In Europa sind heute mehr Menschen arbeitslos als vor 20 Jahren. Arbeitnehmer haben weniger Einkommen zur Verfügung; das Risiko, in Armut und Ausgrenzung abzurutschen, steigt unaufhörlich. Nachzulesen ist diese düstere Bestandsaufnahme im "Europäischen Sozial- und Beschäftigungsbericht", den EU-Sozialkommissar László Andor in Brüssel vorstellte.
2012 sei "ein weiteres miserables Jahr für Europa" gewesen, sagte Andor. Und es sei "unwahrscheinlich, dass sich die sozialökonomische Lage in Europa 2013 wesentlich verbessern wird". Die Entwicklung sei "besorgniserregend".
In der Euro-Zone ist die Lage dramatisch schlechter als im Rest Europas. Hinzu komme, dass die Lebensumstände der Menschen in den nördlichen und südlichen Euro-Ländern immer weiter auseinanderklaffen.
Waren noch im Jahr 2007 im Verhältnis etwa gleich viele Menschen im Norden wie im Süden arbeitslos, sind jetzt deutliche Unterschiede zu verzeichnen. Durchschnittlich sind im nördlichen Teil der EU elf Prozent der Erwerbsfähigen ohne Job, im Süden liegt die Quote um 7,5 Prozentpunkte höher.
Offensichtlich tragen die Mängel der Währungsunion zu dieser Entwicklung bei. Denn obwohl Andor auch soziale Diskrepanzen außerhalb der Euro-Zone konstatiert, sind diese offenbar weniger ausgeprägt als innerhalb des Währungsgebietes.
Vor allem junge Menschen, alleinerziehende Mütter und arbeitslose Frauen sind in der EU von Arbeitslosigkeit beziehungsweise Armut bedroht. Das reale Bruttoeinkommen der Haushalte ging zwischen 2009 und 2011 in zwei Drittel der Länder zurück, am stärksten in Griechenland (minus 17 Prozent), Spanien (minus acht Prozent), Zypern (minus sieben Prozent) sowie Estland und Irland (minus fünf Prozent). Diese Entwicklung stehe "in krassem Gegensatz zu den nordischen Ländern, Deutschland, Polen und Frankreich", schreiben die Gutachter.
Sie warnen davor, einseitig auf Lohnkürzungen zu setzen, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Denn Löhne zu kürzen bedeute letztlich, die Kaufkraft zu schwächen und damit die Nachfrage nach Produkten der Unternehmen zu senken. Am Ende führe dies zum Abbau von Arbeitsplätzen.
Auch bei den Gehältern bestünden weiter große Unterschiede, heißt es in dem Gutachten. Die Schere zwischen gut und schlecht bezahlten Tätigkeiten klaffe weiter auseinander. Zudem verdienten Männer immer noch durchschnittlich 16,4 Prozent mehr als Frauen.
Andor lässt darauf hinweisen, dass Mindestlöhne dazu beitragen können, das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zu verringern.
Um zu verhindern, dass Armut und dauerhafte Ausgrenzung weiter zunehmen, will Andor Anfang 2013 ein "Maßnahmenpaket mit sozialen Investitionen" vorlegen.