Es ist ein durchaus ungewöhnlicher Auftritt: Ein prominentes Trio von Wirtschaftsbossen hat sich kurzfristig Zeit für ein gemeinsames digitales Treffen freigeräumt und warnt ausdrücklich vor den Gefahren extremistischer Parteien für die deutsche und europäische Wirtschaft. Christian Sewing, Vorstandschef der Deutschen Bank, und seine Kollegen Roland Busch (Siemens) und Richard Lutz (Deutsche Bahn) ist es jedenfalls ein Anliegen, sich nun einzumischen. "Wir fühlen uns in der Pflicht, etwas zu tun", sagt Bahn-Boss Lutz. Das ist neu, gingen doch Unternehmen lange lieber ihren Geschäften nach und hielten sich dabei gerne aus der Politik raus.
30 große Unternehmen aus verschiedenen Branchen haben zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eine Kampagne unter dem Titel "Wir stehen für Werte" gestartet. Allein in Deutschland arbeiten den Angaben zufolge "rund 1,7 Millionen verschiedene Persönlichkeiten unterschiedlicher Herkunft" für die Unternehmen, die sich zusammengefunden haben. "Gemeinsam wollen wir ein starkes Signal gegen Hass und Populismus und für Offenheit und Vielfalt als Basis unseres Wohlstands setzen", lautet das Motto. Und es wird nachdrücklich zur Teilnahme an der Europawahl am 9. Juni aufgerufen. Das Kalkül: Je höher die Wahlbeteiligung, desto geringer könnte der Anteil an Stimmen für extremistische Parteien ausfallen.
"Die Rückfragen an uns als Bank sind enorm gestiegen."
"Extremisten gefährden all das, was wir uns aufgebaut haben", sagt Siemens-Mann Busch. Deutschland brauche angesichts des massiven Fachkräftemangels Zuwanderung, und wegen der hohen Exportorientierung seien die Unternehmen auch auf eine starke Europäische Union (EU) angewiesen. "Unser großer Trumpf ist Europa", fügt Banker Sewing an. Deutschland brauche nicht weniger, sondern mehr Europa. "Populisten wollen weniger Europa oder gar den Austritt aus der EU. Das wäre ein großer Fehler", warnt der Chef von Deutschlands größer Bank. Einige AfD-Vertreter hatten zuletzt vereinzelt über einen Dexit gesprochen, also über einen möglichen Austritt Deutschlands aus der EU. Die Bundessprecherin der AfD, Alice Weidel, lehnte dies jedoch ab.

Das Beispiel Großbritannien zeige, wie negativ ein solcher Austritt sei, sagt Sewing. Es stünden dann viele Jobs auf dem Spiel. Deutschland müsse auch in Zukunft attraktiv bleiben für Investoren. Dafür brauche es eine stabile Demokratie und einen zuverlässigen Rechtsstaat. "Populismus und Extremismus", sagt Sewing, "sind eine Gefahr für den wirtschaftlichen Standort." Die aktuelle Kampagne will sich nicht ausschließlich gegen die AfD wenden, sondern allgemein gegen Extremismus von links und rechts. "Wir haben es nicht nötig, uns parteipolitisch einzumischen", sagt Bahn-Chef Lutz dazu, und: "Einstellung und Haltung ist etwas, was keine Nebensätze und Fußnoten verträgt."
Der Grund für das Engagement? "Wir haben gesehen, dass rote Linie überschritten wurden", sagt Busch. Als Beispiel nannte er die Diskussion um eine sogenannte Remigration oder um die EU-Mitgliedschaft Deutschlands. Zudem würden Investoren langsam nervös. "Die Rückfragen an uns als Bank sind enorm gestiegen", berichtet Sewing. Die Zuverlässigkeit des Standorts sei in Gefahr. In den Konzernen würde intern mit den Mitarbeitenden gesprochen und diskutiert. "Wir versuchen, die Leute aus ihren Blasen und ihren Echoräumen herauszuholen", sagt Lutz. Busch fügt an, politische Äußerungen im Unternehmen würden sehr genau angeschaut, im Zweifelsfall gehe man auch arbeitsrechtlich vor.
Die Wirtschaft beschäftigt sich seit einigen Monaten verstärkt mit der Politik. Evonik-Chef Christian Kullmann warnte bereits vor einem "braunen Mob", Infineon-Boss Jochen Hanebeck sagte schon im Januar: " Hass und Ausgrenzung dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben." Der Familienunternehmer Reinhold Würth hatte den Beschäftigten davon abgeraten, für die AfD zu stimmen. Daraufhin gab es dort offenbar Umsatzeinbußen. "Sollten Kunden deshalb Aufträge stornieren, ist das eben so", sagt Busch dazu. Auch das ist eine erstaunlich offene Äußerung. Lutz meint, man dürfe dem wirtschaftlichen Erfolg eben nicht alles unterordnen. Er erinnert an die gesellschaftliche Verantwortung von Konzernen - und an die spezielle Geschichte der Bahn. Die sei in der Nazi-Zeit "Teil des industriell organisierten Massenmords gewesen". Die aktuelle Kampagne soll auch nach der Europawahl weitergehen.