Europas neue Bankenaufsicht:Machtkampf der Aufpasser

Bald soll eine neue, europaweite Bankenaufsicht entstehen. Dutzende Brüsseler Beamte arbeiten bereits an dem Plan - doch Kommission und Zentralbank streiten, wer die Behörde leiten soll. Und alle fragen sich: Wollen die Deutschen wirklich eine starke zentrale Aufsicht und damit eigene Kompetenzen abgeben?

Cerstin Gammelin, Brüssel

Englisch, verhandlungssicher. Ohne diese Sprachkenntnisse dürfte bald kein Bankdirektor in Deutschland mehr seinen Job erledigen können. Nach dem Willen der europäischen Staats- und Regierungschefs sollen schon von 2013 an nicht-deutschsprachige Aufseher an die Tür jeder noch so kleinen Bank klopfen dürfen - an die des Direktors der Kreissparkasse Heilbronn ebenso wie an die des Chefs der Volksbank Mittelhessen.

ECB President Draghi arrives to testify before the European Parliament's Economic and Monetary Affairs Committee in Brussels

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, kann sich "eine starke Rolle" der EZB vorstellen - und pokert heftig.

(Foto: REUTERS)

Die neue, zentrale Aufsichtsbehörde für Banken "soll das Recht bekommen, in jede Bank zu gehen, jedes Buch zu prüfen und auch den gesamten Schriftverkehr, jede E-Mail", sagt ein hoher EU-Beamter in Brüssel. Spanier könnten also die Bücher deutscher Banken prüfen, Deutsche die von französischen, Österreicher prüften in Luxemburg - ein heute noch unvorstellbares Szenario.

Und weil die Regeln für die neue europaweite Bankenaufsicht nach dem Willen der Euro-Regierungen möglichst schnell formuliert werden sollen, sitzt dieser hohe und erfahrene EU-Beamte an einem frühen Morgen bereits bei seinem zweiten Kaffee. Den Urlaub hat er gestrichen - wie die meisten seiner Kollegen. Gleich drei EU-Kommissare - Binnenmarktchef Michel Barnier, Wettbewerbshüter Joaquin Almunia und der für Wirtschaft zuständige Olli Rehn - arbeiten nebst ihren Stäben nur noch auf ein Datum hin: den 12. September. An diesem Tag will Kommissionschef José Manuel Barroso eine Rede zur Lage der EU halten und dabei das Konzept für die zentrale Bankenaufsicht vorstellen. Bis dahin muss die Architektur der Aufsicht entworfen sein. Ein Franzose aus der Chefetage der Kommission sagt, eine "Tour de Force" liege vor den Beamten.

Hintergrund des Beschlusses, eine zentrale Bankenaufsicht zu errichten, sind die Entwürfe zum Aufbau einer "echten Wirtschafts- und Währungsunion", mit denen die Staats- und Regierungschefs eine Vierergruppe um EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy beauftragt haben. Van Rompuy soll bis Jahresende konkrete Vorschläge nebst Zeitplan vorlegen. Dieser schlichte Auftrag ist nichts anderes als eine Abkehr von der bisher praktizierten kurzfristigen Krisenbewältigung hin zu langfristig wirkenden Maßnahmen. Die vergangenen drei Jahre rangen die Regierungen vor allem darum, dass die vereinbarten Regeln wie der Stabilitätspakt endlich eingehalten werden müssen. Um dies zu erzwingen, erließen sie immer neue Spar- und Reformvorschriften wie den Fiskalpakt oder das sogenannte "Sixpack" - Regelwerke, die nichts anderes enthalten als verschärfte Haushaltsvorschriften nebst Sanktionen.

Kommission versus EZB

Jetzt aber geht es ums Langfristige: Van Rompuy wird - in Zusammenarbeit mit Barroso, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi - einen Plan unterbreiten, wie aus der "halben" Währungsunion, in der nur gemeinsame Geldpolitik betrieben wird, nicht aber gemeinsame Wirtschafts- oder Sozialpolitik, eine "echte" Gemeinschaft geformt werden kann. Die soll aus "vier wesentlichen Bausteinen" bestehen, nämlich aus jeweils einem "integrierten Finanzrahmen, Haushaltsrahmen, wirtschaftspolitischen Rahmen sowie mehr demokratischer Legitimität und verstärkter Rechenschaftspflicht".

