Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:"Die Bundeskanzlerin ist klug genug, Linie zu halten"

Ist der Euro nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland noch sicher? Und was bedeuten die politischen Veränderungen für die deutsche Wirtschaftspolitik? Ökonomen, Arbeitgebervertreter und Gewerkschafter zeigen sich gelassen, aber warnen davor, den Fiskalpakt wieder aufzuschnüren.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbändepräsidenten

Head of Germany's employers association Dieter Hundt holds a news conference in Berlin

Quelle: REUTERS

Ist der Euro nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland noch sicher? Und was bedeuten sie für die deutsche Wirtschaftspolitik? Experten zeigen sich gelassen, aber warnen davor, den Fiskalpakt wieder aufzuschnüren.

1. Frage: Welchen Effekt haben die Wahlen in Frankreich und Griechenland auf die künftige Wirtschaftspolitik? Ist der Euro dadurch unsicherer geworden?

2. Frage: Worauf sollte die deutsche Regierung bei den anstehenden Gesprächen mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande Wert legen?

Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbändepräsidenten (BDA)

1. Die bestehenden wirtschafts- und währungspolitischen Risiken sind nicht durch den Euro, sondern die immense Staatsverschuldung in mehreren EU-Mitgliedstaaten begründet. Die Lage der öffentlichen Haushalte ist für jede betroffene Regierung eine gewaltige Herausforderung. Für ein wirtschaftlich erfolgreiches und soziales Europa sind die konsequente Bekämpfung der Staatsschulden durch Haushaltskonsolidierung, nachhaltige Strukturreformen an den Arbeitsmärkten und gezielte Wachstumsimpulse die entscheidende Voraussetzung.

2. Der beschlossene Fiskalpakt darf nicht aufgeschnürt werden. Ohne Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen ist keine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung möglich. Es geht nicht um mehr Staatsausgaben, sondern um eine stärkere Konzentration auf wachstumsfördernde Maßnahmen. Deutschland hat mit einer produktivitätsorientierten Tarifpolitik und tiefgreifenden Arbeitsmarktreformen eine positive Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung erreicht.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Lutz Goebel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer

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Quelle: Stephan Rumpf

Lutz Goebel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer

1. Die Wahlen sind wie erwartet ausgegangen - und werden die Euro-Rettung leider sehr erschweren. In Griechenland sieht man, dass es innerhalb des Euro unmöglich ist, das Land ohne schwere innere Verwerfungen zu sanieren. Deshalb sollte man Athen den Austritt ermöglichen und die freigegebenen Sanierungsmittel für einen Neuanfang außerhalb des Euro verwenden. Frankreich ist Euro-Kernland. Wenn Hollande durch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme wirklich sein Defizit erhöhen sollte, wird kein privater Anleger mehr Staatsanleihen kaufen. Dann wird wohl die Notenpresse angeworfen und versucht, das gigantische Risiko über das Instrument Euro-Bonds bei Deutschland abzuladen. Dann können wir nur noch darauf hoffen, dass ihn die Ratingagenturen zum Umdenken bewegen.

2. Drei Themen müssen klar ausgesprochen werden: Die Ausweitung der EZB-Aufgaben auf die Stimulierung des Wirtschaftswachstums würde für uns Deutschen die Geschäftsgrundlage entziehen, die bei der Euro-Einführung vereinbart wurde. Die Risiken von Euro-Bonds würden die Leistungsfähigkeit Deutschlands übersteigen und das Budgetrecht des Bundestages aushöhlen - dem würde am Ende Karlsruhe einen Riegel vorschieben. Und: Herr Schäuble und Bundesbankpräsident Weidmann sollten einmal die hohen negativen Target-Salden vorrechnen, durch die Deutschland bereits jetzt Frankreichs Großgläubiger geworden ist.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln

Michael Hüther in Berlin, 2009

Quelle: lok

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln

1. Auch Hollande muss die Bedingungen der Kapitalmärkte anerkennen. Er wird sich aus den europäischen Vertragsverpflichtungen nicht herauswinden können. Man wird ergänzende Wachstumspolitik über Irgendwelche EU-Fonds beschließen, aber das ist nur ein Placebo. An der Grundlinie der europäischen Politik wird sich nichts ändern, auch nicht an der Bewertung des Euro. Griechenland ist das größere Risiko. Wenn das Land politisch zerfällt, wird zwar nicht die Existenzfrage der Währungsunion gestellt, aber dann wird der Ausschluss Griechenlands thematisiert.

