Europas Währung in der Krise:Wie es mit dem Euro weitergeht

Rettungsschirme, Bankenunion, Haftungsgemeinschaft - die Krisenpolitik wird immer komplizierter. Wer blickt da noch durch? SZ-Autoren beantworten die 20 wichtigsten Fragen zur Zukunft der Gemeinschaftswährung.

Der Euro ist angeschlagen. Hohe Staatsschulden, marode Banken und eine wackelige Architektur haben die Währungsunion in Gefahr gebracht. Doch die Politik tut alles, um die gemeinsame Währung zu retten. Der Bundestag hat dem größten aller bisherigen Rettungsschirme (ESM) zugestimmt. Mit dem Geld sollen schwache Kreditinstitute und Staaten gestützt werden. Auch eine Bankenunion wird es geben. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Zukunft des Euro.

Proteste gegen ESM und Fiskalpakt

Stiller Protest gegen den neuen Euro-Fonds EMS.

(Foto: dapd)

[1] Ist der Euro mit dem neuen Hilfsfonds ESM endlich gerettet?

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), umgangssprachlich Rettungsfonds oder -schirm genannt, soll den Euro-Ländern bei Bedarf Finanzhilfe leisten. Und zwar dann, "wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren". So steht es im ESM-Vertrag - und damit trägt der ESM auch dazu bei, den Euro zu sichern. Zunächst wird der Fonds mit 500 Milliarden Euro ausgestattet. An das Hilfsgeld kommen nur jene Länder, die zuvor dem Fiskalpakt zugestimmt haben. Darin werden strenge Haushaltsregeln und Kontrollen vereinbart.

Der ESM soll unbegrenzt eingerichtet werden und den bisherigen provisorischen Rettungsfonds EFSF ablösen. Dafür muss der ESM von so vielen Euro-Ländern ratifiziert sein, dass 90 Prozent der Anteile zusammenkommen. Praktisch bedeutet dies, dass alle großen Euro-Länder mitmachen müssen. Richtig sicher ist der Euro allerdings erst dann, wenn die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zwischen den Euro-Ländern deutlich kleiner werden und die Investoren davon überzeugt sind, dass alle Staaten genügend wirtschaftliche Kraft haben, um ihre Schulden zu bezahlen.

Cerstin Gammelin

[2] Haben wir nun eine Haftungsunion in Europa?

Das kommt auf die Definition an. Wenn Haftungsunion bedeutet, ein Land steht grundsätzlich für die Schulden des anderen Landes ein, dann lautet die Antwort ganz klar: Nein. Das ist weder vorgesehen noch rechtlich unter den jetzigen Verträgen möglich. Gleichwohl ist es richtig, dass sich die Euro-Länder untereinander finanziell zu bestimmten Konditionen helfen, um die gemeinsame Währung nicht zu gefährden - und somit begrenzt auch für die Schulden klammer Länder haften. Diese Hilfen sind jedoch mit strengen Kontrollen, strikten Haushaltsvorgaben und anderen Auflagen verbunden. Mit den bisherigen Hilfsinstrumenten ist die Euro-Zone an den Grenzen dessen angekommen, was unter gültigem Recht noch vertretbar ist.

Cerstin Gammelin

Was macht die Troika und wer könnte den Euro verlassen?

[3] Schwindet damit die Bedeutung der Troika?

Es gilt nach wie vor, dass alle klassischen Finanzhilfen aus EFSF und ESM von der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) begleitet werden. Wenn ein Land also Hilfen aus den Fonds in Anspruch nimmt, um damit Zeit zu kaufen, in der Reformen umgesetzt und der Haushalt in Ordnung gebracht werden kann, kommen die Experten der Geldgeber ins Land.

Die Troika prüft bisher in Athen, Nikosia, Lissabon und Dublin die Bücher. Sie überwacht, ob die in einem Hilfsprogramm vereinbarten Spar- und Reformmaßnahmen umgesetzt werden - und sie gibt die Tranchen der Kredite frei. Die Troika kommt auch ins Land, wenn dieses Hilfen für seine Banken beantragt hat - wie jetzt gerade die Regierung in Madrid.

