Ex-Holzmann-Chef Binder:"Nicht mit Opel vergleichbar"

Lesezeit: 5 min

Opel ruft nach dem Staat und weckt Erinnerungen an den Fall Holzmann: Der damalige Chef des Bauriesen, Heinrich Binder, über Bürgschaften und Rettungspakete als Wahlkampfstrategie von Politikern.

Melanie Ahlemeier

Neun Jahre ist es her, als Heinrich Binder zusammen mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor der Zentrale des Baukonzerns Philipp Holzmann stand: Schröder hatte die Banken mit Hilfe einer Bundesbürgschaft überzeugt - sie gaben dem angeschlagenen Unternehmen wieder Geld. Glücklich wurden weder Holzmann noch Binder: Gut zwei Jahre nach der spektakulären Rettungsaktion musste der Konzern Konkurs anmelden, Binder war schon lange vorher von Bord gegangen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den promovierten Juristen, ihr Vorwurf: Binder habe die wirtschaftliche Lage des Konzerns falsch dargestellt. Sechs Jahre später wurde das Verfahren eingestellt.

24. November 1999: Holzmann-Chef Heinrich Binder (links) und Bundeskanzler Gerhard Schröder winken in Frankfurt am Main den Mitarbeitern des Baukonznerns zu, der in einer letzten Verhandlungsrunde (vorübergehend) vor der Pleite bewahrt wurde. Im Hintergrund Hessens Ministerpräsident Roland Koch. (Foto: Foto: dpa)

Nach seinem gut zwei Jahre dauernden Gastspiel bei Holzmann ist der gebürtige Westfale Binder zurück in die Automobilindustrie gekehrt: Seit Sommer 2000 führt er den Zulieferer Takata-Petri mit Sitz in Aschaffenburg. Das Unternehmen ist Teil der Takata Corporation mit Sitz in Tokio. Von 1992 bis 1997 leitete Binder als Vorstandsvorsitzender den Kolben- und Motorenteilespezialisten Kolbenschmitt in Neckarsulm.

sueddeutsche.de: Herr Binder, Opel ruft nach dem Staat und bittet um eine Milliarden-Bürgschaft. Werden bei Ihnen böse Erinnerungen an den Fall Holzmann wach?

Heinrich Binder: Holzmann war ein ganz anderer Fall, das ist nicht mit Opel zu vergleichen. Bei Holzmann ging es nur vordergründig um eine Bürgschaft. Insgesamt waren das 246 Millionen Mark, es war eine andere Größenordnung.

sueddeutsche.de: Und dennoch schwang sich kein Geringerer als Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Retter auf. Warum?

Binder: Die Banken waren untereinander sehr zerstritten. Bundeskanzler Schröder sollte die Banken einen, um weitere Kredite für Holzmann zu ermöglichen. Das hat bestens funktioniert und den Steuerzahler auch nichts gekostet.

sueddeutsche.de: Gebracht hat es letzten Ende nichts. Wenige Jahre später ging das bis dato größte deutsche Bauunternehmen trotzdem pleite.

Binder: Holzmann hatte Zeit bekommen, die Konjunktur erholte sich aber nicht wie erhofft. Dass zweieinhalb Jahre später Konkurs angemeldet wurde, lag nicht am Bundeskanzler.

sueddeutsche.de: Haben Sie noch Kontakt zum vorübergehenden Holzmann-Retter Schröder?

Binder: Nein. Obwohl sein Einsatz in der Presse sehr negativ dargestellt worden ist, hat er gute Arbeit geleistet. Schröder hat dem Unternehmen eine neue Chance gegeben.

sueddeutsche.de: Die "Holzmänner" haben Kanzler Schröder unmittelbar nach Verkündung der Bundesbürgschaft vor der Konzernzentrale frenetisch gefeiert.

Binder: Die Kollegen waren froh, dass ihre Arbeitsplätze erhalten geblieben sind. Das kann man nachvollziehen.

sueddeutsche.de: Woran ist Holzmann dann doch gescheitert?

