Süddeutsche Zeitung

Existenzgründung:Raues Klima für Gründer

Der Start eines neuen Unternehmens ist durch die Corona-Pandemie deutlich schwieriger geworden. Auch bei der Finanzierung steigen die Anforderungen für die Gründer. Denn Banken sind noch vorsichtiger bei der Kreditvergabe.

Von Stefan Weber

Die Geschäftsidee der beiden jungen Leute aus dem Rhein-Main-Gebiet klang vielversprechend. Sie träumten von einem Blumenladen mit Café mitten in Frankfurt. Erfahrungen mit der Gründung und dem Aufbau eines Betriebs besaßen sie bereits: Das Paar hatte zuvor knapp zehn Jahre Naturkost-Lebensmittel verkauft - online und auch in einem eigenen Ladengeschäft. Nach dessen Veräußerung sollte es der Blumenladen mit Café sein. So lautete zumindest der Plan. "Doch dann kam Corona. Wir haben zunächst einige Monate gewartet, aber dann aufgrund der ungewissen Situation entschieden, die Idee aufzugeben und unser Gewerbe abzumelden", erzählen die beiden. So wie den verhinderten Gründern aus Hessen geht es derzeit vielen potenziellen Jungunternehmern. Covid-19 hat ihre Pläne ausgebremst.

"Wenn der Firmenkundenberater nein sagt, ist der Zugang zu öffentlichen Mitteln versperrt"

Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) zählte im ersten Halbjahr lediglich 117 800 Existenzgründungen - das war ein Minus von 15,5 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019. Die Forscher schließen zwar nicht aus, dass das Minus auch damit zusammenhängt, dass die Gewerbemeldestellen im Frühjahr zeitweise geschlossen waren. Ihr Befund ist jedoch eindeutig: "Die Corona-Pandemie und ihre Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft schlagen sich im gewerblichen Existenzgründungsgeschehen nieder."

Das beobachtet auch Ulrich Kern, der seit vielen Jahren Start-ups und junge Unternehmen berät: "Gründungswillige sind vorsichtig geworden, weil sie feststellen, dass es in vielen Fällen deutlich schwieriger geworden ist, sich als Neuling im Markt zu etablieren und Kunden zu gewinnen. Vor allem aber stehen sie bei der Finanzierung vor neuen Hürden." Der Berater berichtet beispielsweise von einem Gründer, der für die Anmietung von Gewerbeflächen plötzlich sechs statt der zuvor vereinbarten drei Monatsmieten zahlen sollte. "Dadurch ergab sich eine Lücke in der Finanzierung, die der Jungunternehmer auch durch eine Mietkautionsversicherung nicht schließen konnte. Denn die Versicherer übernehmen in vielen Fällen, insbesondere bei Einzelhandelsflächen, keine Deckung mehr", sagt Kern.

Banken und Sparkassen fragen nach seiner Erfahrung gegenwärtig verstärkt nach Sicherheiten und lehnen Finanzierungen im Zweifelsfall ab. "Es gibt zwar eine Vielzahl von staatlichen Fördermitteln, aber viele Gründer übersehen, dass deren Beantragung stets über die Hausbank erfolgt. Das heißt: Wenn der örtliche Firmenkundenberater nein sagt, ist der Zugang zu öffentlichen Mitteln versperrt." Deshalb sei es enorm wichtig, einen guten Kontakt zur Hausbank aufzubauen und zu pflegen. Dirk Artelt, Mitglied der Geschäftsleitung der Beratungsgesellschaft Dr. Wieselhuber und Partner, hat viel Kontakt zu Entrepreneuren aus der Hightechszene. Dort ist das Interesse an Gründungen nach seiner Beobachtung ungeachtet der Corona-Pandemie ungebrochen. "Wer ein technologieorientiertes, forschungsintensives Unternehmen an den Start bringen möchte, hält an seinem Plan fest - ganz gleich, wie die Welt um ihn herum aussieht. Gründer in diesem Bereich sind motivierte Menschen, die es gewohnt sind, sich permanent auf neue Situationen einzustellen, ihr Geschäftsmodell zu hinterfragen und anzupassen, wenn es notwendig ist", erläutert er. Allerdings räumt auch Artelt ein, dass das Klima für Gründer deutlich rauer geworden ist. Zum einen sei es derzeit schwierig, Kundenkontakte aufzubauen, zum anderen raubten Finanzierungsfragen viel Energie. "Im aktuellen Umfeld gehen Kreditgeber und Investoren eher auf Nummer sicher. Das bremst Gründer und auch junge Unternehmen, die nach einer Anschlussfinanzierung suchen", sagt Artelt.