Zwar beteiligt sich der IWF nicht an der Stützung von Banken, der Weltwährungsfonds berät allerdings seine Partner und überwacht in deren Auftrag die Umsetzung von Auflagen. Beantragt ein Land finanzielle Hilfen in Form von Anleihekäufen durch den ESM oder EFSF, ist dagegen keine Troika im klassischen Sinne mehr vorgesehen. In diesem Fall gibt es auch kein separates Spar- und Reformprogramm. Vielmehr sollen als Auflagen die von der Europäischen Kommission erarbeiteten länderspezifischen Empfehlungen gelten. Deren Umsetzung wird auch bisher schon von der Behörde überprüft. Ob deren Experten dazu vor Ort die Bücher prüfen werden, ist noch nicht abschließend geklärt.

Cerstin Gammelin

[4] Ist die Gefahr gebannt, dass einzelne Staaten aus dem Euro austreten?

Das hängt weniger am Rettungsschirm als an den Ländern selbst. Schon nach den ersten von der Gemeinschaft verhängten und von der Troika überwachten Sparprogrammen 2010 und 2011 hat es in Südeuropa zahlreiche Regierungswechsel gegeben. Wenn in einem Land zu viel gespart wird, gehen die Bürger auf die Straße und demonstrieren - oder wählen die Regierung ab. Wenn, wie bis zuletzt in Griechenland befürchtet, eine Euro-skeptische Regierung ans Ruder kommt, besteht die Gefahr, dass ein Land freiwillig den Austritt wählt, um über eine Abwertung seiner neuen Währung den Konsolidierungskurs für die Bevölkerung erträglicher zu gestalten.

Hat ein Land über seine Verhältnisse gelebt und zu hohe Schulden aufgetürmt, gibt es zwei Wege, dies zu bereinigen: Entweder man senkt die Löhne und Preise, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, oder man wertet die Währung ab. Letzteres geht nur außerhalb der Währungsunion.

Simone Boehringer

[5] Und was ist mit dem Sorgenfall Griechenland?

Wie es mit Griechenland weitergeht, wird sich frühestens Ende Juli, Anfang August zeigen. Die neue griechische Regierung Antonis Samaras soll in dieser Woche erstmals die Troika empfangen. Die Buchprüfer waren letztmalig im April in Athen, seither wurden wegen des Wahlkampfes, der Neuwahlen und der Erkrankungen im Kabinett Samaras sämtliche Besuche verschoben.

Es wird erwartet, dass es seit April erhebliche Verzögerungen bei der Umsetzung der Auflagen aus dem Spar- und Reformprogramm gegeben hat. Bis April, so heißt es in Brüssel, wurden lediglich die geplanten Sparvorgaben im Haushalt umgesetzt. Bei der Privatisierung von Staatseigentum und der Schaffung eines gerechten, funktionsfähigen Steuersystems sei Athen nicht weitergekommen.

Samaras hatte den Chefs der Euro-Länder vorige Woche in einem Brief an Brüssel versichert, "die neue Regierung akzeptiert das ausgehandelte Programm und fühlt sich allen Zielen und Schlüsselpositionen vollständig verpflichtet". Allerdings stelle sich die Frage, ob angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit und des fünften Jahres in einer Rezession "einige Modifikationen" möglich seien, ohne die Ziele infrage zu stellen. Eine erste Einschätzung über die Lage vor Ort soll auf dem Treffen der Euro-Länder am 9. Juli vorliegen. Spätestens Mitte August braucht Athen eine neue Kredittranche, um fällige Schulden zu zahlen.

Cerstin Gammelin

Wie sich der ESM auf die Börsen auswirkt

[6] Was bedeutet der neue Rettungsschirm für die Börsen?