Binder: Dazu kann ich nichts sagen, ich bin vorher aus dem Unternehmen ausgeschieden.

sueddeutsche.de: War das Arbeiten bei Holzmann nach der Bürgschaft anders als zuvor - weil jeder wusste, dass der Konzern am Tropf des Staates hing?

Binder: Nein, überhaupt nicht. Uns ging es damals darum, das Unternehmen zu retten. Die Sanierungsfähigkeit ist damals von einer Unternehmensberatung bestätigt worden.

sueddeutsche.de: Wann ist eine staatliche Stützungsaktion sinnvoll?

Binder: Aus rein marktwirtschaftlicher Sicht macht das keinen Sinn. Natürlich kann man sagen, dass es Ausnahmen geben soll, weil der Zusammenbruch eines großen Unternehmens immer sehr negative Auswirkungen hat - einmal auf die Arbeitsplätze in dem Unternehmen selber, aber auch auf die Jobs bei den Zulieferern. Von daher ist es vernünftig, wenn sich die Politik pragmatisch überlegt, ob man hier irgendwie helfen kann. Aber natürlich ist jede Hilfe ein Eingriff in die Marktwirtschaft und daher eher skeptisch zu beurteilen.

Lesen Sie weiter, warum Opel ein Sonderfall ist - und warum Heinrich Binder dem Opel-Management keine Ratschläge gibt.

sueddeutsche.de: Ist Opel ein Sonderfall?

Heinrich Binder führte rund zwei Jahre lang den Baukonzern Holzmann. (Foto: Foto: oH)

Binder: Opel ist sicherlich ein Sonderfall, kein anderes Unternehmen aus der Automobilindustrie hat bislang nach dem Staat gerufen.

sueddeutsche.de: Wie ist es dem Bürger zu vermitteln, dass er als Steuerzahler womöglich für eine verfehlte Modellpolitik bluten muss?

Binder: Die Frage ist: Ist die Krise eine Folge einer verfehlten Modellpolitik oder hat sie andere Ursachen? Ich denke, dass es eine komplexe Angelegenheit ist. Die beruht sicherlich auf den Zuständen bei General Motors in den USA, aber sicherlich auch auf den besonderen Zuständen, die wir hier gerade in Deutschland haben.

sueddeutsche.de: Ihr Tipp an das Opel-Management?

Binder: Wer bin ich, dass ich dem Opel-Management Ratschläge erteilen kann? Ich denke, die wissen sehr genau, was sie tun können und was sie tun sollen.

sueddeutsche.de: Im Fall Opel waren die entscheidenden Politiker relativ schnell zu einer Bürgschaft bereit, allen voran Kanzlerin Angela Merkel. Ist die Opel-Rettung Teil des bundespolitischen Wahlkampfs?

Binder: Ja, wir befinden uns schon im Wahlkampf, und der ist sicherlich auch ein Motivator. Aber zunächst geht es hier um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Das ist sicherlich das Hauptaugenmerk der Politik.

sueddeutsche.de: Gerhard Schröder galt immer als Auto-Kanzler. Schwingt sich jetzt Angela Merkel zur Auto-Kanzlerin auf?

Binder: Das kann ich mir nicht vorstellen.

sueddeutsche.de: Sie waren vor und nach Ihrer Tätigkeit bei Holzmann in der Automobilzuliefererbranche tätig. Welche Lehren müssen Autohersteller und die Zulieferer aus der Finanzkrise, die längst eine Wirtschaftskrise geworden ist, ziehen?

Binder: Die Finanzkrise ist so nicht unbedingt vorhersehbar gewesen. Absehbar war aber, dass die Konjunktur in diesem Jahr nachgibt, das war ganz klar. Möglicherweise hat man in der Industrie auch die Klimadebatte unterschätzt.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie konkret?

Binder: Es gab eine Fehlentwicklung, die von der Politik verursacht worden ist. Die höheren Abgaben und Steuern im Zusammenhang mit hohen Benzinpreisen haben dazu geführt, dass das Autofahren sehr teuer geworden ist. Außerdem fehlen klare Rahmenbedingungen. Die CO2-basierte Kfz-Steuer haben wir immer noch nicht bekommen, obwohl das wirklich etwas Vernünftiges ist und die Politik schon lange darüber redet.

sueddeutsche.de: Angesichts der Kfz-Steuerbefreiung beim Kauf eines Neuwagens ist die Politik binnen weniger Tage massiv zurückgerudert. Statt für zwei Jahre gibt es die Steuererleichterung jetzt nur noch für wenige Monate. Eine Luftnummer der Politik?

