Süddeutsche Zeitung

Europas Finanzmetropolen:Das Rennen um Londons Banken hat begonnen

  • Die Banken in London bereiten sich auf den Brexit vor.
  • Europäische Finanzmetropolen wie Frankfurt, Dublin oder Paris werben nun um die Konzerne - und um deren Arbeitsplätze.
  • Es entsteht ein regelrechter Wettkampf unter den Städten.

Von Björn Finke, Thomas Kirchner, Leo Klimm, Meike Schreiber und Ulrike Sauer

Ende kommender Woche ist es so weit: Bis zum 14. Juli müssen die Banken in London, Europas größtem Finanzplatz, der britischen Notenbank ihre Pläne für den Brexit vorlegen. Die Bank of England will als Aufsichtsbehörde wissen, wie sich die Konzerne auf den Austritt der Briten aus der EU vorbereiten. Beobachter schätzen, dass Banken, Fondshäuser und Versicherer nach der Finanzaufsicht auch Mitarbeiter und die Öffentlichkeit über ihre Absichten informieren werden. Auf London könnten darum Wochen schlechter Nachrichten zukommen, denn viele Jobs dürften in Euro-Staaten verlagert werden. Städte wie Frankfurt, Dublin oder Paris hoffen nun und werben. Ein Überblick über den Wettkampf der Rivalen:

Frankfurt

Welche Bank würde sich wirklich für Frankfurt entscheiden? Monatelang gab es dazu nur Gerüchte, zuletzt aber ging es Schlag auf Schlag: Anfang Mai preschte die britische Großbank Standard Chartered vor, die ihre Europa-Zentrale in der hessischen Bankenstadt ansiedeln will. Dann folgten die japanische Investmentbank Nomura und der japanische Wertpapierhändler Daiwa Securities, die sich ebenfalls für Frankfurt als ihren Standort in der EU entschieden. Am Montag wartete schließlich Sumitomo Mitsui Financial Group, Japans drittgrößte Bank, damit auf, in der Stadt eine Tochter zu gründen. Und nicht nur das: Auch von Citigroup, Goldman Sachs und Morgan Stanley ist zu hören, dass die Wahl auf Frankfurt fallen könne.

Die Deutsche Bank wiederum erwägt, Teile ihres Handelsgeschäfts nicht mehr in London, sondern in Frankfurt zu verbuchen, wie Bloomberg am Mittwoch-Abend meldete.

Manche sehen in der deutschen Finanzhauptstadt bereits den Gewinner im Wettlauf der Standorte. "Frankfurt ist das führende Ziel für Banken, die Geschäfte aus London verlagern wollen", sagt Hubertus Väth, einer der fleißigsten Lobbyisten der Stadt. Er hofft, 10 000 Jobs an den Main zu holen. Das wäre viel: Derzeit arbeiten hier 60 000 Menschen in der Finanzbranche.

Wie viele Stellen am Ende aber wirklich verlagert werden, ist offen. Zahlreiche Banken werden zunächst wohl nur die Verwaltung umsiedeln. Ob auch Kundenbetreuer in die EU umziehen müssen, ist noch unklar. Der Verband der Auslandsbanken rechnet daher konservativer: In den kommenden zwei Jahren könnten hierzulande 3000 bis 5000 Arbeitsplätze entstehen.

Bei Standard Chartered etwa sollen zunächst nur rund zwanzig Stellen verlagert werden - das ist wenig im Vergleich zur Zentrale an der Themse, wo 1700 Menschen arbeiten. Trotzdem ist die Wahl natürlich ein Signal. Warum aber Frankfurt? Zuletzt sei nur noch Dublin im Rennen gewesen, sagt Deutschlandchef Heinz Hilger. Frankfurt habe aber gewonnen. "Wichtig war, dass wir die Dinge mit Bafin und Bundesbank gut besprechen konnten. Wir waren da auf der gleichen Wellenlänge", sagt er. Gegen Dublin hätten zudem technische Argumente gesprochen: So hätte die schlechtere Bonitätsnote Irlands auch jene der Bank beeinflussen können. Außerdem gibt es in Dublin bereits viele Banken. Kunden aber machen lieber Geschäfte mit Instituten aus verschiedenen Ländern.