Nach dem europäischen Gipfeltreffen am vergangenen Donnerstag sind die Kurse an den Aktienmärkten erst einmal in die Höhe geschossen. Die Aussicht auf direkte Bankenhilfen für klamme Geldinstitute aus dem ESM ließ Anleger aufatmen. Bis Dienstagnachmittag zogen europäische Aktien um bis zu acht Prozent an, der Dax lag mit 6,5 Prozent im Plus, und der Euro gewann zwei US-Cent auf knapp 1,26 Dollar. Am Anleihenmarkt verbesserten sich die Refinanzierungsbedingungen für Italien und Spanien deutlich, auf Kosten Deutschlands. Der größte Garantiegeber für die Rettungsschirme muss nun für zehnjährige Kredite etwas mehr bezahlen als vor den jüngsten Zusagen, aber immer noch deutlich unter zwei Prozent. Italien und Spanien zahlen 5,5 und 6,5 Prozent.

Simone Boehringer

[7] Auch Banken sollen direkt Hilfe vom ESM bekommen. Was bedeutet das?

Bislang gilt die Regel, dass nur Staaten Hilfen für ihre Banken beantragen dürfen. Das hat zur Folge, dass sie für die Zahlungen aus den Rettungsschirmen geradestehen müssen, wenn es zu einem Ausfall kommt. Der Nachteil ist, dass diese kostspielige Verpflichtung gleichzeitig ihre Position am Kapitalmarkt verschlechtert. Die Garantie trägt also dazu bei, dass die Staaten nur zu hohen Kosten neue Schulden machen können. Gibt der ESM seine Hilfen direkt an die Banken, wird dieser Zusammenhang durchbrochen. Bedingung für direkte Hilfen an die Finanzinstitute ist aber nach Angaben der Bundesregierung eine "etablierte" europäische Bankenaufsicht. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bis diese Behörde arbeitet, könnten Monate, wahrscheinlich sogar Jahre vergehen - wenn sie überhaupt kommt. Denn Deutschland hat immer noch die Möglichkeit, die Einrichtung zu blockieren und damit auch die direkten Zahlungen des ESM an die Banken.

Guido Bohsem

[8] Haften deutsche Steuerzahler damit nun für südeuropäische Banken?

Da der Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht so lange dauern wird, treten die Steuerzahler auch nicht in eine direkte Haftung für die südeuropäischen Banken. Sie haften bis dahin nur für in Not geratene Staaten. Wenn beispielsweise Spanien in den nächsten Monaten Hilfen für seine Banken erhält, haftet der deutsche Steuerzahler erst einmal nicht für die spanischen Banken. Erst wenn Spanien nicht mehr in der Lage ist, selbst für seine Banken einzustehen, wird es eng. Dann könnte letztlich auch der deutsche Steuerzahler für die spanischen Banken geradestehen. Wenn es allerdings so weit kommt, dass Spanien pleite ist, gibt es andere, weit größere Sorgen.

Guido Bohsem

Wann Banken pleitegehen dürfen

[9] Zahlen die Banken das geliehene Geld je wieder zurück?

Die Banken erhalten keinen Kredit, sondern Risikokapital, das nicht zurückgezahlt werden muss. Das Kapital für die spanischen Institute kommt bis auf Weiteres aber nicht direkt vom neuen Rettungsschirm ESM. Vielmehr muss sich Spanien die nötigen Milliarden beim alten Krisenfonds EFSF leihen - und diese Schulden wieder an die Europäer zurückzahlen. Die Regierung stellt das Geld dann notleidenden Banken zur Verfügung; im Gegenzug erhält sie Anteile an der Bank, also neue Aktien. Zuvor muss das Geldhaus sämtliche faule Wertpapiere und Kredite abschreiben - die Verluste tragen die alten Aktionäre, deren Kapital dadurch ganz oder teilweise aufgefressen wird, sie verlieren damit an Einfluss.

Wenn die Bank trotz der Hilfe pleitegeht, ist das Geld weg; wenn sie erfolgreich saniert wird, fließen Dividenden an den Staat, und die Regierung kann ihre Aktien wieder verkaufen, womöglich mit Gewinn. Die US-Regierung hat nach der Lehman-Pleite viele Banken teilverstaatlicht und mit Geld versorgt. Die meisten Banken haben die staatlichen Anteile inzwischen wieder zurückgekauft. Künftig darf der ESM statt der Regierungen die Banken selbst restrukturieren - der Mechanismus bleibt der gleiche.

