Ex-Olympus-Chef Woodford:"Japans Unternehmenswelt ist wie ein pervertierter Golfclub"

Ex-Olympus President Woodford In Japan

Michael Woodford war Chef von Olympus - bis er mit Interna an die Öffentlichkeit ging.

(Foto: Bloomberg)

Als Chef des Kameraherstellers Olympus hat Michael Woodford den größten Skandal in Japans Wirtschaftsgeschichte aufgedeckt, wurde dafür gefeuert und musste fliehen. Im Interview spricht der Buchautor über blinden Gehorsam in japanischen Unternehmen und die Einsamkeit eines Whistleblowers.

Von Benjamin Romberg, Berlin

"Ist das von Olympus?", will Michael Woodford, 53, wissen, als er das Aufnahmegerät sieht. Wirklich abgeschlossen hat der Brite noch nicht mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. 30 Jahre hat Woodford für das japanische Unternehmen gearbeitet, das vor allem für seine Kameras bekannt ist. 2011 übernahm er als erster Nicht-Japaner die Führung des Konzerns. Er war endlich am Ziel - doch dann gab es Gerüchte um Bilanzfälschungen in gigantischem Umfang. Woodford wollte der Sache nachgehen, doch er prallte an einer Mauer aus Schweigen in seinem Konzern ab.

Er entschied sich, an die Öffentlichkeit zu gehen - und brachte einen der größten Skandale in der japanischen Wirtschaftsgeschichte ans Licht. Der Preis war hoch: Woodford wurde gefeuert und musste um seine Sicherheit und die seiner Familie fürchten. Seine Geschichte hat er in einem Buch aufgeschrieben, das nun auch in Deutschland erscheint.

Süddeutsche.de: Herr Woodford, können Sie sich vorstellen, wie sich Edward Snowden gerade fühlt?

Michael Woodford: Er muss traumatisiert sein und vermutlich kommt ihm alles sehr surreal vor. So ging es mir. Ich habe großen Respekt vor ihm. Was er öffentlich gemacht hat, ist unglaublich. Ich würde gerne mal ein Bier mit ihm trinken und ihm sagen, dass das Leben irgendwann weitergeht.

Für Sie ist es weitergegangen. Allerdings war es keine einfache Zeit. Gab es einen Moment, in dem Sie sich gewünscht haben, Sie hätten damals geschwiegen?

Es ist wie mit Krebs. Da würde man ja auch nicht sagen: Ich behandle ihn lieber nicht, weil ich mich schlecht fühlen könnte bei der Therapie. Und wenn du einmal den Weg eingeschlagen hast, gibt es kein Zurück mehr.

Wann war das bei Ihnen? Wann haben Sie gemerkt, dass da etwas nicht stimmt bei Olympus?

Ich war gerade in Hamburg, als ich von einem Artikel in einem kleinen, etwas merkwürdigen Wirtschaftsmagazin namens Facta erfuhr. Im Juli 2011 war das. In dem Artikel wurden schwerwiegende Anschuldigungen gegen Olympus erhoben, es ging um große Summen. Als ich nach Japan zurückkehrte, habe ich zwei Kollegen darauf angesprochen. Die sagten mir, sie seien angewiesen worden, nicht mit mir darüber zu sprechen. Ich konnte das nicht so stehen lassen.

Was haben Sie gemacht?

Ich verlangte ein Treffen mit dem Aufsichtsratschef Tsuyoshi Kikukawa (Vorgänger von Woodford als CEO, Anm. d. Red.). Als ich in den Raum zu dem Treffen kam, stand eine Sushiplatte auf dem Tisch. Jeder im Haus wusste, dass Sushi mein Lieblingsessen ist. Doch ich bekam nur ein Thunfisch-Sandwich, ohne Salat oder Chips. Nonverbale Kommunikation ist sehr wichtig in Japan. Herr Kikukawa wollte mir zeigen, wo ich in der Nahrungskette stehe.

Wie haben Sie reagiert?

Der Vizechef war auch bei dem Treffen dabei. Ich wollte von ihm wissen, was es mit dem Artikel auf sich hat. Ich wurde laut, was in Japan sehr unhöflich ist. Er machte mir klar, dass er für Herrn Kikukawa arbeite, nicht für mich. Ich bekam keine Antwort und bin einfach gegangen. Ich wusste, dass etwas im Kern des Unternehmens faul war.

Wann haben Sie sich entschieden, sich an Medien im Ausland zu wenden?

Ich war gerade auf Geschäftsreise in New York, als ich per Mail auf einen weiteren Artikel des Magazins Facta aufmerksam gemacht wurde. Dieses Mal waren die Anschuldigungen noch detaillierter und es gab eine angebliche Verbindung zur organisierten Kriminalität in Japan. Auf einmal hatte ich Angst und dachte mir: Genug ist genug.

Sie haben der "Financial Times" von Ihrem Verdacht berichtet und damit großen Medienrummel und Ermittlungen durch das FBI und weitere Behörden ausgelöst. Wie ging es für Sie weiter?

