Europas faule Kredite:Wie das Gift der Finanzwirtschaft ins System tröpfelt

Die Banken Europas sitzen auf einer Billion fauler Kredite. Dumm nur, dass diese Lasten in offiziellen Rechnungen überhaupt nicht erfasst sind, sondern in Bad Banks ausgelagert sind. Auch die Europäische Zentralbank muss aufpassen, dass sie nicht eines Tages eine Abwicklungstochter gründen muss - denn sie ist längst im Schattenschuldenreich angekommen.

Hans-Jürgen Jakobs

Vor einem Monat unterbrachen die deutschen Abgeordneten ihren Urlaub, weil es in Europa wieder etwas zu retten gab: Diesmal waren es spanische Banken. Die Parlamentarier gaben 100 Milliarden Euro frei, eine im Rahmen der aktuellen Notaktionen fast kleine Summe. Auch wenn die Schuldenkrise weiter grassiert - es gilt das Prinzip der politischen Beherrschbarkeit. Notfalls wird der Urlaub unterbrochen. Der Bürger ist ja weiter der Souverän, der Abgeordnete sein "Volksvertreter", und die sollen schließlich mitbestimmen bei öffentlichen Ausgaben. Der Staatshaushalt ist das in Zahlen gekleidete Programm der Gesellschaft, und der politisch interessierte Zeitgenosse kann neuerdings sogar dem ganzen Werk im Internet per Klick nachspüren. Das Volk soll verstehen, wohin seine Steuern fließen. So die Theorie.

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Auch vier Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers ist das Gift der Finanzwirtschaft noch nicht verschwunden. Denn die EZB produziert mittlerweile die nächsten toxischen Wertpapiere.

(Foto: AFP)

Dumm nur, dass viele große Lasten der Schuldenkrise in solchen offiziellen Rechnungen überhaupt nicht erfasst sind. Sie liegen in Nebentöpfen, sie sind ausgelagert aus der "ersten Welt" der Abgeordneten in eine "zweite Welt" der Finanzingenieure. In der ersten Welt wird viel geredet, in der zweiten viel geschwiegen. Europas Ökonomie hat sich in einer Art Parallelgesellschaft eingerichtet. Im Jahr vier nach dem Crash der US-Investmentbank Lehman, als die große Zockerei mit Finanzwetten ein abruptes Ende fand, ist die mentale Verdrängung des Unheilvollen ein beliebter Weg, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Doch es ist wie beim niedersächsischen Salzbergwerk Asse, dem Lager für radioaktive Abfälle mit kontaminierter Lauge: Das Gift der Finanzwirtschaft ist nicht einfach verschwunden. Es bedroht weiter öffentliche Haushalte. Es tröpfelt ins System.

Der beliebteste Trick, Riesensummen dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen, ist die "Bad Bank". Das sind Geldinstitute, die all die faulen Kredite und "Wert"-Papiere sammeln und auf bessere Zeiten hoffen. Es ist die Hoffnung von Schrotthändlern: Vielleicht kommt ja einer, braucht ein Einzelteil, kauft etwas ab. Allein Deutschland hat fünf solcher Bad Banks, die all den Kehricht früherer Jahre verwalten. Und der macht insgesamt 430 Milliarden Euro aus.

Die zugrunde gewirtschaftete WestLB lebt so weiter, in einer "Ersten Abwicklungsanstalt", die verstaatlichte Abenteuerbank Hypo Real Estate wirkt als FSM Wertmanagement fort. Die Sondermülldeponie übernahm Papiere über 173 Milliarden Euro; wahrscheinlich muss am Ende fast ein Drittel abgeschrieben werden. Die Endabrechnung ist zwar erst auf die Zeit nach 2020 terminiert, aber auch im laufenden Deponiebetrieb fallen Verluste an, etwa aus Geschäften mit griechischen Staatsanleihen. Zehn Milliarden Euro minus waren es allein 2011 für den deutschen Steuerbürger, alles abgewickelt über den Bankenrettungsfonds Soffin. Hier wird kein Parlamentarier gefragt, um über irgendwelche Gelder abzustimmen.

EZB gerät ins Schattenschuldenreich

In ganz Europa haben solche Bad Banks Konjunktur. Die von ihrem Unrat befreiten Banken werben nach geglückter Entsorgung mit einer makellosen Bilanz, die alten Verluste sind sozialisiert worden. Irland unterhält eine große Bad Bank, Spanien bekommt ein Müllinstitut namens Asset Management Company, und Slowenien will so Papiere im Wert von bis zu acht Milliarden Euro verklappen. Der Bedarf an Korrekturen ist in ganz Europa riesengroß. Die Banken des Kontinents sitzen inzwischen auf einer Billion fauler Kredite, die Summe hat sich innerhalb von vier Jahren verdoppelt. Es handelt sich um geliehenes Geld, das bestenfalls zum Teil wieder hereinkommt; oft floss es einst in Immobilienprojekte.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) muss aufpassen, dass sie nicht eines Tages eine Abwicklungstochter für problematische Wertpapiere gründen muss. Die Notenbanker haben seit 2010 gekauft, was andere nicht mehr so richtig wollten: Verschuldungspapiere angeschlagener Euro-Staaten. So sollten deren Schuldzinsen fallen. Allein der EZB-Besitz an griechischen Staatsanleihen macht 40 Milliarden Euro aus, insgesamt liegen bei der Zentralbank Staatspapiere über 210 Milliarden. Und EZB-Präsident Mario Draghi hat an den Börsen die Erwartung geweckt, bald weiter Staatsanleihen zu kaufen. Hier werden die nächsten toxischen Wertpapiere produziert.

Das Schattenschuldenreich ist in Wahrheit ja noch viel größer: Über das EZB-System der Notenbanken, über eine Art Kontokorrentkredit, werden seit einiger Zeit Gütergeschäfte klammer Südländer vorfinanziert, allein bei der Bundesbank haben sich hieraus Target-Forderungen von mehr als 700 Milliarden aufgebaut. Hinzu kommt die European Liquidity Assistance, die im Fall von Finanzengpässen spontan helfen soll. In Irland und Griechenland handelt es sich dabei um einen Dauereinsatz. Das Geld fließt über die jeweilige nationale Notenbank, in Athen sind es vier Milliarden Euro, mit denen sich der Schuldenstaat über Wasser hält.

Über all diese Posten der wundersamen Geldvermehrung entscheidet kein deutscher Parlamentarier. Zur Abstimmung werden ihm nur die Schuldpapiere der offiziellen Welt vorgelegt. Die saftigen Rechnungen der Schattengeldökonomie werden später fällig. Irgendwann aber werden die Volksvertreter entscheiden müssen, ob weiter die Bürger für die Schieflage von Banken und Staaten zahlen, oder ob das nicht Sache der Geldverleiher und der jeweiligen Gesellschafter ist. Jede neue Bad Bank verzögert den Tag eines ehrlichen Kassensturzes. Jemand wird die Lasten der vielen deutschen Bad Banks addieren und womöglich am Ende all die Schrottpapiere in einer einzigen großen Abwicklungsanstalt zusammenführen müssen. Das wäre transparent. Und vielleicht findet sich so eher ein Käufer bei all jenen großen amerikanischen Finanzfirmen, die aus Schrott Geld zu machen pflegen. Die deutschen Abgeordneten werden davon in der Zeitung lesen.

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