Ex-Rektor der European Business School:Tiefer Fall eines Überfliegers

Privatuni EBS weist Vorwürfe zurück

Die European Business School in Oestrich-Winkel: Sie sei nicht geschädigt und habe kein Interesse an dem Verfahren, hat die Privatuni erklärt.

(Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Als Präsident einer privaten Hochschule war Christopher Jahns sehr erfolgreich. Bis er wegen des Verdachts auf Untreue verfolgt wurde und alles verlor. Sein Absturz erzählt viel über die Welt der Justiz und der Medien - und erinnert an den Fall Wulff.

Von Hans Leyendecker

Christopher Jahns, Jahrgang 1969, hatte früh einen guten Lauf. Er promovierte in München zum Dr. oec. mit "summa cum laude"; mit Mitte dreißig war er Professor und kurz darauf Rektor der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel, die als Eliteschmiede für Manager galt. Dann wurde Jahns zum Präsidenten der privaten Hochschule berufen und zum Vorsitzenden der Geschäftsführung ernannt. Was konnte er noch werden?

Der gebürtige Bremer wurde einer der "Young Global Leader" des World Economic Forum in Davos und Mitglied der European Foundation for Management. Früh hatte er eine eigene Firma gegründet, die gut lief. Jahns arbeitete beim Petersburger Dialog mit, kümmerte sich um Stiftungslehrstühle in China, Indien und Russland und war in einem halben Dutzend Kuratorien und Direktorien unterwegs. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Sein außerordentlicher Fleiß, seine Intelligenz werden von Gewährsleuten gerühmt. Er war erfolgreich, hatte Charisma und galt als Netzwerker mit nützlicher deutscher und schweizerischer Staatsbürgerschaft. Sein berufliches Leben hielt sich an das zeitgenössische Schnittmuster für junge, sehr erfolgreiche Wirtschaftswissenschaftler. Feinde im doppelten Wortsinn hat er sich auch gemacht.

Verfahren wegen des Verdachts auf Untreue

Dass die Laufbahn eines heute 44-jährigen Mannes überwiegend in der Vergangenheitsform geschildert werden muss, hat Gründe. Erst geriet Jahns vor gut dreieinhalb Jahren mit negativen Schlagzeilen in die Medien, und die Staatsanwaltschaft Wiesbaden leitete gegen ihn ein Verfahren wegen Verdachts der Untreue ein. Bis zu zehn Beamte des Hessischen Landeskriminalamts ermittelten - allein die Hauptakten füllen mehr als 10 000 Seiten.

Im vergangenen Jahr wurde gegen ihn der Prozess eröffnet. Im Wesentlichen geht es um die bis heute umstrittene Zuordnung von vier Rechnungen zu je 45 000 Euro. Das Hauptverfahren dauerte trotz des gar nicht so komplizierten Stoffes 43 Verhandlungstage, bis es diese Woche - vorläufig zumindest - eingestellt wurde. Fürs Erste.

Krank, arbeitslos, sozial isoliert

Ausweislich von zwei Gutachten ist Jahns derzeit nicht verhandlungsfähig. Er ist über seinem Fall schwer krank geworden. Psychiater und Neurologen kümmern sich um ihn. Er wird geplagt von Ängsten, ist unkonzentriert, kann nicht schlafen, spürt Herzrasen und hat keinerlei Selbstvertrauen mehr.

Schlimmer noch: Er vertraut den meisten Menschen nicht mehr. Der Mann, der mal zu größten Hoffnungen berechtigte, ist heute arbeitslos. Zwar hat er trotz acht fristloser Kündigungen der Uni vom Arbeitsgericht 380 000 Euro zugesprochen bekommen, aber um die laufenden Kosten bezahlen zu können, musste er sein Haus in der Schweiz verkaufen.

Bis auf den Kontakt zu engsten Familienangehörigen ist der einstige Netzwerker heute sozial total isoliert. Wenn er, wie vor einigen Monaten, als eine Art Mutprobe auf einem Treffen des Vereins Atlantik-Brücke in Berlin auftaucht und von einem Bekannten freundlich begrüßt wird, kann es passieren, dass er Panik verspürt und wegläuft. Dann steht er draußen allein auf dem Gendarmenmarkt, nass geschwitzt. Blickkontakt meidet er. Was denken die anderen über ihn? Alles sehr peinlich.

