Süddeutsche Zeitung

Ex-Manager im Streit mit Solar Millennium:Claassen fordert bis zu 200 Millionen Euro Schadenersatz

Das ganze Land entrüstete sich über Utz Claassen, als der sich einen 74-Tage-Job bei Solar Millenium fürstlich entlohnen ließ. Doch nach SZ-Informationen soll die Firma Claassen nun die "Rechtmäßigkeit seines Handelns" bescheinigen - womöglich war der Ex-Manager kein Raffzahn, sondern ein Opfer.

Markus Balser und Uwe Ritzer

Die Szene troff nur so vor Pathos. "Ich entschuldige mich, wenn Sie sich beleidigt fühlen", rief Helmut Pflaumer zu Utz Claassen hinüber und der entgegnete nicht minder feierlich: "Es freut mich Herr Pflaumer, Sie hätte ich auch nicht anders eingeschätzt."

Vielleicht war es dieser Wortwechsel in der Verhandlung am 9. September, der beim Landgericht Nürnberg die Hoffnung keimen ließ, den Millionenstreit zwischen dem Top-Manager Claassen und der Firma Solar Millennium samt ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden Pflaumer gütlich zu beenden. Nunmehr liegt ein Vergleichsvorschlag des Gerichtes vor; doch ob er angenommen wird, ist zweifelhaft.

Nur 74 Tage war Claassen Anfang 2010 Vorstandschef des fränkischen Sonnenkraftwerk-Unternehmens. Dann trat er abrupt ab. Die Antrittsprämie von neun Millionen Euro nahm er mit. Fortan galt Claassen in weiten Teilen der Öffentlichkeit als Raffzahn. Bis sich immer klarer herausstellte, dass der Manager allerhand Gründe hatte, den Bettel schnell wieder hinzuwerfen.

Das scheint das Landgericht Nürnberg ähnlich zu sehen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus Justizkreisen legen die Richter Solar Millennium ausdrücklich nahe, Claassen in einer Ehrenerklärung "die Wahrhaftigkeit und Rechtmäßigkeit seines Handels" als Vorstandschef zu bescheinigen. Gleichzeitig soll sich das Unternehmen verpflichten, weder Haftungs-, noch Schadenersatzansprüche gegen den Manager geltend zu machen. Vielmehr soll der Aufsichtsrat von Solar Millennium Claassen als Vorstand entlasten und das Dienstverhältnis einvernehmlich rückwirkend zum 15. März 2010 auflösen.

Damit nicht genug. Der gerichtliche Vergleichsvorschlag sieht auch vor, dass Solar Millennium Claassen eine Abfindung und sogar Schadenersatz bezahlt. Umgekehrt allerdings soll der Manager jene neun Millionen Euro zurückbezahlen, die er als Antrittsgeld kassiert hat. Rückzahlung einerseits, Schadenersatz und Abfindung andererseits würden für Claassen nach dem Vorschlag des Gerichtes netto bedeuten, dass er Geld an Solar Millennium zurücküberweisen müsste.

Dass er sich darauf einlassen wird, ist wohl eher unwahrscheinlich - Ehrenerklärung hin oder her. Claassen fühlt sich nicht nur in seinem Ego tief getroffen; mehr noch fühlt er sich von Verantwortlichen bei Solar Millennium hereingelegt.

Unter anderem hätten sie ihn mit einem gefälschten Business-Plan geködert, der eine Vielzahl von angeblich laufenden Projekten suggeriert habe, von denen es in Wirklichkeit so gut wie keines gab. Auch sei die tatsächliche geschäftliche Situation geschönt worden. Statt prognostizierter 89 Millionen Euro Gewinn im Geschäftsjahr 2009/2010 waren es nur 700.000. Der Umsatz lag bei gerademal 73,2 Millionen. Die Firma bestreitet jedweden Bluff. Der Businessplan sei gar kein Businessplan gewesen.

Claassen beziffert seinen Schadenersatzanspruch nach Angaben seines Sprechers auf bis zu 200 Millionen Euro. Es gehe ihm aber nur in zweiter Linie um Geld. Nach der Entschuldigung des Aufsichtsratsvorsitzenden Pflaumer im Gerichtssaal, fordere Claassen "in erster Linie eine Klarstellung, dass er professionell und in gutem Recht gehandelt hat", so der Sprecher.

Claassens Anwalt Sebastian Melz bedauerte, dass der Vergleichsvorschlag an die Öffentlichkeit gelangte. "Jede Verletzung der Vertraulichkeit gefährdet einen Vergleich." Ein Sprecher des Aufsichtsrates von Solar Millennium begrüßte auf Anfrage "die intensiven Vergleichs-Bemühungen des Gerichtes." Man werde dessen Vorschläge eingehend prüfen.

Für das Unternehmen wäre ein Vergleich und damit das schnelle Ende des öffentlichkeitswirksamen Prozesses womöglich erstrebenswert. Andererseits wäre Schadenersatz für Utz Claassen und allein das bloße Eingeständnis, dass dieser bis hin zu seiner Kündigung rechtmäßig gehandelt hat, ein neuerliches Fiasko in einer langen Kette an immer neuen Debakeln bei Solar Millennium.

Dort herrscht seit geraumer Zeit an der Spitze ein munteres Kommen und Gehen; jüngst verabschiedeten sich Vorstandschef und Finanzvorstand. Mit dem Verkauf der US-Sparte verabschiedete man sich nicht nur vom bisherigen Kerngeschäft, sondern auch von seinem Renommierprojekt: In der kalifornischen Wüste wollte man nicht weniger als das größte Sonnenkraftwerk der Welt bauen.

Stattdessen durchleuchten Staatsanwaltschaft und Finanzaufsicht Bafin das Geschäftsgebaren bei Solar Millennium. Hässliche Vorwürfe wie Untreue und Insiderhandel stehen im Raum. Letzterer richtet sich gegen Hannes Kuhn, Firmengründer und bis vor kurzem mächtiger Aufsichtsrat. Er soll mit Aktien spekuliert haben, wohl wissend, dass Claassens bevorstehendes Engagement als Vorstandschef ein Kursfeuerwerk auslösen würde. Das tat es dann auch. Ob überhaupt, und wenn ja, wie viel Geld Kuhn damit illegal verdient hat, prüfen gerade Staatsanwaltschaft und Bafin.

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SZ vom 26.11.2011/aum
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