Eurotunnel:Putschversuch

Vor 15 Jahren freuten sich die Aktionäre des Eurotunnels über saftige Gewinne, vor neun Jahren wurde das Jahrhundert-Bauwerk unter dem Ärmelkanal mit Glanz eröffnet - heute stehen die Investoren vor einem Scherbenhaufen.

Mit einem Schuldenstand von neun Milliarden Euro und einer Börsennotierung, die meistens unter der Ein-Euro-Marke dümpelt, ist das Konsortium völlig heruntergewirtschaftet. Doch in dieser Woche gelang es den unzufriedenen Kleinaktionären erstmals, die Konzernleitung in die Enge zu treiben.

Eurotunnel: Eurotunnel-Chef Richard Shirrefs wird mit Rücktritts-forderungen konfrontiert.

Eurotunnel-Chef Richard Shirrefs wird mit Rücktritts-forderungen konfrontiert.

(Foto: Foto: dpa)

Rücktrittsforderungen werden laut

Der britische Eurotunnel-Chef Richard Shirrefs ist mit Rücktrittsforderungen, Klagedrohungen und einer Inititative für eine außerordentliche Aktionärsversammlung konfrontiert. Die Frondeure wollen ihn vom Sockel stoßen und den Eurotunnel in eine neue Ära führen.

Der Anführer der Putschisten, der 42-jährige Nicolas Miguet, würde allein kaum ernst genommen werden. Seine Qualitäten liegen eher in der Effekthascherei und im Verfolgen seiner eigenen Interessen. Aber um Miguet haben sich inzwischen kenntnisreiche Experten geschart.

Gallionsfigur Maillot

Der 61-jährige Jacques Maillot, Gründer des Reiseunternehmens Nouvelles Frontières und eine Galionsfigur des demokratischen Wirtschaftens, erwägt nun öffentlich, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Den Vorschlag, als neuer Unternehmenschef zu kandidieren, habe er "mit Interesse zur Kenntnis genommen", sagte Maillot.

Bisher jedenfalls seien "die Kleinaktionäre durch die unterschiedlichen Unternehmensleitungen von Eurotunnel begaunert worden". Der umtriebige Miguet, der sich schon mal wie ein Volkstribun auf den Platz vor der Pariser Börse stellt, um die Eurotunnel-Gewaltigen zu geißeln, zieht ganz andere Register. Er betreibt die Absetzung der Konzernleitung wegen Unfähigkeit und Selbstbereicherung.

Aufforderung zur Aktionsärsversammlung

Shirrefs und sein Team sind nach Einschätzung Miguets nur allzu bereit, den Banken die Zinsen für die gigantische Verschuldung zu zahlen. Ultimativ forderte Miguet die Einberufung einer außerordentlichen Aktionärsversammlung, auf der die Leitung abgesetzt werden soll.

Folgt Shirrefs der Aufforderung nicht, will er ihn verklagen. Angeblich hat Miguet bereits Vollmachten, um im Namen von 15 Prozent des Aktienkapitals zu sprechen. Fünf Prozent würden nach französischen Aktienrecht genügen.

Die Unzufriedenheit unter den 720.000 Eurotunnel-Kleinaktionären könnte kaum ausgeprägter sein. Sie gaben in den 80er Jahren ihr Erspartes, um den Traum vom Tunnel zwischen Kontinentaleuropa und den britischen Inseln zu verwirklichen. Der Wert der Aktie kletterte im Mai 1989 auf den Rekordwert von umgerechnet 14,71 Euro.

Die Pleite droht

Doch als 1994 die ersten Güter- und Personenzüge durch den Tunnel fuhren, war die Notierung schon auf sechs Euro gesunken, seit Ende 1995 macht sich eine Stimmung breit, als könne eine Pleite nur weiter hinausgezögert werden.

"Der Eurotunnel ist ein Bauwerk, das niemals mit privatem Kapital hätte finanziert werden dürfen", meint rückblickend der Analyst Jean-Paul Pierret von Natexis-Bleichroeder. Für die neue Ära gibt es konkrete Vorstellungen: Die als Knebelverträge angeprangerten Kreditvereinbarungen mit den Banken wollen die Putschisten nachverhandeln.

Gebühren sollen steigen

Die Gebühren für die Tunnelnutzung sollen steigen. Schließlich sollen zusätzliche Güterzüge durch den Tunnel rollen, auf Langstrecken zwischen Großbritannien und den großen EU-Partnern. In diesem Punkt hat Shirrefs inzwischen eingelenkt. Ansonsten verklagte er den Putschisten-Führer wegen Verbreitung von Falschdarstellungen.

Auch die Tageszeitung Le Parisien nährte am Freitag Zweifel, ob Miguet der geeignete Mann für einen Neubeginn ist. Der Wortführer der Kleinaktionäre habe 2002 ein Einkommen von einer Million Euro verzeichnet, schrieb das Blatt.

Er habe sieben Millionen Eurotunnel-Aktien zusammengerafft. Angesichts des Gezänks und der wechselseitigen Beschuldigungen leitete die Pariser Börsenaufsicht inzwischen eine Untersuchung ein, ob bei Eurotunnel alles mit rechten Dingen zugeht.

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