Ex-EZB-Chefvolkswirt Issing:"Griechenland? Herkules und Sisyphus"

Der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing fordert Reformen statt immer mehr Geld für angeschlagene Staaten. Er kritisiert die Europäische Zentralbank, den Sachverständigenrat und erklärt, warum sich Griechenland den Beitritt zur Währungsunion erschlichen hat - und Italien sich selbst retten kann.

Helga Einecke

SZ: Scheitert der Euro, scheitert Europa sagt Kanzlerin Merkel. Scheitert der Euro gerade?

Otmar Issing soll Expertenkommission der Regierung leiten

Der ehemalige EZB-Ökonom Ottmar Issing ist überzeugt, dass Italien seine Probleme selbst lösen kann

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Issing: Der Euro scheitert nicht. Es wird ihn noch lange geben. Die Frage ist, was für ein Euro wird es sein. Auf dem Prüfstand steht, ob die Währung stabil bleibt. Ich bin nach wie vor optimistisch.

SZ: Was hält die Währung stabil?

Issing: Wir haben eine unabhängige Notenbank mit dem klaren Auftrag, Preisstabilität zu garantieren. Wir haben das Verbot der monetären Finanzierung. Geldpolitik geschieht aber nicht im politikfreien Raum. Wir brauchen also auch eine solide Finanzpolitik - sowie einen Arbeitsmarkt und eine Kreditwirtschaft, die dazu passen.

SZ: Widersprechen die EZB-Käufe von Staatsanleihen nicht dem Verbot der monetären Finanzierung?

Issing: De facto wird das Verbot längst umgangen. Die Idee, Währungsreserven zu vergemeinschaften und zur Rettung von Ländern einzusetzen, ist zum Beispiel ein klarer Verstoß gegen das Verbot.

SZ: Diese Idee wurde vor kurzem in der EZB durchgespielt, von den Regierungschefs diskutiert und von Deutschland verworfen.

Issing: Es ist nur der Standhaftigkeit der Bundesbank zu verdanken, dass dieser Angriff abgewehrt wurde. Aber ich gehe davon aus, dass solche Versuche wiederholt werden. Das, was geplant war...

SZ: ... also die Sonderziehungsrechte aller Euro-Notenbanken zu poolen und als Sicherheit für den Rettungsfonds zu nutzen ....

Issing: .,.wäre nur ein Anfang gewesen. Wenn man diese Büchse der Pandora öffnet, gibt es kein Halten mehr. Auch deshalb hat mich der Vorschlag des Sachverständigenrats, die Währungsreserven zur Ausstattung eines Schuldentilgungsfonds zu poolen, schockiert.

SZ: Was ist daran so schockierend?

Issing: Das ist ein glatter Bruch des Vertrages. Es macht die Sache nicht besser, dass Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht allmählich zum Alltag gehören. Wie soll die Währungsunion jemals wieder Vertrauen gewinnen, wenn man sich nicht auf rechtlich verankerte Prinzipien verlassen kann? Im übrigen ist der Vorschlag politisch gesehen blauäugig. Die deutsche Währungsreserven wird man gerne vereinnahmen. Was aber bei den Hilfen dann tatsächlich herauskommt, das steht in den Sternen.

SZ: Ist der Kauf der Staatsanleihen nicht auch riskant und gefährlich?

Unbegründete Sorgen der Politik?

Issing: Der ehemalige Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger sagte, die EZB habe den Rubikon überschritten. Ich stimme ihm zu, man hat gegen ein zentrales Prinzip verstoßen. Wenn man das einmal angefangen hat, ist es ganz schwierig davon wieder wegzukommen.

SZ: Befürworter des Kurses der EZB sagen, sie sei die einzige handlungsfähige Institution in der Krise gewesen.

Issing: Es fällt mir nicht leicht, die Notenbank zu kritisieren. Wenn die EZB aber den Ausputzer für das Versagen von Regierungen spielt, dann gewöhnt man sich an diese Rolle. Der Kauf von italienischen Staatspapieren hat die Reformen in Italien nicht gefördert, um es milde auszudrücken.