Lehrstück über die Mechanismen der Justiz und Medien

Da ist jemand völlig am Ende, und sein Absturz ist lehrreich, weil er etwas über Mechanismen in der Welt der Justiz, der Medien und des Biotops der echten und der vermeintlichen Whistleblower verrät. An einigen Stellen weist der Fall Jahns auch Parallelen zum Fall des Christian Wulff auf.

Überall gibt es Verlierer: Die EBS ist nach dem öffentlichen Abgang von Jahns mit all dem dazugehörenden Getöse schwerst angeschlagen. In Wiesbaden wird der geplante Campus nicht mehr gebaut. An jeder Ecke fehlt es an Geld, und die Zahl der Anmeldungen von Studenten ist entsprechend niedrig. Auch gibt es noch juristische Nachwehen eines EBS-Untersuchungsausschusses des Landtages. Die örtliche Strafjustiz scheint ramponiert: "Das Verfahren hat die Justiz wie den Angeklagten gleichermaßen überfordert", resümierte in diesen Tagen ein Beobachter des Wiesbadener Kurier.

Als Jahns vor einem knappen Jahrzehnt in der EBS nach oben kam, hatte die Hochschule einen kleinen Etat und war eher notleidend. Der Neue hatte die richtigen Verbindungen in die Wirtschaft und in die Politik und schaffte viele Millionen Euro ran. Die Hochschule expandierte nach Wiesbaden, und es wurde eine zweite Fakultät gegründet, die Law School. Die EBS wurde Universität für Wirtschaft und Recht und Jahns führte sie wie ein Start-up-Unternehmen. Als er loslegte, waren an der Uni zwanzig Professoren, Jahre später waren es bereits achtzig.

Jahns' undurchsichtiges Geflecht

Er wollte immer noch mehr Veränderungen, und es gab Unruhe im Haus. Ein Anonymus erstattete gegen ihn Strafanzeige wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Da war nichts dran. Ende des Jahres 2010 statteten ein Professor, der Jahns nicht mochte und ihm misstraute, und ein weiterer Hochschulangehöriger den Spiegel mit Material über Jahns aus.

Kurz darauf erschien in dem Magazin eine Geschichte darüber, dass Jahns Funktionen in Beratungs- und Beteiligungsfirmen habe, die wiederum in engen Beziehungen zur EBS stünden. Es handele sich um ein relativ undurchschaubares Geflecht.

Diese Beschreibung war korrekt. Das Jahns'sche System war intransparent. Jede Kritik daran war berechtigt. So war er unter anderem mit 25 Prozent an der Firma Brain-Net AG beteiligt, die mit der EBS eng verwoben war und sich unter anderem um die Akquise von Geldern von Drittunternehmen kümmerte. Es fehlte an notwendigen Verträgen und ordentlichen Vereinbarungen zwischen den Partnern.

Zwar hatte Jahns die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young beauftragt, die Konstruktion zu prüfen, doch das Ergebnis traf erst an dem Tag ein, als das Hamburger Magazin seine Fragen an Jahns schickte.

Manche Geschichten stimmten, vieles aber nicht

Die Spiegel-Geschichte löste an der Hochschule Diskussionen aus, einige hatten viel mehr erwartet. Es existiert das Gedächtnisprotokoll einer Professorin, die von einem Jahns-Gegner angerufen wurde. Er: "Ich warte ja quasi schon die ganze Zeit darauf, dass das endlich kommt. Wie sind denn die Reaktionen bei euch?" Sie: "Na ja, der Beitrag ist stark auf die Person von Christopher abgestellt." Er: "Jetzt ist der Aufsichtsrat hoffentlich dazu bereit, ihn abzuschießen." Sie: "Eben kam eine Mail, dass der Aufsichtsrat voll hinter ihm steht." Er: "Verdammt."

Einen Tag später neuer Anruf: Er: "Keine Sorge, es gibt einen belastbaren Plan B. Jetzt wird so viel Unruhe hergestellt, dass Jahns stürzt. Es ist der Zeitpunkt, wo Jahns aus verschiedenen Positionen gestoßen wird." Sie: "Wer handelt?" Er, etwas unklar: Es gibt "einige Leute, die helfen".

Die Whistleblower, die bei Jahns angeblich Redlichkeit vermissten, aber aus Sicht des Ex-Präsidenten selbst unredlich waren, schalteten die Bild-Zeitung ein.