Catherine Hoffmann

[10] Ist es nicht sinnvoller, Banken auch pleitegehen zu lassen?

Nicht immer ist es sinnvoll, Institute weiterzuführen und mit Kapital auszustatten. Man muss sich jede Bank genau anschauen. Hoffnungslose Institute sollten abgewickelt werden, das gilt gerade auch für etliche spanische Banken und Sparkassen, die nicht systemrelevant sind. Allerdings sollten die Behörden sehr vorsichtig sein, bevor sie eine Bank schließen. "Fehler darf man sich dabei nicht erlauben", sagt Christian Schulz, Ökonom der Berenberg-Bank. "Sonst löst die Schließung Schockwellen und eine Panik aus."

Die Abwicklung von Banken sei nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme. Allerdings ist es durchaus üblich, dass in Bankenkrisen Institute von der Bildfläche verschwinden. Die kleinen Privatanleger sind in der Regel durch einen Einlagensicherungsfonds geschützt. "Die institutionellen Anleger aber müssen in die Haft genommen werden", fordert der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Kaserer. Auch in Deutschland gab es schon Insolvenzverfahren von Geldhäusern, erinnert sei nur an die Pleite der Herstatt-Bank in den siebziger Jahren.

Catherine Hoffmann

[11] Was steckt hinter der Idee einer Bankenunion?

Bei der Bankenunion geht es darum, ein grundlegendes Problem der Währungsunion zu lösen: Es gibt große Banken von überregionaler Bedeutung, die ihr Hauptquartier in kleinen Staaten haben, die zu schwach sind, um ihre Institute zu retten. Deshalb soll eine europäische Bankenaufsicht gegründet werden, die entscheidet, welche Häuser aufrechterhalten werden können und welche abgewickelt werden müssen. Diese Rolle könnte die EZB übernehmen. Nur wenn die Entscheidung über die Zukunft einer Bank auf europäischer Ebene fällt, kann Europa das Haus auch gemeinsam retten.

Im nächsten Schritt sollen die Banken dann rekapitalisiert werden, direkt durch den ESM. Die Regierungen entscheiden in jedem einzelnen Fall, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. In Deutschland wird sogar der Bundestag befragt, er hat ein Vetorecht. Berenberg-Volkswirt Schulz hält das für einen sinnvollen Vorstoß: "So werden kleine Länder nicht mehr zum Gefangenen ihrer mächtigen Banken."

Bis Ende des Jahres sollen den Euro-Mitgliedern konkrete Vorschläge dazu vorgelegt werden. Zudem sehen die Brüsseler Pläne auch eine gemeinsame Einlagensicherung und einen gemeinsamen Fonds zur Abwicklung systemrelevanter Banken vor. Die beiden letzten Säulen sind jedoch umstritten, da sie nach Ansicht von Kritikern den Einstieg in eine Haftungsgemeinschaft bedeuten. Befürworter glauben dagegen, dass dieses System den gefürchteten Sturm auf Banken verhindern könnte.

Catherine Hoffmann

Ist das Sparkonto noch sicher?

[12] Ist das Geld der deutschen Sparer dann noch sicher auf der Bank?

Bis zu einem Betrag von 100.000 Euro in jedem Fall. Seit Januar 2011 sind Kundeneinlagen in Deutschland und auch den meisten anderen europäischen Ländern bis zu diesem Betrag gesetzlich garantiert. Hierunter fallen Sicht-, Termin- und Spareinlagen sowie auf den Namen lautende Sparbriefe. Diese gesetzliche Einlagensicherung gilt in Deutschland sowohl für die privaten Banken und Bausparkassen als auch für Volks- und Raiffeisenbanken sowie für Sparda- und PSD-Banken, Sparkassen und Landesbanken. Über diese Mindestanforderung hinaus bieten die Banken in Deutschland über Einlagensicherungsfonds ihrer jeweiligen Verbände weitergehende Sicherungssysteme, die allerdings auf Einzelausfälle ausgerichtet sind. Gerät die ganze Branche ins Wanken, bleibt als letzte Instanz nur der Staat.

Simone Boehringer

[13] Was ist die Einlagengarantie von Angela Merkel noch wert?

