Ex-Siemens-Vorstand Jung:Griechischer Ablasshandel

Neueste Szene in einer deutsch-griechischen Posse: Ex-Siemens-Vorstand Volker Jung soll zahlen, damit er wieder ins Ausland reisen darf. Die Athener Justiz will 80.000 Euro dafür haben, dass sie einen Haftbefehl gegen ihn aussetzt.

Von Klaus Ott und Tasos Telloglou

Volker Jung war früher, als Vorstand bei Siemens, viel in der Welt unterwegs. Heute, als Rentner, verlässt er Deutschland nicht mehr. Unfreiwillig. Denn aus Athen liegt ein internationaler Haftbefehl gegen den 73-Jährigen vor, wegen der Schmiergeldaffäre bei Siemens. Die Bundesrepublik liefert den ehemaligen Manager und einstigen Vizechef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nicht aus. Andere Staaten würden ihn dagegen nach Athen ins Gefängnis schicken.

Jetzt könnte sich Jung seine Reisefreiheit erkaufen, wenn er wollte. Die Athener Justiz will 80.000 Euro dafür haben, dass sie den Haftbefehl aussetzt. Am Geld würde das nicht scheitern. Im Siemens-Vorstand hat der Ingenieur gut verdient. Doch die Sache hat einen Haken. Der Ruheständler soll nach Athen kommen und dort alles persönlich regeln. Jung, der sich nicht dazu äußern mag, wird das bestimmt nicht tun. Er hat schon einmal auf die griechische Justiz vertraut und ist bitter enttäuscht worden. 2009 folgte er einer Vorladung nach Athen, durfte Hellas anschließend nicht mehr verlassen und verbrachte mit seiner Frau fast eineinhalb Jahre auf der Ägäisinsel Paros. Da gehört ihm ein Ferienhaus, im Winter ist es nass, kalt und stürmisch und ganz schön ungemütlich in einem Haus ohne Heizung.

"Ich habe das Land sehr geliebt und mich immer sehr für Griechenland eingesetzt. Ich bin persönlich sehr enttäuscht", klagte Jung damals in einem SZ-Interview auf Paros. Ende 2010 floh er aus Griechenland, prompt folgte der Haftbefehl. Der könnte gegen eine Kaution nun vorläufig hinfällig werden. Dieses Angebot aus Athen, das offiziell noch nicht vorliegt, aber informell existiert, ist die neueste Szene in einer deutsch-griechischen Posse.

In einem absurden Stück, das auch dem früheren Siemens-Chef Heinrich von Pierer und weiteren Ex-Managern des Konzerns zunehmend Ärger bereitet. Insgesamt 14 alte Siemensianer werden von der Athener Justiz wegen der Schmiergeldzahlungen verfolgt, die in dem Industriekonzern früher weltweit üblich waren. Darunter in Griechenland, wo sich Siemens auf diese Weise profitable Aufträge besorgte.

Es erinnert an den kirchlichen Ablasshandel im Mittelalter

Was Jung widerfährt, könnte einigen seines einstigen Vorstandskollegen wie Pierer ebenfalls passieren. Erst ein Haftbefehl, dann Reisefreiheit gegen Geld. Das erinnert an den kirchlichen Ablasshandel im Mittelalter, als Sünder sich freikaufen konnten und Prediger verkündeten: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt." Die Kirche praktiziert das längst nicht mehr, Griechenland schon. Dort werden Jung, Pierer & Co. mit Anklagen überzogen, die meist nur pauschale Vorwürfe enthalten und keine Beweise für persönliche Verwicklungen in Schmiergelddelikte in Athen. Zudem sind diese Fälle von der deutschen Justiz längst abgehandelt. Alles wurde geprüft. Bei Pierer und Jung blieb der Vorwurf mangelhafter Kontrollen von Geschäften in Argentinien beziehungsweise Griechenland übrig; sie zahlten Bußgelder.

Trotz des Grundsatzes, dass niemand in ein und derselben Sache zweimal verfolgt werden darf, bleibt Hellas hart. Einige der alten Siemensianer haben kürzlich ein Schreiben aus Athen mit der Aufforderung erhalten, bis zum 15. September einen Vernehmungstermin zu vereinbaren. Der Brief enthält auch den Hinweis, dass ein Haftbefehl möglich sei. Die ehemaligen Konzernmanager haben sich Anwälte genommen. Und die raten ihren Mandanten in der Regel eindringlich davon ab, nach Griechenland oder überhaupt ins Ausland zu fahren. Alle haben sie vor Augen, was Jung erlebte. Der hatte irgendwann vom Inselarrest die Nase voll und wollte nach Hause. Um Weihnachten in der Heimat zu feiern.

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