Ex-Arcandor-Chef:Richter stellen sich erneut hinter Middelhoff

Middelhoff-Prozess

Aufwärts im Landgericht Essen: Thomas Middelhoff hat dort schon viele Gerichtstermine hinter sich gebracht. Gut möglich, dass ihm einige weitere erspart bleiben.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)
  • Das Landgericht Essen wird wohl eine Anklage gegen Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff nicht zulassen.
  • Die Staatsanwaltschaft will Middelhoff und andere ehemalige Arcandor-Manager dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie kurz vor der Arcandor-Pleite noch Millionen-Boni kassiert haben.
  • Erst kürzlich scheiterten zwei weitere Verfahren gegen Middelhoff vor Gericht.

Von Klaus Ott und Uwe Ritzer

Die Sitzung dauerte nur zehn Minuten, aber die reichten aus, um kurz vor Weihnachten 2008 Geschenke in Millionenhöhe an Thomas Middelhoff und andere Spitzenmanager der Arcandor AG zu verteilen. Der vorwiegend aus der Warenhauskette Karstadt, dem Versandhaus Quelle und dem Reiseveranstalter Thomas Cook bestehende Konzern hatte in dem Jahr zwar 746 Millionen Euro Verlust eingefahren und taumelte seinem Untergang entgegen. Ordentliche Boni für die Topmanager sollte es trotzdem geben: Insgesamt gut 8,8 Millionen Euro, von denen alleine Middelhoff 2,295 Millionen kassieren sollte. So beschlossen es am 11. Dezember 2008 die wichtigsten Aufsichtsräte von Arcandor. Kurios dabei: Middelhoff erhielt seinen Bonus bereits eine Woche zuvor.

Wegen der Millionenzahlungen will die Staatsanwaltschaft Bochum Middelhoff und vierzehn weitere ehemalige Aufsichtsräte und Vorstände des Pleite-Konzerns Arcandor auf die Anklagebank bringen. Nur das zuständige Landgericht Essen zieht nicht mit: Der Prozess könnte deshalb platzen, bevor er begonnen hat.

Die Vorwürfe, Veruntreuung von Konzernvermögen bei Arcandor beziehungsweise Anstiftung dazu, sind im Kern bekannt. Allerdings glaubt die zuständige Erste Große Strafkammer des Landgerichts Essen, bei Arcandor könnte es eine vertragliche Grundlage für die "Gewährung von Sonderboni" gegeben haben. Die maßgebliche Klausel in den Verträgen mit den Managern könnte ausreichend gewesen sein, alles könnte rechtzeitig geregelt worden sein. Das steht in einem siebenseitigen Beschluss des Gerichts vom 9. Juni.

Staatsanwaltschaft würde wohl beim OLG Hamm Beschwerde einlegen

Vieles ist zwar noch im Konjunktiv. Für den früheren Bertelsmann- und Arcandor-Chef Middelhoff bedeutet das aber: Das Landgericht Essen könnte ihm nach seiner Gefängnisstrafe in einem anderen Arcandor-Fall einen weiteren Strafprozess ersparen. Die Richter schreiben angeblich schon an einem ausführlichen Beschluss, mit dem ein Prozess abgelehnt werden soll, heißt es aus Kreisen der Verteidiger. Das Gericht selbst sagt, die Sache sei "noch nicht endgültig entschieden". Und die Staatsanwaltschaft wartet ab.

Sie gilt als hart und unnachgiebig. Sollte das Gericht in Essen die bereits vergangenes Jahr eingereichte Anklage gegen die einstigen Manager abweisen, würden sie wohl beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm Beschwerde einlegen, um einen Prozess zu erzwingen. Es wäre das größte Verfahren über Managerhaftung in Deutschland seit dem Mannesmann-Verfahren vor gut zehn Jahren.

Arcandor habe sich bei Bonuszahlungen von Juristen beraten lassen

Boni und Moral, das ist spätestens seitdem klar, sind manchmal zweierlei Dinge. Aber das ist nicht der Punkt bei Gericht. Es geht um Paragrafen. Denn gerade in der Sache Mannesmann, in der auch der damalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann angeklagt war, hat die Justiz Grundsätzliches entschieden: Ein Aufsichtsrat dürfe den Vorstand nicht mit einer Sonderzahlung belohnen, die vertraglich nicht geregelt sei und keinen Nutzen für das Unternehmen habe.

Genau das sei aber sehr wohl der Fall gewesen, wenden die Verteidiger der Ex-Arcandor-Manager in langen Schriftsätzen an das Landgericht Essen ein. Der Konzern habe sich von führenden Juristen auf diesem Gebiet sorgfältig beraten lassen und die Folgen des Falles Mannesmann genau bedacht, um nur ja keinen Fehler zu machen. Alles habe also seine Ordnung gehabt.

Aufsichtsrat Reischl hielt Prämie "schlicht für unanständig"

Ob die Boni bei Arcandor wirklich angebracht waren ist eine ganz andere Frage - der sich manche Aufsichtsräte des bereits angeschlagenen Warenhaus- und Reisekonzerns sehr wohl bewusst waren. Hans Reischl beispielsweise, der einstige Chef der Handelskette Rewe, schrieb im Juli 2008 einem Aufsichtsratskollegen ein paar deutliche Worte: Es fehle das "richtige Maß bei uns".

Anlass dafür war eine Millionen-Prämie für einen scheidenden Arcandor-Vorstand, die Reischl "schlicht für unanständig" hielt. Das möge rechtlich in Ordnung sein und insofern begehe man keine Untreue, notierte der erfahrene frühere Rewe-Chef. Aber sei es denn wirklich nötig, das Engagement dieses Managers "derart üppig zu honorieren"? Habe denn nicht jeder Vorstand ohnehin die Pflicht, das Höchstmögliche für sein Unternehmen herauszuholen?

Und bestmöglich war zu diesem Zeitpunkt schon lange nichts mehr bei Arcandor. Kurz darauf folgten: die Insolvenz des Konzerns, eine Vielzahl von Ermittlungen und eine Reihe von Gerichtsverfahren, in denen sich alte Weggefährten gegenseitig verklagten, Middelhoff inklusive. Mittendrin: Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz und das traditionsreiche Geldinstitut Sal. Oppenheim, das inzwischen der Deutschen Bank gehört.

Illustre Runde auf der Anklagebank

In dem Prozess, den die Bochumer Strafverfolger nun wohl unbedingt durchsetzen wollen, kämen sie fast alle noch einmal zusammen, auf der Anklagebank. Die einstigen Wirtschaftskapitäne Middelhoff und Reischl; dazu der frühere Oppenheim-Bankier Janssen und Schickedanz-Ehemann Leo Herl; plus weitere Manager und Gewerkschafter.

Eine illustre Runde säße da also beisammen, die sich für vieles rechtfertigen müsste. Auch dafür, warum sie noch im Dezember 2008 zu solch optimistischen Einschätzungen kam wie bei Middelhoff. Sein knapp 2,3 Millionen Euro schwerer Bonus wurde ihm nämlich als Dank für "seinen strategischen Weitblick und die mutigen Entscheidungen in den Jahren 2005 bis 2008" gewährt. Diese hätten "entscheidend zum Überleben des Unternehmens, zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Neuausrichtung des Konzerns beigetragen". 2009 war Arcandor pleite.

Erinnerungen an den Fall Porsche

Ob es je Erklärungen dafür geben wird, ist allerdings offen. Zuletzt hatte Middelhoff jedenfalls einen Lauf gegen die Bochumer Ankläger. Sie stellten gleich zwei Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Demnach hat er sich als Arcandor-Vorstandschef nicht der Insolvenzverschleppung schuldig gemacht. Eine weiteres Ermittlungsverfahren zu vermuteten Schummeleien im Zusammenhang mit Middelhoffs Privatinsolvenz stellten die Ankläger mit Blick auf den Umstand ein, dass Middelhoff bereits genug gestraft sei.

Die jetzige Hartnäckigkeit der Staatsanwaltschaft weckt bei vielen Verteidigern zudem Erinnerungen an den Fall Porsche. Die Justiz in Stuttgart hatte in erster Instanz ein Verfahren gegen Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wegen der Übernahmeschlacht mit Volkswagen ebenfalls abgelehnt, die zweite Instanz hielt einen Prozess aber für nötig. Dort wurde Wiedeking dann vor einem halben Jahr freigesprochen. So könnte es nun auch bei Arcandor kommen, glauben etliche Anwälte, die das unbedingt verhindern wollen. Außerdem wären fast alle Angeschuldigten wohl bereit, für eine Einstellung des Verfahrens auch zu zahlen. Von bis zu 100000 Euro ist die Rede. Darauf wolle sich die Staatsanwaltschaft Bochum aber nicht einlassen.

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