Ob ein Whistleblower ein anständiger Mensch ist oder nicht, ist oft Ansichtssache. Den englischen Begriff Whistleblowing kann man mit "Alarmschlagen", aber auch mit "Verpfeifen" übersetzen. Bild jedenfalls schoss ab Februar 2011 routiniert großflächig: "Präsident Jahns im Zwielicht", "Die dubiosen Rechnungen des EBS-Chefs", "Weiter Wirbel um EBS-Chef". Das Übliche. Andere Blätter sprangen auf. Es gab Geschichten, in denen manches stimmte, aber vieles eben nicht. Wie bei Wulff.

Jahns drängte, die "Denunzianten" zu enttarnen

Ein Anonymus erstattete am 23. März 2011 eine weitere Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Diesmal gegen fünf Mitglieder des Aufsichtsrats, die sich aus seiner Sicht noch nicht ausreichend gegen Jahns gestellt hätten. Sie verletzten dadurch angeblich ihre Pflicht, "fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen".

Jahns drängte, die "Denunzianten" zu enttarnen. Er wusste, wie später der Prozess zeigte, früh die richtigen Namen. Aber ihm wurde damals von anderen vorgeworfen, er vergifte das Klima an der Hochschule.

Wilde Geschichten wurden kolportiert. Angeblich habe Jahns Zeugen unter Druck gesetzt und mit Mord gedroht. Das war, wie sich später herausstellte, nicht wahr. Ein besonders leidenschaftlicher Jahns-Gegner hatte das kolportiert.

Die Informanten des Magazins und des Boulevardblattes wurden wichtige Zeugen der Staatsanwaltschaft, die im Stillen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte.

Kaffee für die Beamten bei der Hausdurchsuchung

Anfang April 2011 suchten Beamte Jahns frühmorgens heim. Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss und einen Haftbefehl dabei. Er bot Kaffee an und hatte ein paar Ordner mit Unterlagen vorbereitet. Er habe geglaubt, hat er später gesagt, jetzt werde sich alles rasch aufklären. Er wurde aber festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Vom Haftrichter wurde er unter Auflagen freigelassen, weil sich rasch herausstellte, dass der Vorwurf der Bedrohung, der auch im Haftbefehl stand, nicht stimmte. Draußen aber lief schon die Nachricht: "EBS-Präsident in Haft".

Den Vorwurf der Ermittler gegen Jahns erläuterte ein Sprecher der Wiesbadener Staatsanwaltschaft dem Fernsehpublikum. Die Firma Brain-Net, an der Jahns Anteile besaß, hatte der Uni Rechnungen für Leistungen über insgesamt 180 000 Euro geschickt, die aber, so behauptete der Ermittler, "nicht erbracht wurden. Das nennt man Scheinrechnungen. Wir haben Hinweise, dass weitere Gelder veruntreut wurden. In welcher Höhe und in welchem Umfang, ist bis heute völlig unklar". Die Formulierung, "das nennt man" konnte den Eindruck erwecken, die Vorwürfe seien bereits nachgewiesen. Der Begriff "Scheinrechnung" klang wie eine Feststellung.

Medien wussten unter Verweis auf angebliche staatsanwaltliche Quellen zu berichten, Jahns müsse mit einer Haftstrafe bis zu 15 Jahren rechnen. Angeblich hatte ein Staatsanwalt schon nach der Durchsuchung erklärt, man könne Jahns bereits jetzt anklagen. Nachdem das gemeldet wurde, gab er sofort seine Ämter als Präsident des Verwaltungsrats der Brain-Net AG und weitere Verwaltungsratsmandate auf.

Die Medien haben vieles falsch verstanden

Die umstrittene mediale Begleitung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft hat Jahns im April 2012 zu einer Klage bei der 10. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden veranlasst. Das Land Hessen ist der Beklagte. Es geht um Amtshaftung. "Hörfehler", "Missverständnisse" "Übermittlungsfehler" und "ungewollte sprachliche Nuancen" habe es durchaus gegeben, räumte ein Anwalt ein, der das Land vor Gericht vertritt. Wenn man ihm aber folgt, war alles schon in Ordnung, nur die Medien haben vieles falsch verstanden. Staatsanwaltschaften gelten als "privilegierte Quellen". Wenn ein Journalist sich auf sie beruft, kann er sich normalerweise einigermaßen sicher sein.

