Süddeutsche Zeitung

Gazprom:Europa droht stärkere Abhängigkeit von russischem Gas

  • Parallel zur bestehenden Nord-Stream-Leitung soll eine neue Pipeline von 2019 an russisches Gas nach Deutschland schaffen, vorbei an der Ukraine und Polen.
  • Viele Länder haben schon interveniert. Die EU-Kommission ist gegen die neue Leitung. Doch in aller Stille läuft das Projekt weiter.

Von Michael Bauchmüller und Julian Hans

Nord Stream II hat sich wieder gut versteckt, auch im Programm des Weltwirtschaftsforums in Sankt Petersburg. Wenn dort von Donnerstag an Russlands Wirtschaftselite zusammentritt, findet sie eines der größten Wirtschaftsprojekte des Landes in der Tagesordnung nur verschlüsselt wieder. "Die Geo-Ökonomie großer Infrastruktur-Projekte" heißt das zugehörige Panel, mit dabei: Gazprom-Chef Alexej Miller. Keiner will viel Wind machen um das Acht-Milliarden-Euro-Projekt. Die Causa ist zu heikel - nicht geo-ökonomisch, sondern eher geopolitisch.

Quasi parallel zur bestehenden Nord-Stream-Leitung soll die neue Pipeline von 2019 an russisches Gas nach Deutschland schaffen, vorbei an der Ukraine, an Polen, den baltischen Staaten. Die Länder haben alle schon interveniert, Italiens Premier Matteo Renzi ist deswegen auf einem EU-Gipfel explodiert, die Europäische Kommission ist strikt dagegen.

Doch in aller Stille läuft das Projekt weiter. Die Aufträge für die Rohre sind erteilt, eine Ausschreibung für deren Verlegung läuft gerade - alles mit dem Wohlwollen der Bundesregierung, ungeachtet der Russland-Sanktionen. "Für uns ist das im Kern erst mal ein wirtschaftliches Projekt", sagt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Folglich solle das auch "von seiner wirtschaftlichen Seite her betrachtet werden".

Für Sigmar Gabriel ist die neue Leitung ein rein wirtschaftliches Projekt

Gemessen daran hat Gabriel schon ziemlich viel politisches Kapital in die Sache gesteckt. Ende Oktober reiste der SPD-Chef nach Moskau. Was Deutschland und Russland so auseinanderbringen konnte, sei ihm "völlig unklar", sagte Gabriel damals nach einem Treffen mit Wladimir Putin in dessen Residenz Nowo Ogarjowo. Schließlich hätten beide Staaten noch im Jahr 2000 "ein exzellentes Verhältnis" gehabt. Die "Situation um die Ukraine" jedenfalls schied für Gabriel aus; sie sei aus seiner Sicht nur ein Symptom, nicht der Grund für die Probleme. Damals brachte Gabriel erstmals eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen ins Spiel.

Fragen der Energieversorgung, so schlug der Vizekanzler damals vor, sollten Deutschland und Russland möglichst unter sich regeln, um "politische Einmischung" zu vermeiden. Wenn es gelinge, rechtliche Fragen "in der Kompetenz der deutschen Behörden" zu halten, ließe sich "Einmischung von außen beschränken". Und das in einer Zeit, in der die EU-Kommission fieberhaft an einer "Energie-Union" bastelt, um Europa krisenfester zu machen - etwa bei der Gasversorgung.

Vorige Woche sprach der zuständige EU-Kommissions-Vize Maroš Šefčovič in Berlin eine geschlagene halbe Stunde über die deutschen Energiewirtschaft. Er pries die Energie-Union, hob die Bedeutung zusätzlicher Transportwege hervor, nur ein Wort ging ihm nicht über die Lippen: Nord Stream II. Die Verhandlungen darüber laufen im Hintergrund, und sie laufen zäh. Tatsächlich könnte es gelingen, mit der Leitung nicht nur Osteuropa zu umgehen, sondern auch den Slowaken Šefčovič und seine Behörde. Der mag die Leitung gar nicht. Doch womöglich sind ihm die Hände gebunden. Das dritte Energiepaket der EU verlangt zwar, dass Gasproduzenten nicht gleichzeitig Betreiber der Pipelines sein dürfen. Die Nord-Stream-Leitung, die zur Hälfte Gazprom gehört, würde dagegen verstoßen.

Nur läuft die Leitung in internationalen Gewässern, quasi jenseits der EU. Zwar müssen sich die Anrainerstaaten Finnland, Schweden und Dänemark auch damit befassen. Allerdings ist nur deren "Ausschließliche Wirtschaftszone" tangiert. Das macht es schwieriger, die Leitung zu verhindern. Zumal der größte Widerstand eher von den Anrainern am anderen Ufer der Ostsee kommt.