Dublin

Frankfurts Rivale Dublin wirbt mit den Gemeinsamkeiten, die Irlands Hauptstadt mit London teilt: gleiche Sprache und Zeitzone, ein ähnliches Rechtssystem plus viele Flugverbindungen an die Themse. Das soll den Umzug von Abteilungen vereinfachen. Der niedrige Steuersatz auf Gewinne von nur 12,5 Prozent lockt ebenfalls. "Außerdem kennen die meisten Finanzkonzerne aus London die Vorzüge Dublins bereits, weil sie hier ebenfalls Standorte unterhalten", sagt Kieran Donoghue, Strategiechef der IDA, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft von Irland. Internationale Finanzfirmen beschäftigten fast 40 000 Menschen in Irland.

Und es werden bald mehr sein. Seit dem EU-Referendum habe seine Behörde Anfragen von mehr als 80 Finanzfirmen bekommen, sagt er. Einige Anfragen führten schon zu konkreten Ergebnissen: "Mehr als zehn dieser Finanzfirmen aus unterschiedlichen Branchen haben verbindlich zugesagt, ihre Niederlassungen in Dublin zu vergrößern", sagt der Wirtschaftsförderer. "Ein Unternehmen will bis zu 500 Jobs in Irland schaffen, um sich gegen die Risiken des Brexit zu wappnen."

Dublin ist auch Heimat vieler Fintech-Firmen: junger Internet-Unternehmen, die die Finanzbranche aufmischen. Donoghue hofft, dass der Brexit der Stadt einige weitere Fintech-Investments beschert. Diese Hoffnung teilt Dublin allerdings mit vielen anderen Städten. "Jeder Staat will das Fintech-Zentrum des Universums sein. Das wird nicht funktionieren", sagt der Ire.

Paris

"Paris kann der wichtigste Finanzplatz in Europa werden", tönte Bruno Le Maire jüngst. Dann flog Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister nach New York, um bei den großen US-Banken dafür zu werben, ihr Europageschäft bitte nach Paris zu verlagern - nicht nach Frankfurt.

Doch allmählich wird klar: Wenn es um die Ambitionen der Seine-Metropole geht, wirtschaftlich zum Hauptprofiteur des Brexit zu werden, klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Zwar hat Europas größte Bank HSBC den Umzug von 1000 Mitarbeitern und damit von 20 Prozent seiner Handelsumsätze nach Paris angekündigt, denn dort hat das Londoner Geldhaus schon einen großen Ableger. Auch die US-Investmentbank Perella Weinberg baut Paris zum zentralen Standort in Kontinentaleuropa aus.

Doch das sind nur Einzelerfolge. Die meisten britischen und amerikanischen Institute verhehlen nicht ihre Vorliebe für Frankfurt oder Dublin. Die Gründe dafür sind den frustrierten Paris-Lobbyisten zufolge dieselben, die Frankreichs Wirtschaft insgesamt zu schaffen machen: hohe Sozialabgaben, hohe Steuern, ein komplexes Arbeitsrecht. Ein französischer Senator hat errechnet, dass die Einstellung eines Mitarbeiters in der Finanzbranche in Paris 46 Prozent teurer kommt als in Frankfurt.