Bewaffnete Polizisten bewachten unser Haus in England. Uns wurde gesagt, wir dürften keinen Briefkasten mehr haben wegen möglicher Sprengsätze. Meine Frau war traumatisiert, sie hat jede Nacht geschrien. Und was ich gelernt habe: Menschen sind egoistisch. Eine Stunde, nachdem ich gefeuert worden war, haben sich alle verzogen. Da waren Leute dabei, die ich seit 30 Jahren kannte, die meine Kinder als Baby im Arm gehalten haben. Die wollten nicht mit hineingezogen werden. Die haben nicht mal eine SMS geschickt.

Es stellte sich heraus, dass Olympus Milliardenverluste über Jahrzehnte in seinen Bilanzen versteckt hatte. Haben Sie Genugtuung verspürt, als die Verantwortlichen bei Olympus zur Rechenschaft gezogen wurden?

Nun ja. Herr Kikukawa musste nicht ins Gefängnis. Damit war mal wieder zu rechnen. Es geht mir auch nicht um Genugtuung. Ich bin immer noch sehr traurig.

Waren Sie noch mal in Japan? Wie sieht man Sie dort heute?

Ich war noch einige Male dort. Ich werde auf der Straße aufgehalten und in Restaurants angesprochen. Ich bin im japanischen Fernsehen aufgetreten und die Zuschauer konnten abstimmen: 90 Prozent der Leute haben gesagt, ich habe das Richtige getan. Jeder weiß, wie das System dort funktioniert.

"Sie folgten über die Klippe wie Lemminge"

Wie funktioniert es?

Die japanische Unternehmenswelt ist wie ein pervertierter Golfclub. Es herrscht absolute Loyalität zum Unternehmen. Loyalität ist gut. Aber blinder Gehorsam ist sehr gefährlich. Bei Olympus saßen 14 Leute im Vorstand, das waren intelligente Leute von den besten Universitäten in Japan. Einer hatte sogar einen journalistischen Hintergrund. Doch sie weigerten sich, den Verdacht untersuchen zu lassen. Sie folgten Herrn Kikukawa über die Klippe wie Lemminge.

Hat sich durch Ihre Geschichte etwas geändert in der japanischen Unternehmenskultur?

Nein. Sie sagen nur: Wir wollen niemanden mehr wie Woodford. Sie wollen Harmonie um jeden Preis. Deshalb bin ich sehr pessimistisch, was Japan angeht. Es fehlt das Verständnis, dass man so in einem globalen Markt nicht handeln kann.

Welche Rolle spielen die japanischen Medien?

Sie haben sich wie die Pressestelle von Olympus verhalten. Niemand hat auf den Bericht des Magazins Facta reagiert. Ich war mir eigentlich sicher, da würde etwas kommen. Stellen Sie sich vor, es gäbe einen ähnlichen Bericht über ein Dax-Unternehmen in Deutschland - auch wenn er von einem unbekannten Medium stammen würde. Doch selbst als Bloomberg, das Wall Street Journal und die New York Times über die Geschichte berichtet hatten, kam nichts. Sie sind absolut loyal zu den Unternehmen im Land.

Woher kommt das?

Sie haben Angst um ihre Werbeanzeigen.

Wie wichtig ist dann Whistleblowing?

Wenn ich ehrlich sein darf: Ich mag den Ausdruck nicht.

Was gefällt Ihnen besser?

"Truthteller" oder "bell ringer". Whistleblowing klingt so nach Petzen. Ich habe kürzlich einen Konzern in Frankreich beraten und war schockiert, als dort einer sagte: "Mr. Woodford, ihre Erfahrungen erinnern mich an Kollaborateure im Krieg." Ich fand das sehr beleidigend. In Deutschland gab es Kollaborateure bei den Nazis und bei der Stasi. Viele denken immer noch negativ über Whistleblowing. Aber ich glaube auch, dass viele Menschen realisieren, dass man Whistleblower schützen muss. Es muss einfacher werden, Skandale öffentlich zu machen.

Auch in der Wirtschaft?

Es gibt dort große Mächte, manche Unternehmen haben sich fast zu souveränen Staaten entwickelt. Wir müssen verstehen, dass Konzerne da sind, um für Arbeitsplätze und Wohlstand zu sorgen. Aber sie müssen auch überwacht und reguliert werden. Das Gesetz muss Einzelpersonen in diesen Organisationen schützen. Als Präsident einer Firma mit 40 000 Mitarbeitern hatte ich das Glück, dass ich sehr schnell die Aufmerksamkeit der Medien bekam.

Ihre Geschichte wird verfilmt. Angeblich soll Colin Firth die Hauptrolle spielen. Eine gelungene Besetzung?

Das ist bisher nur ein Gerücht in den britischen Medien. Ich hatte eigentlich auf George Clooney gehofft. Aber dafür bräuchte er einen Bierbauch und einen kahlen Kopf. Ich weiß nicht, ob er das in Kauf nehmen würde für die Rolle.

Michael Woodford: "Enthüllung: Vom CEO zum Whistleblower bei Olympus", Wiley-VCH 2014, 288 Seiten, 19,99 Euro.

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