Unabhängig von Corona ist die Zahl der Vollerwerbsgründungen in Deutschland seit Jahren rückläufig. Die KfW-Bank registriert für 2019 ein Minus von zwei Drittel gegenüber 2002. Dieser Trend hat zum einen mit der demografischen Entwicklung zu tun. Denn die Alterskohorte der 30- bis 40-Jährigen, der traditionell besonders viele Jungunternehmer entstammen, schrumpft seit Jahren. Zum anderen stehen die gesunkenen Gründerzahlen in engem Zusammenhang mit der lange Zeit guten wirtschaftlichen Situation in Deutschland sowie dem starken Fachkräftemangel. In Boomzeiten fällt es qualifizierten Kräften vergleichsweise leicht, einen attraktiven Job zu finden. Deshalb meiden sie das Risiko, eine sichere, gut dotierte Position gegen ein mit finanziellen Unwägbarkeiten behaftetes Unternehmerdasein zu tauschen. "Jetzt haben sich die Bedingungen geändert. Da machen sich insbesondere Hochschulabsolventen vermehrt Gedanken, ob es unbedingt eine Karriere in einem etablierten Unternehmen sein muss. Aus diesem Trend könnte neuer Schwung in das Gründergeschehen kommen, insbesondere im Hightechbereich", vermutet Artelt.

Auch nach der Finanzkrise 2007/08 hatten sich quer durch alle Branchen mehr Menschen mangels Alternativen selbständig gemacht. Solchen "Notgründungen" haftet mitunter ein Makel an. Denn wer sich selbständig macht, weil er arbeitslos ist oder weil ihm kein anderer beruflicher Weg offensteht, ist möglicherweise weniger motiviert als jemand, der aus Überzeugung wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen will. Unter Umständen wird ein "Notgründer" bei erstem Gegenwind schnell aufgeben, anstatt mit hohem Einsatz für den Fortbestand seines Unternehmens zu kämpfen.

Die Frage ist auch, wie belastbar ein Geschäftsmodell ist, mit dem ein mangels Alternativen in die Selbstständigkeit gestarteter Unternehmer antritt. Erfahrungsgemäß handelt es sich in vielen Fällen um leicht kopierbare Ideen aus den Branchen Handel oder Dienstleistungen, seltener dagegen um hochspezialisierte, innovative Aktivitäten aus der Industrie. Wer unfreiwillig in die Selbstständigkeit startet, wird in der Mehrzahl der Fälle als "Einzelkämpfer" ohne festangestellte Mitarbeiter beginnen. Somit wird der Effekt für den Arbeitsmarkt nicht sonderlich groß sein, wenn die Gründungstätigkeit vor allem durch Notgründungen geprägt ist.

Wer aus der Not heraus gründet, wird bei erstem Gegenwind schnell aufgeben

"Wer nur eine mäßig überzeugende Geschäftsidee hat, dem rate ich in der gegenwärtigen Situation, eher nicht zu gründen", meint Berater Kern. Allerdings hätten sich durch die Corona-Pandemie insbesondere im digitalen Bereich auch neue Chancen aufgetan. Traditionelle Unternehmen ständen stärker denn je unter Druck, sich zu verändern und seien insbesondere im Bereich der Digitalisierung bereit, Dinge auszuprobieren. Kern empfiehlt Gründungswilligen, externen Rat einzuholen: "Industrie- und Handwerkskammern zum Beispiel bieten auf diesem Feld gute Serviceleistungen an. Sie helfen möglicherweise auch bei der Suche nach einem Mentor, der Jungunternehmer begleitet."

Externe Expertise hinzuziehen - das rät auch Artelt. Gut sei, einen Business Angel an seiner Seite zu haben oder beim Unternehmensaufbau eng mit einem etablierten Unternehmen zu kooperieren. "Wer ein solches Netzwerk hat, eine gute Geschäftsidee besitzt und es wirklich ernst meint, sollte ungeachtet der widrigen Umstände an seinen Plänen festhalten", betont Artelt.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2020
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