Chemische Industrie:"Wir werden härter malochen müssen"

Chemische Industrie: Evonik-Fabrik in Köln: Der Chemiekonzern macht 2022 ein Viertel weniger Gewinn als 2021.

Evonik-Fabrik in Köln: Der Chemiekonzern macht 2022 ein Viertel weniger Gewinn als 2021.

(Foto: Christoph Hardt/Imago)

Chemiekonzerne leiden enorm unter den hohen Energiekosten. Dementsprechend mau läuft das Geschäft. Evonik-Chef Kullmann sieht aber auch Versäumnisse bei der Bundesregierung.

Von Björn Finke, Brüssel

Christian Kullmann ist immer für einen forschen Spruch zu haben - und am Donnerstag war die Ampel-Koalition in Berlin Ziel seiner Angriffe. Der 53-Jährige ist Chef des Essener Spezialchemiekonzerns Evonik; bis Herbst war er auch Präsident des Verbands der Chemischen Industrie. Jetzt berichtete der Manager über ein schwieriges Geschäftsjahr 2022 für Evonik und gab einen verhaltenen Ausblick für das laufende Jahr ab. Die Branche leidet sehr unter den hohen Energiepreisen, und Kullmann forderte daher, dass die Politik der Wirtschaft bei dem Thema mehr Planungssicherheit geben müsse. Er beklagte "Sonntagsreden" und eine "provinzielle Bauernpolka" in Berlin: Die Koalitionäre stritten, anstatt sich darauf zu konzentrieren, den Standort Deutschland im Wettbewerb mit den USA oder China zu stärken.

Deutschland könne beim grünen Wandel der Industrie zu den Gewinnern weltweit gehören, aber dafür müsse schneller entschieden und mehr gearbeitet werden, sagte der Vorstandsvorsitzende: "Wir werden härter malochen müssen." Evonik zum Beispiel mache 80 Prozent seines Geschäfts im Ausland, doch 60 Prozent der 34 000 Angestellten seien immer noch in Deutschland: "Damit das so bleiben kann, müssen wir schon eine ganze Menge anpacken." Bei Investitionen im Ausland versucht Kullmann, Risiken zu streuen - wegen der "geopolitischen Unsicherheiten", also etwa der Spannungen zwischen den USA und China. Evonik gab erst diese Woche bekannt, eine Fabrik für Batteriematerialien in Japan zu erweitern. Im Februar wiederum hatte der Konzern verkündet, in eine chinesische Batteriefirma zu investieren.

Die Dividende bei Evonik soll trotz niedrigeren Überschusses unverändert bleiben

Im vergangenen Jahr stieg der Betriebsgewinn trotz der hohen Energiepreise leicht auf 2,5 Milliarden Euro, was das beste Ergebnis seit zehn Jahren ist. Der Umsatz nahm sogar um ein Viertel zu. Das lag aber nur daran, dass der Konzern die höheren Kosten für Rohstoffe und Energie an die Kunden weitergereicht hatte. Evonik berechnete also höhere Preise, während die verkauften Mengen sogar sanken. Das Unternehmen stellt Spezialchemikalien her, die in Autoreifen, Matratzen, Windeln oder Tiernahrung eingesetzt werden. Evonik liefert auch sogenannte Lipide für die Covid-Impfstoffe.

Unter dem Strich verbuchte der Essener MDax-Konzern allerdings nur 540 Millionen Euro Gewinn, ein Viertel weniger als 2021. Dies lag an Abschreibungen in einer Sparte, die Kullmann verkaufen will. Der Manager möchte die Firma auf jene Chemikalien fokussieren, wo die Nachfrage weniger schwankt und die Gewinnmargen höher sind. Zudem sollen die Fertigung bei Evonik und die Produkte klimafreundlicher werden.

Trotz des niedrigeren Überschusses soll die Dividende unverändert bei 1,17 Euro pro Aktie bleiben. Das wird die RAG-Stiftung freuen, den Mehrheitseigner. Die Stiftung ist dafür zuständig, die Altlasten des Steinkohlebergbaus zu finanzieren, etwa das Abpumpen von Wasser aus den Stollen. Evonik wurde 2007 als Abspaltung der RAG AG gegründet, der früheren Ruhrkohle AG.

Für das laufende Jahr rechnet Kullmann mit etwas weniger Betriebsgewinn. Er kündigte auch ein Sparprogramm an, das die Kosten um 250 Millionen Euro senken soll. Entlassungen sind aber nicht geplant. Vergangene Woche hatte der weltweit größte Chemiekonzern BASF Details zu seinem Sparprogramm mitgeteilt. Das Unternehmen will demnach 2600 Stellen streichen, zwei Drittel davon in Deutschland.

Die Covestro-Zahlen seien "das schlechteste Ergebnis, das wir uns vorstellen konnten"

Genau wie BASF oder Evonik leidet der Leverkusener Kunststoffproduzent Covestro unter den hohen Energiepreisen. Vorstandschef Markus Steilemann sagte bei der Präsentation der Geschäftszahlen am Donnerstag, 2022 sei ein "Jahr der Polykrise mit nie dagewesenen Herausforderungen" gewesen. Bei dem Dax-Konzern, der 2015 von Bayer abgespalten wurde, halbierte sich der Betriebsgewinn, unter dem Strich stand wegen Abschreibungen sogar ein Verlust von einer Viertelmilliarde Euro. Daher wird das Unternehmen, das weltweit 18 000 Beschäftigte hat, in diesem Jahr keine Dividende ausschütten.

Firmenchef Steilemann, der auch als Nachfolger von Kullmann den Verband der Chemischen Industrie anführt, sagte, Covestro habe Kosten und Energieverbrauch gekappt. Trotzdem erwartet der Vorstand, dass der Betriebsgewinn im laufenden Jahr weiter sinkt, und zwar deutlich. Arne Rautenberg, Manager bei der Fondsgesellschaft Union Investment, nannte die Zahlen "so ziemlich das schlechteste Ergebnis, das wir uns für Covestro vorstellen konnten". Seine Enttäuschung wurde offenbar von vielen Anlegern geteilt: Die Aktie war größter Tagesverlierer im Börsenindex Dax.

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