"Wir sagen den Sparerinnen und Sparern , dass ihre Einlagen sicher sind", versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel in höchster Not im Oktober 2008. Im Nachgang zur Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und den nachfolgenden Schieflagen einzelner deutscher Institute verzeichneten die Währungshüter in Deutschland verstärkte Geldabhebungen. Um einem möglichen Sturm auf die deutschen Banken vorzubeugen, gab die Kanzlerin eine politische Garantie für die Ersparnisse der Bevölkerung ab.

Als es zwei Jahre später wegen der drohenden Pleite Griechenlands wieder brenzlig wurde, wiederholte sie ihr Versprechen noch einmal. Es ist allerdings ein politisches Versprechen, das allein an der Glaubwürdigkeit von Frau Merkel und der Bundesregierung hängt. Einklagen kann man die Merkel-Garantie im Ernstfall nicht, darüber sind sich Juristen einig.

Simone Boehringer

[14] Wird nun alles teurer, weil die Staaten Steuern erhöhen?

Grundsätzlich gilt: Steuern werden niemals zweckgebunden erhoben. Im Falle der Euro-Rettungsfonds gilt zudem, dass in keinem der Euro-Länder überhaupt eine Diskussion über Steuererhöhungen gestartet wurde, mal abgesehen von der Einführung einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte. Richtig ist, dass die Finanzminister der Euro-Länder beim ESM erstmals richtig Geld in die Hand nehmen müssen. Denn der neue Rettungsfonds soll im Gegensatz zu seinem Vorgänger EFSF über einen Kapitalstock von 80 Milliarden Euro verfügen. Das Geld müssen die Euro-Mitglieder einzahlen, jeweils entsprechend ihrer Anteile an der Europäischen Zentralbank. Das Geld soll bis 2014 in fünf Tranchen eingezahlt werden, davon dieses und nächstes Jahr jeweils zwei Tranchen, im dritten Jahr eine.

Deutschland haftet mit 27 Prozent am Kapital, das sind knapp 22 Milliarden Euro. Die beiden Tranchen für 2012 hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über einen Nachtragshaushalt gesichert. Insgesamt soll der ESM ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro besitzen. Die abzüglich der 80 Milliarden Euro verbleibenden 620 Milliarden Euro sind allerdings Garantien. Auf Deutschland entfallen wiederum 27 Prozent der Anteile.

Cerstin Gammelin

Der Rettungsschirm wackelt noch

[15] Können Verfassungsbeschwerden den ESM noch verhindern?

Das ist möglich. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in Sachen Euro und Rettungsschirmen stets so entschieden, dass es die jeweiligen Regierungen mit bereits getroffenen Entscheidungen gewähren ließ und nur für die Zukunft Grenzen setzte. Beim ESM geht es im Wesentlichen darum, ob mit dem Fonds die Budgethoheit des Bundestages verletzt wird oder nicht.

Deutschland haftet zunächst mit maximal 190 Milliarden Euro für Kredite, die der ESM im Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro an Euro-Staaten vergeben darf. Sollten jedoch andere Euro-Mitglieder als Garantiegeber für diese Kredite ausfallen, kann sich der Anteil Deutschlands laut ESM-Vertrag deutlich erhöhen. Hinzu kommen Haftungszusagen aus dem bisherigen Rettungsschirm EFSF in Höhe von 95 Milliarden Euro. Würden die Garantien fällig, stünde das Geld für den Bundeshaushalt nicht mehr zur Verfügung. Im schlimmsten Fall überstiegen die Risiken hieraus die Steuereinnahmen des Bundes, die im vergangenen Jahr bei knapp 250 Milliarden Euro lagen.

Simone Boehringer

[16] Was passiert, wenn die Verfassungsrichter den ESM ablehnen?

Im Falle einer kompletten Ablehnung könnte der neue Hilfsmechanismus nicht in Kraft treten, zumindest nicht mit Deutschland. Ohne das zahlungskräftigste Land der Euro-Zone wäre der ESM jedoch bei Weitem nicht so kreditwürdig und zahlungskräftig wie mit Deutschland. Experten meinen, dass damit das ganze Konstrukt des Stabilitätsmechanismus in sich zusammenbrechen würde. Die Folgen für den Fortgang der Schuldenkrise wären unabsehbar.