SZ: Die EZB argumentiert damit, es gebe sonst systemische Risiken.

Issing: Tatsächlich wird die weltweite Entwicklung immer schriller charakterisiert. Offenbar sieht die Mehrheit der Ökonomen das Heil darin, immer mehr Liquidität bereit zu stellen und mehr Inflation in Kauf zu nehmen. Die Dimension der Krise ist keine Rechtfertigung für den Einsatz falscher Mittel. Sicher ist das Weltfinanzsystem fragil - ich halte aber das Schnüren von immer größeren Hilfspaketen für einen völlig verfehlten Ansatz.

SZ: Wie kommen wir sonst aus der Krise?

Issing: Es gibt keinen Fonds, der ausreicht, um Italien zu retten. Italien kann und muss sich selbst retten. Jeder vernünftige Ökonom könnte in fünf Minuten auf einem Papier aufschreiben, was dort zu unternehmen ist. Wenn eine glaubwürdige Ankündigung käme, dass Italien seine Hausaufgaben macht, würden die Finanzmärkte das wirklich honorieren.

SZ: Also sind die Sorgen der Politik völlig unbegründet?

Issing: Italien braucht keine finanziellen Hilfen. Je mehr sich Länder darauf verlassen können, dass sie gerettet werden, desto geringer ist der Reformdruck nach innen. Italien besitzt erhebliche Goldreserven. Daran sollte man denken, bevor man Währungsreserven vergemeinschaften will. Vieles läuft in die falsche Richtung. Die Diskussionen kreisen um die Größe des Rettungsschirms, um Hebel, sogar um Banklizenzen. Wenn die Probleme nicht an der Wurzel angegangen werden, hilft aber kein Schirm.

SZ: Was passiert, wenn die EZB abrupt keine Staatsanleihen mehr kauft?

Issing: Ihre Frage belegt die Schwierigkeit, aus derartigen Interventionen unbeschädigt herauszukommen.

SZ: Gehen dann nicht einfach die Renditen für Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder hoch?

Issing: Das könnte sein, aber könnte auch den Reformdruck wirksam verstärken. Als die Renditen für italienische Anleihen stiegen, hat Italien Reformen im Eiltempo beschlossen. Nach den EZB-Käufen hat dieser Wille nachgelassen. Man sollte sich auch in Zukunft nicht allein auf die Überwachung durch den Stabilitätspakt verlassen. Die Kontrolle durch die Märkte muss hinzukommen.

SZ: Aber die Märkte haben nicht verhindert, dass ein kleines Land wie Griechenland die Euro-Zone an den Rand des Ruins bringt.

Griechenland hat sich den Beitritt erschlichen

Issing: Europas Politiker wollen alle 17 Euro-Länder in der Währungsunion halten, scheinbar um jeden Preis. Das hat von Anfang an in eine falsche Richtung geführt. Mit dieser Ansage macht sich die Politik erpressbar.

SZ: Wie hat Griechenland die Euro-Länder erpresst?

Issing: Griechenland ist in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Es hat sich den Beitritt zur Währungszone erschlichen. Es hat seine Fehler auch danach in den Statistiken verschleiert. Es war offenkundig falsch, das Land aufzunehmen. Es hat kein einziges Mal den Stabilitätspakt eingehalten und seine Probleme immer ignoriert. Dann gab Europa Hilfen unter Auflagen, die Auflagen wurden nicht erfüllt. Nun müssen die Finanzen saniert und solides Wachstum geschaffen werden. Das Herangehen an Besitzstände ist politisch noch schwieriger, als Steuern zu erhöhen. Der Widerstand der Lobby im Parlament ist extrem. Es handelt sich um die Klientel der führenden Parteien wie Gewerkschaften, Rechtsanwälte, Notare, LKW- und Taxibranche. Eine Herkules-Aufgabe, deren Bewältigung eher an Sisyphus erinnert.