Ein zusätzlicher Nachteil sind die Mieten, die Geldhäuser und ihre Mitarbeiter an der Seine viel mehr kosten als am Main. Gérard Mestrallet, Chef der Finanzlobby Paris Europlace, spricht sich Mut zu: "Das Gros der Verlagerungen ist noch nicht entschieden", sagt er. "Und Emmanuel Macron kommt gerade rechtzeitig!" Tatsächlich punktet Frankreichs neuer Präsident bei ausländischen Investoren. Er verspricht Abgaben- und Steuersenkungen, von denen auch die Institute profitieren würden. Es wäre "zum Heulen", sollte Frankreich nicht kräftig vom EU-Austritt der Briten profitieren, sagt Mestrallet.

Luxemburg

Das kleine Luxemburg hat - trotz Krisen und Skandalen - noch immer einen der großen Finanzplätze Europas. Er trägt etwa ein Viertel zum Wohlstand des superreichen Landes bei, knapp 50 000 Beschäftigte arbeiten hier. Das erklärt die enorme Bedeutung, die dem Brexit auch in der Politik des Großherzogtums beigemessen wird. "Wir haben wichtige Interessen zu verteidigen", sagte Außenminister Jean Asselborn im März im Parlament, "und wir werden unsere Position mit Haut und Haaren verteidigen."

Wichtig für Luxemburg ist zum einen, dass die regulatorischen Hürden für die Londoner Konkurrenz nach dem Brexit nicht niedriger sind als vorher, dass die EU hier also möglichst kompromisslos verhandelt. Zum anderen hofft Luxemburg natürlich, den Briten etwas abluchsen zu können. Das gilt vor allem für jene Bereiche, in denen der Kleinstaat schon besonders stark ist, etwa Investmentfonds. In 14 000 Portfolios werden hier mehr als drei Billionen Euro verwaltet. Versicherer wie AIG und FM Global wollen laut Financial Times nach Luxemburg ziehen, und auch JPMorgan will seine Präsenz in dem Land verstärken.

Mailand

Auch Italiens aufgeblühte Finanzhauptstadt tritt in der Champions League der europäischen Metropolen um die Anwerbung von Brexit-Flüchtlingen an. "Mailand hat das Zeug, um sich im internationalen Wettbewerb abzuheben", sagt Bürgermeister Giuseppe Sala. Die Stadt habe sich in den vergangenen Jahren neu erfunden, treibe viele Großprojekte voran und ziehe die junge Generation magnetisch an. Nach dem Erfolg der Weltausstellung 2015 kamen die Mailänder auf den Geschmack und stellten sich mit Elan neuen Herausforderungen. "Wir wollen noch internationaler werden", sagt der ehemalige Telecom-Manager Sala. Sein erstes Ziel ist es, die europäische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel EMA aus London in das Pirelli-Hochhaus, ein ehemaliges Wahrzeichen der Industriemetropole, zu holen. Die Pharma-Agentur beschäftigt 775 Mitarbeiter und zieht im Jahr 56 000 Besucher an.

Um die Finanzbranche zu ködern, bildeten die Italiener eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Regierung, der Stadt, der Börsenaufsicht Consob, der römischen Zentralbank und des Finanzamts. Interessenten erhalten vom Einsatzstab Milano European Financial Hub alle Informationen aus einer Hand. In Rom beschloss das Parlament mit dem Haushaltsgesetz 2017 eine Reihe von Sonderkonditionen für den Mailänder Finanzdistrikt, die den Großverdienern aus der City einen Umzug südlich der Alpen schmackhaft machen sollen. So bleiben 50 Prozent ihrer Bezüge für fünf Jahre unversteuert. Von Ausländern, die ihren Wohnsitz nach Italien verlegen, verlangt der Fiskus für jenseits der Grenzen erzielte Einkünfte nur noch die Zahlung einer Pauschalsteuer in Höhe von 100 000 Euro. Außerdem bemühen sich die Italiener, den Abwanderungswilligen die Angst vor der schleppenden Justiz ihres Landes zu nehmen. Besonders scharf sind die Mailänder darauf, London als Handelsplatz für außerbörsliche Wertpapiergeschäfte in Euro zu beerben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3574291
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.07.2017/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.