Sie protestieren heftig gegen das Projekt, mit dem Moskau und Berlin sie umgehen wollen. Dabei geht es indes - anders als bei früheren Gasstreits 2005 und 2009 - nicht mehr in erster Linie um die Versorgungssicherheit. Kiew ist nicht länger damit erpressbar, dass 40 Millionen ukrainische Bürger frieren, wenn Moskau den Hahn zudreht. Seit dem vergangenen Jahr kauft die Ukraine kein Gas mehr vom großen Nachbarn, sondern erwirbt es in Westeuropa, im sogenannten reverse flow. Was nicht heißt, dass es sich nicht letztlich um russisches Gas handelt. Es kommt jetzt nur aus der anderen Richtung.

Befürworter des zweiten Röhrenpaars durch die Ostsee argumentieren zudem mit dem miserablen Zustand des ukrainische Gasnetzes, über das bisher der Transport zum Großteil läuft. Anläufe, es zu modernisieren, sind immer wieder gescheitert. Einerseits fehlt der Ukraine das Geld, andererseits hat sie stets verhindert, dass Russland investiert und so Einfluss auf die Pipelines gewinnt. Ukrainische Oligarchen haben stets gut am Transit verdient.

Lange Leitungen zum Kaspischen Meer könnten unwirtschaftlich werden

Andere Länder der Region arbeiten gleichfalls an mehr Unabhängigkeit von Moskau. Litauen hat einen eigenen Flüssiggas-Terminal gebaut und konnte so die Preise in den Verhandlungen mit Gazprom um 20 Prozent drücken. Polen plant in Swinemünde ebenfalls ein solches Terminal. Parallel arbeitet die EU am sogenannten südlichen Korridor, bestehend aus den Leitungen Tanap und Tap. Er soll Gas aus dem kaspischen Raum Richtung Griechenland bringen und von dort über Italien nach Mitteleuropa. Ziel sei es, durch verschiedene Lieferwege die Sicherheit Europas zu erhöhen, sagt Kommissionsvize Šefčovič.

Doch alle Projekte eint eines: Wird die zweite Ostsee-Leitung fertig, gelangen neue Mengen auf den europäischen Markt - teure Flüssiggas-Terminals und lange Leitungen zum Kaspischen Meer könnten dann unwirtschaftlich werden. Letztlich würde dies die Stellung Gazproms auf dem europäischen Markt vergrößern. Und damit auch die wechselseitige Abhängigkeit.

Die Ukraine und andere Staaten befürchten den Verlust der Transitgebühren

Der Staatskonzern ist unter Druck. Halbjährlich wechselten zuletzt die Pläne, wohin das Gas verkauft werden soll. Von einer Abkehr von Europa ist nicht mehr die Rede, seit die chinesische Wirtschaft schwächelt. Nach der Absage von South Stream zog Wladimir Putin 2014 überraschend Turkish Stream als Alternative aus dem Hut. Nach dem Abschuss eines russischen Militärjets an der türkisch-syrischen Grenze ist davon aber nicht mehr die Rede.

Die Ukraine und andere Staaten befürchten den Verlust der Transitgebühren. Im vergangenen Jahr hatte Kiew 1,8 Milliarden Euro für die Durchleitung russischen Gases erhalten und angekündigt, den Preis zu verdreifachen. Wenn Moskau, wie angekündigt, ab 2019 gar kein Gas mehr durch die Ukraine leitet, würde das ein weiteres Loch in die ohnehin prekären Staatsfinanzen der Ukraine reißen. Europäer und Amerikaner fragen sich daher, warum sie einerseits versuchen, Kiew mit Milliardenkrediten vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bewahren, wenn dem Land durch das Nord-Stream-Projekt gleichzeitig wichtige Einnahmen genommen werden. Deshalb räumt auch Gabriel ein, er könne sich nicht vorstellen, warum nicht parallel zu Nord Stream II eine Lösung für die Pipeline in der Ukraine gefunden werden könne. Wie die aussehen soll, sagt er nicht.

Derweil laufen in Deutschland schon fieberhaft die Vorbereitungen für die neue Pipeline. Nahe Greifswald wird ein neuer Anlandepunkt gesucht, an dem das Gas ins deutsche Netz eingespeist werden soll. Gascade, eine gemeinsame Tochter der deutschen Wintershall und des russischen Gazprom-Konzerns, arbeitet kräftig an einer neuen Leitung namens "Eugal". 485 Kilometer lang, soll sie vom Ostsee-Ort Greifswald quer durch Ostdeutschland nach Tschechien führen, mit zwei Röhren. Die ersten Antragskonferenzen haben schon stattgefunden. Ohne viel Aufhebens, versteht sich.

Doch auch innerhalb der Regierungskoalition gibt es nach wie vor Widerstand gegen die neue Trasse. Michael Fuchs etwa, einflussreicher Fraktionsvize in der Union und deren oberster Wirtschaftspolitiker, hält gar nichts von dem Plan. "Das ist ein gefährliches Projekt", sagt er, "es macht uns nur noch abhängiger von Gazprom". Als Unternehmer habe er eine wichtige Erfahrung gemacht: "Man sollte sich nie zu abhängig von nur einem Geschäftspartner machen."

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Quelle:
SZ vom 14.06.2016/hgn/jps
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