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Existenzgründungen:Viele schließen, viele öffnen

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Immer weniger Menschen machen sich selbständig. Das liegt vor allem an der guten Arbeitsmarktlage. Doch in manchen Branchen steigt die Zahl der Neugründungen dennoch.

Von Tanja Koch

Als Blogger über Trends berichten, sich mit einer eigenen Homepage als Unternehmensberater etablieren, den eigenen Roman als E-Book veröffentlichen - das Internet hat den Weg in die Selbstständigkeit enorm erleichtert. Wer über einen Computer und eine Internetverbindung verfügt, kann innerhalb weniger Stunden eine professionelle Internetpräsenz gestalten. Doch die jährliche Statistik des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn zeigt: Die Anzahl der Existenzgründungen ist seit 2012 rückgängig.

Im vergangenen Jahr sank sie um 2,7 Prozent auf 377 900. Doch wer genauer hinschaut, sieht: In Zusammenhang mit freien Berufen - etwa Schriftsteller und andere künstlerische Berufe sowie die erwähnten Unternehmensberater - hat sich die Anzahl der Existenzgründungen erhöht. Im Jahr 2016 ist ein Anstieg von 6,6 Prozent auf 88 800 Neugründungen zu erkennen. "Bei den freiberuflichen und gewerblichen Gründungen gibt es entgegengesetzte Entwicklungen", erklärt Professorin Friederike Welter, Präsidentin des IfM. Als Gewerbe zählen etwa Restaurants oder Geschäfte. Die Anzahl der Gründungen in diesen Wirtschaftsbereichen sank 2016 um 5,4 Prozent auf 282 400.

Vor fünf Jahren betrug der Anteil der gewerblichen Gründungen 81 Prozent. Im Jahr 2016 waren es nur noch 74,7 Prozent. Zum einen zeichne sich hier die Veränderung der Wirtschaftsstruktur in Richtung des Dienstleistungssektors ab, zum anderen die gute Arbeitsmarktlage: "Qualifizierte Fachkräfte besitzen weiterhin gute Chancen, eine abhängige Beschäftigung zu finden", erklärt Welter.

Wie sich die Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen entwickelt, hänge jedoch von der Branche und von bestimmten Modeerscheinungen ab. "Es gibt Zunahmen in den Bereichen Getränkeherstellung, Kfz-Teile und im Energiesektor", sagt Welter und ergänzt: "Möglicherweise spiegeln diese Zahlen die Trends hin zu Minibrauereien, zur E-Mobilität und zu erneuerbaren Energien wider." Auch die Folgen der Flüchtlingskrise kann Welter in der Statistik erkennen: Die Anzahl der Existenzgründungen im Bereich Beherbergung und der Vermietung von Betten und Containern stieg an.

Ein Rückgang zeigt sich im Einzelhandel, wenn auch ein vergleichsweise geringer. Er liegt bei 0,4 Prozent. Georg Licht, Gründungsforscher beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), erklärt, dass es im Einzelhandel ein besonderes Phänomen gibt: der Drehtüreneffekt. Er besagt, dass es zwar viele Schließungen gibt, aber auch weiterhin viele Neugründungen. Der Onlinehandel sorgt für große Konkurrenz. Stationäre Geschäfte haben es schwer. Auch Modeketten schließen Filialen oder gehen gar insolvent.

Die Hindernisse für eine Neugründung sind aber gering. "Häufig sind spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten von untergeordneter Bedeutung", sagt Licht. Um als Verkäufer zu arbeiten, benötigt man zum Beispiel nicht zwingend eine bestimmte Ausbildung. Die Ware kann oft auf Kommission erworben werden - man bezahlt erst dann, wenn ein Kunde etwas kauft. Übrig Gebliebenes kann man zurückgeben. Und wer einen Onlineshop eröffnen möchte, braucht nicht einmal mehr einen Verkaufsraum.

In den meisten anderen Wirtschaftszweigen ist eine gewerbliche Neugründung jedoch mit einigen Kosten verbunden. Wie man sein Vorhaben finanziert, hängt neben der Branche auch vom Bedarf ab. Aus der jüngsten Erhebung des ZEW und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht hervor, dass drei Viertel der Kosten im ersten Jahr aus Einnahmen des laufenden Geschäfts finanziert werden. 15 Prozent des Bedarfs bringt der Gründer aus eigenen Mitteln auf. Externe Kapitalgeber sind nur an zehn Prozent beteiligt. "Von den externen Finanzierungsquellen sind Banken mit 50 Prozent die wichtigste Quelle, gefolgt von Familie und Freunden der Gründer mit 21 Prozent", sagt Licht.

Aufgrund der derzeit niedrigen Zinsen ist das Thema Finanzierung zu Beginn unproblematisch. Das Angebot an Beteiligungskapital und die Konditionen für Bankkredite haben sich verbessert. Ein Unternehmen zu gründen, sei dadurch aber trotzdem nicht leicht. "Eine Existenzgründung ist riskant", erklärt Licht. "Insbesondere im Vergleich zu einer Tätigkeit bei bestehenden Unternehmen."

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SZ vom 27.04.2017
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