2. Die Bundeskanzlerin ist klug genug, Linie zu halten. Damit Hollande das Gesicht wahren kann, wird es aber ein paar kosmetische Veränderungen geben. Man könnte etwa Mittel aus dem Kohäsionsfonds lockermachen oder den europäischen Haushalt umschichten, weg von der Agrar- hin zur Wachstumspolitik.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Anton F. Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen

Anton F. Börner

Quelle: oh

Anton F. Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen

1. Der Euro ist nicht unsicherer geworden. Selbst ein Politikwechsel in Griechenland kann die Europäische Gemeinschaftswährung nicht ernsthaft gefährden. Dafür ist das Gewicht Griechenlands in der Währungsunion zu gering. François Hollande ist Realpolitiker genug, um sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Und die Situation in Griechenland bleibt weiter außerordentlich angespannt.

2. Zum Konsolidierungskurs in Europa gibt es keine realistische Alternative. Daher wird auch der neue französische Präsident um Stabilität bemüht sein. Das nun zur Diskussion stehende Wachstumsprogramm wird deshalb nicht zulasten neuer Schulden gehen können. Nur mit geordneten Finanzen kann man die Schuldenkrise bewältigen, die Märkte beruhigen und die Investoren weltweit davon überzeugen, weiterhin ihr Geld in Europa anzulegen.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Bert Rürup, Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer

Studie zu MehrNetto

Quelle: dpa

Bert Rürup, Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer

1. Die Wahlen in beiden Ländern belegen, dass strikte Haushaltsdisziplin über schmerzliche Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in einer Demokratie nur möglich ist, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung sich davon eine Verbesserung und keine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Zukunft verspricht. François Hollande dürfte deshalb für Angela Merkel der bessere Partner bei den Bemühungen um eine nachhaltige Stabilisierung des Euro-Systems und eine Vertiefung der europäischen Integration sein.

2. Die wachstumspolitische Flankierung des Fiskalpakts sollte nicht aus schuldenfinanzierten Konjunkturimpulsen bestehen. Sinnvoller sind Investitionsförderung, telekommunikative Erschließung oder Studienprogramme, die aus den verabschiedeten Budgets der EU-Fonds zu finanzieren wären. Die Früchte dieser Maßnahmen wird man allerdings erst in einigen Jahren ernten können.

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Experten zu Wahlen in Griechenland und Frankreich:Michael Sommer, DGB-Vorsitzender

1. Mai in Stuttgart

Quelle: dpa

Michael Sommer, DGB-Vorsitzender

1. Der Euro ist keineswegs unsicherer geworden. Die Wähler und Wählerinnen in Frankreich und Griechenland haben deutlich gemacht, dass sie einen Kurswechsel in Europa wollen. Wie dieser Kurswechsel aussehen kann, haben wir Gewerkschaften bereits in unserem Vier-Punkte-Programm skizziert: Wir brauchen endlich ein Wachstumspaket für Europa, eine Finanztransaktionsteuer und eine wirkliche Regulierung der Finanzmärkte. Die Regierungen dürfen sich nicht weiter von Spekulanten erpressen lassen.

2. Es ist nicht an mir, der Bundeskanzlerin Ratschläge zu geben. Aber ich hoffe, dass die Kanzlerin François Hollande zuhört und die französischen Bedenken gegenüber dem Fiskalpakt ernst nimmt. Wir dürfen das Votum der Menschen in Frankreich und Griechenland nicht ignorieren. Denn die Menschen, besonders die Jugendlichen, brauchen eine Perspektive für ihr Leben. Ein Wachstumspaket für Europa muss durch Investitionen in Infrastruktur, Zukunftstechnologie und Bildung Arbeitsplätze schaffen und sichern. Jetzt muss ein soziales Europa im Interesse der Menschen Gestalt annehmen. Europa ist ein historisches Friedensprojekt und darf sich nicht von den Menschen abkoppeln.

© SZ vom 8.5.2012/rela
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