderung der künstlichen Intelligenz (KI) aus. Fünf Milliarden Euro waren dafür vorgesehen, 3,5 Milliarden wurden in den Haushalt übernommen - aber weniger als ein Zehntel davon bis jetzt abgerufen. Die Regierung müsse Konzepte dafür erarbeiten, wie die Mittel zielführend eingesetzt werden könnten.

Auch die Digitalisierung der Verwaltung kommt nach Meinung der EFI zu langsam voran. Von den 575 Verwaltungsdienstleistungen, die dem Onlinezugangsgesetz (OZG) zufolge bis Ende 2022 allen Bürgern zur Verfügung stehen sollten, seien per Stand September 2021 nur 84 umgesetzt und verfügbar. Immerhin aber würden die Regierungsparteien klare Verantwortlichkeiten benennen und "mit einem zentralen Budget die Umsetzung des OZG und die Standardisierung von Strukturen und Prozessen endlich vorantreiben".

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