Binder: Ich glaube nicht, dass das viel Sinn macht.

Lesen Sie weiter, warum sich spritsparende Autos in Deutschland einfach nicht verkaufen.

sueddeutsche.de: EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering schließt angesichts der Krise in der Autobranche eine Änderung des EU-Rechts nicht aus, um Staatshilfen zu erleichtern. Eine Steilvorlage für andere Branchen?

Binder: Mit Gesetzesänderungen ist zu diesem Zeitpunkt niemandem geholfen. Ich glaube auch nicht, dass das erforderlich ist. Grundsätzlich soll sich der Staat mehr aus der Wirtschaft heraushalten - und nur dann helfen, wenn Notfälle bestehen.

sueddeutsche.de: Wie definieren Sie einen Notfall?

Binder: Das ist ein einzigartiger Fall - und eben kein Fall, wo eine ganze Branche mit Subventionen unterstützt werden muss. Das kann nie gutgehen.

sueddeutsche.de: Unterscheiden Sie dabei zwischen Großkonzernen und Mittelständlern?

Binder: Grundsätzlich kann man nicht unterscheiden. Tatsache ist aber, dass bei dem Konkurs eines Großunternehmens sofort mehr Arbeitsplätze betroffen sind, auch bei den Zulieferern. Die mittelständischen Unternehmen sollten den gleichen Kriterien unterliegen, aber das ist natürlich schwieriger, weil wir hier wieder über eine Vielzahl von Fällen sprechen und nicht nur von einem.

sueddeutsche.de: Bleiben in der Automobilindustrie wichtige Neuentwicklungen infolge der Krise auf der Strecke?

Binder: Nein, überhaupt nicht. Die Automobilindustrie gibt jährlich Milliarden aus, um zum Beispiel den technologischen Umbruch zu anderen Antrieben zu leisten. Bislang bestand nur das Problem, dass der Kunde für diese teure ökologische Verbesserung einfach nicht bezahlen wollte.

sueddeutsche.de: Haben Sie ein Beispiel?

Binder: Ein Beispiel ist der VW Lupo. Das Drei-Liter-Auto ist nicht verkauft worden, weil der Kunde nicht bereit war, für ein spritsparendes Fahrzeug mehr Geld auszugeben. Diese Situation haben wir leider immer noch. Jeder freut sich, wenn die Motoren weniger Schadstoffe verbreiten, aber zahlen möchte niemand dafür.

sueddeutsche.de: Braucht Deutschland mehr Billigautos wie den Tata Nano?

Binder: Nein, in Europa würde sich niemand ans Steuer eines Nanos setzen. Unsere Autos sind entsprechend den Kundenwünschen gebaut worden - sie sind sehr komfortabel und sehr sicher. Dadurch haben wir auf Europas Straßen deutlich weniger Tote.

sueddeutsche.de: Takata beliefert neben BMW und Daimler auch die drei angeschlagenen US-Autokonzerne Chrysler, Ford und General Motors. Hat Ihr Konzern bereits mit wegbrechenden Aufträgen zu kämpfen?

Binder: Wir haben derzeit eine rückläufige Produktion, weil derzeit Autos aus vielen Gründen nicht gekauft werden. Das betrifft natürlich auch Opel und GM.

sueddeutsche.de: Was heißt das konkret für Takata-Petri in Aschaffenburg?

Binder: Wir sehen schon, dass sich die Abrufe der Hersteller in letzter Zeit reduzieren. Das hängt natürlich auch vom Modell ab. Es gibt Modelle, die laufen besser als andere.

sueddeutsche.de: Sie sind gerade aus Japan zurückgekehrt. Geht auch im Takata-Stammland die Angst vor einer Wirtschaftskrise um?

Binder: Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Japan und Deutschland. Die Krise hat Japan genauso erreicht.

© sueddeutsche.de/jja/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: