Europas größter Spezialchemiekonzern Evonik steht vor dem umfassendsten Umbau der Unternehmensgeschichte. Dadurch könnten bis zu 7000 Beschäftigte weltweit ihren Job verlieren oder durch einen Spartenverkauf ihren Arbeitgeber wechseln. Daneben werden Hierarchieebenen gestrichen; 1000 der insgesamt 4500 Führungskräfte sollen auf ihre Managementverantwortung verzichten und stattdessen als Fachkräfte tätig werden. Insgesamt hat das Essener M-Dax-Mitglied 32 000 Mitarbeiter. Zugleich wird Evonik künftig einen der höchsten Frauenanteile im Vorstand eines Industriebetriebs haben.
„Unser Vorstand wird internationaler und weiblicher“, sagte der Vorstandsvorsitzende Christian Kullmann am Freitag. So geht Vizechef Harald Schwager in den Ruhestand. Gleiches gilt für zwei Chefs von Geschäftssparten, die Mitglied des erweiterten Vorstands waren. Dieser erweitere Vorstand wiederum soll aufgelöst werden, künftig soll es nur noch einen fünfköpfigen Vorstand geben, an den die Sparten direkt berichten. In diesem Gremium sitzen neben Kullmann Personalvorstand Thomas Wessel und Finanzvorständin Maike Schuh. Außerdem rücken die US-Amerikanerin Lauren Kjeldsen und die Französin Claudine Mollenkopf in den Vorstand auf. Mit den zwei langjährigen Evonik-Managerinnen stellen Frauen dort nun die Mehrheit.
Evonik soll zudem künftig nur noch drei statt fünf Geschäftsbereiche haben: Die 51-jährige Kjeldsen soll den Bereich „Custom Solutions“ führen, in dem Evonik maßgeschneiderte Spezialchemieprodukte für Nischenmärkte anbietet, etwa Lipide für Impfstoffe oder Zusätze für Lacke. Die 58-jährige Elsässerin Mollenkopf soll für die Sparte „Advanced Technologies“ verantwortlich sein, in der Evonik Produkte zusammenfasst, bei denen der Konzern weltweit einer der größten Anbieter ist – etwa Aminosäuren für Tiernahrung oder Mittel, um Rotorblätter von Windrädern zu härten. Beide Bereiche erzielen jeweils sechs Milliarden Euro Umsatz.
Für die dritte und kleinste Sparte „Infrastructure“ soll Personalvorstand Wessel zuständig sein. Zu ihr gehören insgesamt 3600 Beschäftigte der Chemieparks in Marl im Ruhrgebiet und Wesseling bei Köln. Diese unterstützen die Arbeit in den dortigen Evonik-Anlagen – doch sie könnten künftig einen anderen Arbeitgeber haben. „Wir könnten die Bereiche verkaufen oder auch mit einem Partner eine Gemeinschaftsfirma gründen“, sagt Vorstandschef Kullmann. Außerdem ist in Wessels Sparte das sogenannte C4-Chemiegeschäft angesiedelt, für das Kullmann schon länger einen Käufer sucht. Dort arbeiten 1000 Menschen.
2000 Jobs fallen weg
Daneben sucht Evonik Käufer für sein Polyester-Werk in Witten im Ruhrgebiet, das gut 300 Beschäftigte hat. Damit würden insgesamt fast 5000 Mitarbeiter von möglichen Verkäufen betroffen sein. Außerdem hat der Konzern bereits im Frühjahr ein Programm gestartet, das bis Ende 2026 Bürokratie und 2000 Jobs weltweit abbauen soll, davon 500 in Führungspositionen. Betriebsbedingte Kündigungen sind aber ausgeschlossen.
Die Anzahl der Hierarchieebenen soll dabei von durchschnittlich zehn auf maximal sechs sinken. Dies und das Verringern der Zahl der Geschäftsbereiche solle Evonik „schneller und effizienter machen und Kosten sparen“, sagt Kullmann. Ein ähnliches Konzept verfolgt auch Bill Anderson, Chef des kriselnden Pharma-, Pflanzenschutz- und Saatgutunternehmens Bayer. Der Amerikaner streicht ebenfalls Hierarchieebenen und Führungsjobs.
Evonik leidet wie andere Chemiekonzerne unter der schwachen Konjunktur. Nach dem Wahlsieg des Protektionisten Donald Trump in den USA erwartet Kullmann zudem, dass Exporte schwieriger werden: „Ich gehe davon aus, dass der regelbasierte Welthandel, wie wir ihn kennen, nun zu Ende geht. Wir werden mehr Zölle und andere Handelshemmnisse sehen“, sagt der 55-Jährige. „Daher ist es wichtig, näher beim Kunden zu sein, um nicht unter Zöllen zu leiden.“ Sprich: Evonik wird in den kommenden Jahren mehr Produktionskapazitäten vor Ort in wichtigen Abnehmerstaaten aufbauen. Kullmann möchte insbesondere in Asien zulegen. Bisher steht der Kontinent für gut 20 Prozent des Umsatzes, künftig soll es ein Drittel sein.