Es läuft für Jahns bei der 10. Zivilkammer nicht schlecht. Schmerzensgeld müsste er am Ende bekommen, um Schadensersatz wird noch heftig gekämpft werden.

Fehler können immer mal passieren. Es ist nur ein bisschen viel, was in Wiesbaden passiert ist, und es stellt sich schon die Frage, ob die Anklagebehörde erst einen Popanz aufgebaut, sich dann furchtbar verirrt hat, aber uneinsichtig bleibt. Wie bei Wulff. Es gab Merkwürdigkeiten in Serie: Eine Tage dauernde Aussage von Jahns im Ermittlungsverfahren wurde unter Verweis auf fehlende "Kapazitäten" von der genervten Staatsanwaltschaft abgebrochen. Das erlebt man auch nicht alle Tage. Vom "Zerrbild des Rechtsstaats" spricht Jans Verteidiger, Alfred Dierlamm. Die Justiz stehe "vor einem Scherbenhaufen", meint Dirk Metz, der Sprecher von Jahns .

Die Geschichte mit den Scheinrechnungen stimmt nicht

Was ist denn in dem Verfahren noch wahr, was ist unwahr? Die Geschichte mit den Scheinrechnungen, die im Haftbefehl noch stand, stimmte nicht. "In Abweichung zum Haftbefehl" müsse "davon ausgegangen werden, dass den einzelnen Rechnungspositionen doch Leistungen von BrainNet zugrunde" lagen, räumten die Strafverfolger ein.

Brain-Net hatte nachgewiesen, dass die Beratungsleistungen für die EBS in 133,5 Arbeitstagen unter üblichen Honoraransätzen einen Wert von rund 409 000 Euro gehabt hätten. Durch die Hilfe von Brain-Net, so Dierlamm, seien der EBS angeblich zehn Millionen Euro Forschungsgelder von Firmen zugeflossen. Wer soll der Geschädigte gewesen sein?

Die Ermittler tauschten den Vorwurf aus. Die Leistungen, räumten sie ein, seien zwar erbracht worden, aber "pro bono" erfolgt. Also zum Wohl der Öffentlichkeit. Der Verzicht auf eine sechsstellige Summe wäre bei einer Kapitalgesellschaft wie Brain-Net allerdings ungewöhnlich. Pro bono läuft gewöhnlich nichts. Diese Konstruktion der Ermittler ist zumindest fragil.

52 Verdachtsfälle wegen Untreue

Fast intensiver als mit den Rechnungen beschäftigte sich die Große Wirtschaftsstrafkammer in dem Prozess mit der Frage, ob Jahns unzulässigerweise seinen Dienstwagen und den Fahrer für private Zwecke genutzt habe. 52 Verdachtsfälle von angeblicher Untreue kamen so zusammen. Der angebliche Schaden wurde mit rund 7000 Euro errechnet; ein Teil der Dienstwagenfälle (Größenordnung etwa ab fünfzig Euro) wurde als besonders schwere Untreue angeklagt. Mindeststrafe pro Tat sechs Monate Haft. Theoretisch.

Bei dieser Abfolge der strafrechtlichen Vorwürfe kann man vielleicht verstehen, dass ein Angeklagter die Welt nicht mehr versteht. Auf das Haus Jahns wurde im Sommer von Unbekannten ein Brand- und Säureanschlag verübt, und er bekam mit der Post eine anonyme Büchersendung geschickt mit Texten, die bedrohlich klangen. Das zuständige Landeskriminalamt stellte eine Gefährdungsanalyse auf. Jahns müsse damit rechnen, dass mal ein Schweinekopf vor seiner Tür hänge oder die Reifen des Autos zerstochen würden, erklärte ihm ein Polizist. Offenkundig handele es sich um einen feigen Täter, der weiterhin nicht offen agieren werde.

Jahns, der einst in Davos mit den Großen dieser Welt Zigarren schmauchte, ist heute ein bedauernswerter Mann. "Nach der Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit erfolgen die Neuaufnahme des Verfahrens und ein Neubeginn der Hauptverhandlung von Amts wegen durch das Gericht oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft", teilte diese Woche die Große Strafkammer mit. Noch mal alles von vorn?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: