Eurostar: Wetterchaos legt Züge lahm:Nächster Halt: Chaos

Seit Tagen fährt kein Zug mehr unter dem Ärmelkanal, und über den Betreiber Eurostar bricht die Wut von Politik und Fahrgästen herein.

Rien ne va plus - nichts geht mehr auf der Prestige-Strecke zwischen dem Gare du Nord von Paris und der St. Pancras Station in London. Der Hochgeschwindigkeitszug Eurostar, der Stolz Großbritanniens und Frankreichs, der Fahrgäste üblicherweise in zwei Stunden und 15 Minuten von der einen in die andere Hauptstadt befördert, ist ein Pannenzug geworden. Ganz Europa spottet über ihn. Oder wütet.

Eurostar, Foto: dpa

Pannenzug Eurostar: Der Betrieb des Prestige-Zugs zwischen London und Paris ist vorläufig eingestellt.

(Foto: Foto: dpa)

Seit Freitagabend stehen die Züge still - offenkundig wegen des jüngsten Wintereinbruchs. Alleine in der Nacht zum Samstag hatten etwa 2000 Menschen stundenlang in feststeckenden Zügen unter dem Ärmelkanal ausharren müssen. Das Konsortium Eurostar, dem die französische Staatsbahn SNCF, die britische Gesellschaft EUKL und die belgische Bahn SNCB, angehören, gibt nicht mehr als vage Vermutungen von sich.

Eurostar-Chef Richard Brown versuchte, die Pannen auf die großen Temperaturunterschiede zu schieben. "Es ist sehr kalt draußen, aber im Tunnel sind es 25 Grad und es gibt eine hohe Luftfeuchtigkeit. Das ist, als ob sie eine Bierflasche aus dem Kühlschrank in einen warmen Raum bringen, da entsteht viel Kondenswasser", erklärte er die technischen Probleme. Der kaufmännische Leiter Nick Mercer sagte dem britischen Sender BBC, die Wetterbedingungen in Nordfrankreich hätten das Unternehmen "überrascht".

Konkreter wurde der Betriebsleiter Pascal Sainson. Er verwies im französischen Figaro auf die Schutzschirme der Eurostar-Züge, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass kein Schnee in die Elektrik der Triebwagen gerät. Sie hätten jedoch versagt. Der auf den Zügen angesammelte Schnee schmelze bei der Fahrt in den Tunnel und dringe "in das Lüftungssystem ein, wo er einen Kurzschluss im Motor erzeugt". Danach ließen sich die Loks nicht mehr starten. Die Umrüstungen der Züge laufen, weitere Checks sollen deren Wirksamkeit prüfen. Der französische Alstom-Konzern, der die Pannenzüge herstellte, sicherte seine Unterstützung bei der Aufarbeitung der Desaster-Serie zu.

Mega-Desaster für Eurostar

Dennoch wird der Eurostar-Verkehr auch am Montag ausfallen. Für den Dienstag wagt die Gesellschaft noch keine Prognose. Am Montagabend will das Unternehmen auf seiner Internetseite weitere Informationen veröffentlichen.

Für Eurostar entwickelt sich das Tunnelchaos zu einem Mega-Desaster. Denn offenbar ist es - anders als von der Betreibergesellschaft behauptet - nicht das erste Mal, dass Passagiere wegen widriger Wetterverhältnisse unter dem Ärmelkanal ausharren müssen. Das berichtet zumindest die Londoner Sunday Times. In Großbritannien forderte ein konservativer Abgeordneter bereits den Rücktritt von Eurostar-Chef Brown.

Das Unternehmen selbst gibt sich kleinlaut. Man verstehe den Ärger und die Frustration der Reisenden, heißt es in einer Pressemitteilung. Dennoch rate man allen Passagieren, die auch zu einem späteren Zeitpunkt reisen können, ihre Tickets umzutauschen. Die Geschädigten bekommen dafür ein zusätzliches Freiticket sowie eine Entschädigung von 170 Euro. Für 500 ältere Reisende sowie Familien mit Kindern aus Großbritannien arrangierte Eurostar die Rückfahrt nach Frankreich mit Hilfe von Bahn, Bussen und Fähren, berichtet der Guardian.

Im Video: Passagiere der Eurostar-Züge müssen sich weiter in Geduld üben: Auch am Montag ruht auf der Zugverbindung durch den Eurotunnel zwischen Großbritannien und Frankreich der Verkehr.

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"Das ist nicht normal"

Das Problem jedoch bleibt - denn wer es mit der Bahn nicht schafft, der versucht es mit dem Auto oder dem Flugzeug. Von kilometerlangen Staus auf den Autobahnen zum Ärmelkanal berichten britische Medien, bis zu zwölf Stunden lang steckten die Fahrer fest. Helfer des Roten Kreuzes mussten mit heißen Getränken aushelfen. Auch an den Londonder Flughäfen Gatwick, Heathrow und Luton mussten Flüge wegen der Wetterverhältnisse gestrichen werden.

In Frankreich ist die Wut besonders groß - hier mischt sich sogar die Politik in die Causa Eurostar ein. Frankreichs Regierung hat nun eine Untersuchung zu der Panne mit den Eurostar-Zügen angeordnet. Es sei "nicht hinnehmbar", dass dieses wichtige Verkehrsmittel zwischen Frankreich und Großbritannien tagelang ausfalle, "weil es draußen Schnee gibt", sagte Verkehrstaatssekretär Dominique Bussereau. "Das ist nicht normal." Das Verkehrsministerium werde eine Untersuchung einleiten.

Auch der Elysée-Palast greift ein. Am Montagmorgen musste SNCF-Chef Guillaume Pépy, der gleichzeitig Präsident von Eurostar ist, zum Rapport bei Staatspräsident Nicolas Sarkozy antreten. Sarkozy ordnete die Wiederaufnahme der Fahrten ab Dienstag an. Außerdem müsse die Bahngesellschaft "sofort" ein funktionierendes System zur Information der Passagiere einführen. Der Ausfall des Zugverkehrs sei "unannehmbar für die Reisenden" und müsse in Zukunft verhindert werden, erklärte der französische Präsident.

Umwelt- und Verkehrsminister Jean-Louis Borloo sagte im Radiosender RMC: "Ich will Erklärungen." Es sei "absolut unmöglich" gewesen, wie die Bahn mit den Passagieren nach der Panne umgegangen sei und sie "ohne Informationen" in den Zügen gelassen habe.

"Wie Tiere in Käfigen"

Die Reisenden berichten von schrecklichen Zuständen in den Pannenzügen. So habe die Klimaanlage versagt und die Temperatur sei immer weiter angestiegen. Beklagt wird auch das schlechte Krisenmanagement der Eurostar-Belegschaft und die unfreundliche Behandlung. "Wir wurden behandelt wie Tiere in Käfigen. Man sagte uns sogar, wir sollen aufhören so heftig zu atmen, weil es nicht genug Sauerstoff für alle gibt," zitiert die Internetausgabe der Bild-Zeitung einen der Fahrgäste.

Einer der Reisenden war der französische Europaabgeordnete Dominique Baudis. Der Christdemokrat war mit seiner Frau und seiner Tochter unterwegs zu einem Urlaub nach London und musste die Nacht von Freitag auf Samstag "mit 650 anderen Passagieren" im Eurostar verbringen. Für Baudis, den ehemaligen Bürgermeister der Airbus-Stadt Toulouse, war die Situation "skandalös". So seien etliche Fahrgäste "stark verängstigt" gewesen, verriet er dem französischen Figaro. "Kinder haben acht oder neun Stunden lang nichts zu trinken bekommen." Das Personal, das die feststeckenden Fahrgäste hätte beruhigen und versorgen sollen, hatte angeblich nicht genügend Lebensmittel dabei. Weil es kein fließendes Wasser gab, mussten sich alle Reisenden dem Onlinedienst des britischen Telegraph zufolge zwei Toiletten teilen.

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