Banken in Frankfurt

Banken-Skyline in Frankfurt: Künftig könnten Spanier die Bücher deutscher Geldinstitute prüfen, Deutsche die von französischen, Österreicher in Luxemburg. Aber wer soll die neue Kontrollinstanz führen?

(Foto: dpa)

Das klingt abstrakt, nach viel Streit und verfassungsrechtlichen Problemen. Und dennoch wird bereits an einem konkreten Projekt des Plans gearbeitet, nämlich an der Schaffung einer "Bankenunion", zu der auch die zentrale Bankenaufsicht gehört, die nun den Beamten der Kommission den Sorgenschweiß auf die Stirn treibt - und nicht nur ihnen. Nicht nur, weil die Aufgabe technisch so kompliziert ist. Sondern auch, weil inzwischen ein regelrechter Machtkampf darum tobt, wer die Aufsicht führen soll. Die Kommission pocht auf ihre Stellung als "Hüterin der europäischen Verträge", darauf, dass es ja eigentlich schon eine europäische Bankenaufsicht gibt - die European Banking Authority in London - und darauf, dass sie beauftragt ist, die Struktur der neuen Aufsicht zu entwerfen.

Die Konkurrenz beeindruckt das nicht, im Gegenteil. EZB-Chef Draghi pokert heftig darum, dass die Aufsicht an seine Notenbank angegliedert wird. Er könne sich "eine starke Rolle" der EZB vorstellen, sagte Draghi letzte Woche im Europäischen Parlament und ließ danach in Frankfurt indirekt durchblicken, warum die Aufsicht nur bei der EZB angesiedelt werden könne. Das tat er mit einem Appell an die Glaubwürdigkeit: Die Regierungen der Währungsunion hätten "substanzielles politisches Kapital" in die Entscheidung gesteckt, eine zentrale Kontrollinstanz für die Banken zu schaffen, sagt er. Die EZB erwarte deshalb, dass der Vorschlag für die Bankenaufsicht so stark sein wird "wie das Engagement der Regierungschefs, als sie diese Entscheidung getroffen haben". Was Draghi nicht sagt, aber Eingeweihte wissen: Die EZB ist die einzige europäische Institution, deren Reputation in der Euro-Krise nicht gelitten hat. Solle es eine glaubwürdige Bankenaufsicht geben, müsse sie bei der EZB angesiedelt sein, so Draghis Argument. Und deshalb arbeitet die EZB längst an einem eigenen Vorschlag.

Die Kommission ist wiederum darüber verärgert. "Wir versuchen, die Türen geschlossen zu halten", sagt der hohe Beamte. Die EZB sitze zwar bei jedem Euro-Gipfel mit am Tisch, sie habe aber "keine Befugnisse, Gesetzentwürfe mitzuschreiben".

Jenseits dieses Gezanks bereiten die Beamten die erste konkrete Entscheidung vor. Bis Ende Juli soll feststehen, ob die Aufsicht zwingend die Banken aller 27 EU-Länder beaufsichtigen soll, was wegen des britischen Widerstands als unwahrscheinlich gilt; oder ob nur die der 17 Euro-Länder, wobei andere Staaten freiwillig mitmachen können. Ebenso muss geklärt werden, ob tatsächlich alle Banken beaufsichtigt werden - das wären mehr als 8000 in Europa - oder nur die größten, und ob eine zentrale Aufsichtsbehörde geschaffen wird oder ein dezentrales Netzwerk. In jedem Fall, so sagt der hohe Beamter, muss die Aufsicht nahe an den Banken sein.

Und dann formuliert er die Frage, die sich alle in Brüssel stellen - und an deren Antwort alles hängt. "Wollen die Deutschen wirklich eine starke zentrale Aufsicht und damit eigene Kompetenzen abgeben. Oder lassen sie alles so formulieren, dass die Beschlüsse endlos verzögert werden?" Dann könnten sich Bankdirektoren weiter Zeit lassen mit den Fremdsprachen.

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