SZ: Wer soll diese Aufgabe finanzieren? Die Partner der Euro-Zone, allen voran die Deutschen?

Issing: Das halte ich für undenkbar. Das wird die Bevölkerung auf Dauer nicht akzeptieren. Von zahlreichen Politikern weiß ich, welche Vorwürfe sie sich von ihren Wählern anhören müssen: Wegen der Schuldenbremse können wir Schulen und Straßen nicht bauen, aber den Griechen schiebt ihr locker zweistellige Milliardenbeträge über den Tisch.

SZ: Sie glauben, die Deutschen machen da nicht mit?

Issing:Meine Hauptsorge ist nicht ökonomischer oder finanzieller, sondern politischer Natur. Wenn etwas Europa gefährdet, dann ist es mangelnde Unterstützung durch die Bürger. In Deutschland ist die Begeisterung für Europa dramatisch zurückgegangen. In einem Land, das seit dem Zweiten Weltkrieg in der Europa-Begeisterung ganz vorne dran war.

SZ:Viele Deutsche wollen sogar ihre D-Mark wiederhaben.

Issing:Da ist auch viel Nostalgie im Spiel. Aber das steigende Misstrauen in den Euro ist schon besorgniserregend.

SZ: Wie kommt es, das Sie trotzdem davon ausgehen, dass der Euro stabil bleibt?

Issing: Zugegeben, ich bin nicht euphorisch. Aber alle verstehen, dass der Euro nach wie vor Vorteile bringt, nicht zuletzt Deutschland. Bei aller Skepsis und Kritik sollte man eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen nicht übersehen.

SZ: Listen Sie auf.

Issing: Die neue portugiesische Regierung hat sich viel vorgenommen und teilweise verwirklicht. Irland ist dank harter Eingriffe auf einem guten Weg. Spanien ändert ein Arbeitsrecht aus Francos Zeiten. Frankreichs Präsident kündigt ein halbes Jahr vor der Wahl eine Reihe von Reformen an. Solche Veränderungen macht die Krise möglich. Das muss weitergehen. Die Probleme kommen von der Politik in einzelnen Ländern, und nur dort kann die Lösung gefunden werden. Da stört das Gerede über eine permanente Aufstockung der Hilfsgelder.

SZ: Haben Sie Verständnis für den Occupy-Protest der Demonstranten an der Wall Street und unter dem EZB-Turm?

Issing: Ich wundere mich jedenfalls nicht über den Ausbruch der Proteste. Ich hätte solche Reaktionen eigentlich schön viel früher erwartet, nämlich nach dem immensen Aktionen zur Rettung des Finanzsystems. Eine fortgesetzte Rettung der systemische relevanten Banken, die zu groß sind, um unterzugehen wäre schwierig. Das würde die Akzeptanz der Marktwirtschaft gefährden und selbst das Vertrauen in die Demokratie untergraben. 1965 habe ich habilitiert, und vieles gesehen, was hätte verändert werden müssen. Die Revolte kam aber erst 1968, erst da fing man an, Lenin und Marx zu lesen. Es gibt also ein Verzögerungspotential. Wer mit Hunderten Milliarden Banken rettet, die trotzdem Boni zahlen und undurchsichtige Produkte verkaufen, schafft Empörungspotential.

SZ: Sie sind nicht nur Wissenschaftler, Ökonom oder Geldpolitiker, sondern auch Altphilologe. Schmerzt es Sie nicht, wie die Nachfahren der Griechen und Römer mit ihrem Erbe umgehen?

Issing: Man sagt zwar, die Demokratie sei in Griechenland erfunden worden. Aber schon früher führte dort die Individualität ins Chaos. Es stimmt, ich habe früher fiktive Diskurse mit Sokrates gepflegt und mir dafür das Pseudonym Otis Sigmar dafür zugelegt. Aber die heutigen Griechen haben mit dem damaligen Volk wenig gemein.

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