Simone Boehringer

[17] Wie ist der weitere Zeitplan für das ESM-Gesetz?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vertreter der Verfassungsbeschwerden und die interessierte Öffentlichkeit für Dienstag, 10. Juli, zehn Uhr, nach Karlsruhe eingeladen - zur mündlichen Verhandlung über den ESM. Es geht in diesem Verfahren zunächst einmal um die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Beschwerdeführer wollen mit diesen Anträgen erreichen, dass Bundespräsident Joachim Gauck das ESM-Gesetz nicht unterschreibt, bis das Gericht in der Hauptsache über seine Verfassungsmäßigkeit entschieden hat.

Die Verhinderung der Unterschrift ist aus Sicht der Kläger wichtig, weil das ESM-Gesetz völkerrechtlichen Charakter hat. Ist es erst einmal in Kraft - was mit der Ratifizierung durch den Bundespräsidenten der Fall wäre -, würde es wenig bringen, wenn das Gericht im Nachhinein sagen würde, der ESM verletze das Haushaltsrecht des Bundestages. Die Bundesrepublik wäre trotzdem gegenüber den anderen Staaten an die Verpflichtungen laut ESM-Gesetz gebunden.

Simone Boehringer

Wird der Euro geschwächt?

[18] Was passiert, wenn dem EFSF unterdessen das Geld ausgeht?

Im bestehenden Rettungsschirm EFSF gibt es derzeit noch Reserven von 240 Milliarden Euro. Auch für den Fall, dass nun Spanien tatsächlich 100 Milliarden Euro an Hilfen für seine Banken beantragt, dürften die Mittel noch über die nächsten Monate tragen. Sollte der ESM aber im Herbst noch nicht in Kraft getreten sein, könnte es zu Schwierigkeiten oder Engpässen kommen. Dieser Fall gilt aber als unwahrscheinlich. Deshalb gibt es derzeit auch keine konkreten Pläne, beispielsweise einen dritten Hilfsfonds einzusetzen.

Guido Bohsem

[19] Welche Rolle spielt nun die Europäische Zentralbank?

Die EZB kann aus einem guten Gipfel einen wirklichen Erfolg machen und die nervösen Märkte für eine Weile beruhigen, indem sie ihren Beitrag zur Finanzstabilität in Europa leistet. So könnte sie beispielsweise die Zinsen senken und mit weiteren Geldspritzen für die Banken darauf reagieren, dass die meisten südlichen Länder in einer Kreditklemme stecken.

Ob sie auch weiter Staatsanleihen kaufen sollte, ist heftig umstritten. Der ESM hat zwar auch die Möglichkeit zu solchen Stützungskäufen, seine Mittel sind aber mit maximal 500 Milliarden Euro begrenzt und schnell erschöpft, wenn die Anleger die Panik packt. Letztlich bleibt es eine Entscheidung der EZB, ob sie mit Anleihekäufen in den Markt eingreifen will oder nicht.

Catherine Hoffmann

[20] Wird der Euro nun eine Schwach-Währung?

Experten halten die Sorge vieler Anleger für übertrieben. "Die EZB hat alle Mittel in der Hand, eine Inflation zu bekämpfen und so den Wert des Euro zu verteidigen", glaubt der Berenberg-Ökonom Schulz. Überzogen sei auch die Furcht vor der Vergemeinschaftung von Schulden: Auf dem EU-Gipfel wurden die Mittel der Rettungsfonds nicht aufgestockt. Der Bundestag hat in der Regel ein Vetorecht gegen jedes ESM-Programm.

Es bleibt aber die Frage: Wie realistisch ist es, dass der Bundestag ein Rettungsprogramm für Spanien torpediert? Das würde wohl gewaltige Turbulenzen an den Börsen auslösen und auch dem Euro schaden. Bislang ist die Gemeinschaftswährung allerdings im Vergleich zu den Währungen wichtiger Handelspartner nicht viel schwächer geworden.

Catherine Hoffmann

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