Es klingt schon fast wie ein Witz: Ausgerechnet die französische EU-Feindin Marine Le Pen und der Brexit-Propagandist Nigel Farage verdanken dem Europaparlament die Aussicht auf eine ansehnliche Zusatzrente. Aber der Witz wird noch besser, oder schlechter, je nach Perspektive: Der Pensionsfonds, in den Le Pen und Farage einst als Europaabgeordnete eingezahlt haben, ist wohl im Jahr 2024 pleite. Und deshalb müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Europäischen Union möglicherweise im Laufe der nächsten Jahre mit insgesamt 300 Millionen Euro einspringen.
Die "Luxusrente aus Brüssel", wie das umstrittene Altersgeld nun allgemein genannt wird, hat das Zeug, dem Ruf des Parlaments ähnlich zu schaden wie "Katargate". Nur kurz zur Erinnerung: Das war der Korruptionsskandal um die Vizepräsidentin Eva Kaili im Dezember 2022. Mehr als 900 Europaabgeordnete, darunter 21 noch im Amt befindlich, haben Anspruch auf das Geld aus einem freiwilligen Pensionsfonds, der Europa-Abgeordneten zwischen 1990 und 2009 offenstand - und der vom Parlament auf eine Art und Weise geführt wurde, die absehbar ins Desaster führte.
Der Fonds wurde 1990 gegründet, um allen Europa-Abgeordneten die Chance auf eine faire Alterssicherung zu gewähren. Für jeden Euro, den sie einzahlten, legte das Parlament zwei Euro drauf. Als die Abgeordneten 2009 dann ins System der regulären Beamtenpension aufgenommen wurden, sperrte das Parlament den freiwilligen Fonds für neue Mitglieder und stellte die Zuzahlungen ein. Aber die Ansprüche aus dem Fonds sollten in vollem Umfang erhalten bleiben - und sie sollten auch nicht mit der fortan anfallenden Pension verrechnet werden. Die überwiegende Zahl der Präsidiumsmitglieder, die damals diesen denkwürdigen Beschluss fassten, zählte selbst zu den Anspruchsberechtigten.
"Kriminell" nennt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund die Konstruktion des Fonds, zumal nach wenigen Beitragsjahren lebenslange Rentenzahlungen von mehreren tausend Euro monatlich möglich sind. An diesem Dienstag diskutiert das Parlamentsplenum einen von Freund eingebrachten Antrag: Wer aus anderen Quellen ausreichend Pensionsansprüche hat, soll aufgefordert werden, freiwillig den Fonds zu verlassen.
Nigel Farage, der von 1990 bis 2020 im Europaparlament saß, darf sich angesprochen fühlen. Er kann nach Recherchen des Tagesspiegel mit knapp 7000 Euro monatlich aus dem Sonderfonds rechnen. Sie kommen zu seiner regulären Pension in ähnlicher Höhe hinzu, wenn er 2029 das 65. Lebensjahr vollendet. Bei Marine Le Pen, 54, die erst 2004 ins Europaparlament kam, wären es nach fünf Beitragsjahren immerhin noch knapp 2000 Euro Zusatzrente.
Daniel Freund nennt neben Le Pen und Farage beispielhaft auch den ehemaligen Europaabgeordneten Josep Borrell, der zurzeit als Mitglied der EU-Kommission Pensionsansprüche erwirbt. Freund ist allerdings der Meinung, die weit überwiegende Zahl der Anspruchsberechtigten sei nicht auf das Geld angewiesen. Deshalb plädiert er gegenüber der SZ dafür, jeden einzelnen Fall zu prüfen und die im Fonds befindlichen rund 50 Millionen Euro mit einer Einmalzahlung zu verteilen. Die Summe der gesamten Ansprüche beläuft sich auf rund 350 Millionen Euro.
Es geht um nichts weniger als um die Glaubwürdigkeit des Parlaments
Schwer vorstellbar, dass Freund für seinen Antrag eine Mehrheit im Parlament findet. Zu heikel ist das Thema unter den Abgeordneten. Wer will schon Kolleginnen und Kollegen das Recht auf einen regulär erworbenen Pensionsanspruch absprechen? Aber Freund sagt, ihm komme es darauf an, das Thema in die Öffentlichkeit tragen und so zu verhindern, dass es bis nach der Europawahl 2024 verschleppt wird.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sieht das Pensionsproblem auf einer ähnlichen Ebene wie die Aufräumarbeiten nach dem Korruptionsskandal: Es geht um die Glaubwürdigkeit des Parlaments. Ihr Sprecher legt Wert darauf, dass Metsola das Problem von ihren Vorgängern geerbt und sofort nach ihrem Amtsantritt 2022 nach Lösungen habe suchen lassen. Sie wolle noch vor der Sommerpause, also spätestens im Juli, im Präsidium des Parlaments konkret über einen Weg aus der Krise beraten lassen.
Ihr Generalsekretär stellte vor Kurzem im Präsidium eine Bestandsaufnahme vor. Demnach würden bei einer Pleite wohl alle Verpflichtungen aus dem Fonds auf das Parlament übergehen. Als mögliche Lösung präsentierte er eine Einmalzahlung, wie sie auch Daniel Freund vorschwebt. Eine andere Möglichkeit wäre es, das Eintrittsalter anzuheben oder die Beträge pauschal zu kürzen. Ähnliche Schritte hat das Parlament in der Vergangenheit bereits unternommen, um den Fonds am Leben zu erhalten. Sie reichten allerdings nicht aus, wie sich nun zeigt. Es braucht radikalere Lösungen. Wenn, wie zu erwarten, Abgeordnete dagegen klagen, wird der Europäische Gerichtshof das letzte Wort haben.