Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Spiel mit Unbekannten

Ob Bundesbankpräsident Jens Weidmann noch immer Chancen hat, an die Spitze des Instituts zu gelangen, hängt vom Ausgang der Europawahlen und den Wünschen der Kanzlerin ab.

Von Cerstin Gammelin und Markus Zydra, Berlin/Frankfurt

Man hat sich daran gewöhnt, dass Prinz Charles trotz seines hohen Alters noch nicht zum König gekrönt worden ist. An einen Thronfolger im Wartestand erinnert zunehmend auch Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank, der auf die Frage, ob er im kommenden Jahr den Chefsessel in der Europäischen Zentralbank (EZB) übernehmen möchte, stets Interesse signalisiert, und zwar auf die verkopfte Art, wie sie vielen Notenbankern zu eigen ist: "Ich denke, jedes Mitglied im EZB-Rat sollte den Gestaltungswillen mitbringen, auch in einer anderen Rolle an der Geldpolitik mitzuwirken."

Wie gewöhnlich blieb das im Bundeskanzleramt, das Weidmann offiziell vorschlagen müsste, offiziell unkommentiert. Im August hatte das CDU-geführte Haus dann aber durchsickern lassen, anders zu planen und statt der EZB lieber die Kommission besetzen zu wollen. Wie ernsthaft das gemeint war, blieb damals offen. Doch inzwischen, da Manfred Weber (CSU) die Europäischen Volksparteien, zu denen CSU und CDU gehören, in die Europawahl führen wird, scheint die Kandidatur Weidmanns auf den ersten Blick aussichtslos zu sein. Denn gewinnt Weber, so das Diktum, hat er eine reale Chance, der nächste Präsident der EU-Kommission zu werden. Und zwei Top-Posten für Deutschland, das scheint kaum durchzusetzen zu zu sein.

Doch auf den zweiten Blick haben sich Weidmanns Chancen durch Webers Europawahlkampf kaum verschlechtert. Womöglich kommt es dem Bundesbankpräsidenten nicht ungelegen, dass jetzt erst einmal ein anderer Deutscher im Gespräch für einen Spitzenposten in der Europäischen Union ist. Das lenkt ab von den eigenen Ambitionen. "Es ist absolut legitim, dass die Regierung am Ende den Kommissionspräsidenten vorrangig anstreben möchte", sagte Weidmann kürzlich.

Auch Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau und Olli Rehn sind im Rennen

Man kann das so lesen, als gebe Weidmann seine Ambitionen auf. Man kann es aber auch so interpretieren: Weidmann sieht sich als Kandidat in Wartestellung. Denn anders als bei der Europawahl 2014 ist völlig offen, welche Parteienfamilie gewinnt und welche politischen Koalitionen sich 2019 nach der Wahl im Europäischen Parlament bilden. Das ist insofern wichtig, als dass der Kommissionspräsident mehrheitlich vom Parlament gewählt werden muss. Findet sich keine Mehrheit für Weber, hat er keine Chance auf den Job. Bei der jüngsten Europawahl hatten die Europäischen Volksparteien und die Sozialisten eine informelle große Koalition verabredet. Jean-Claude Juncker war ihr Kandidat für die Kommission. Martin Schulz der Parlamentspräsident. Inzwischen ist die Lage so unübersichtlich, dass es darauf hinauslaufen kann, dass keiner der Spitzenkandidaten der Parteien eine Mehrheit bekommt. Dann müssen die Staats- und Regierungschefs einen eigenen Kandidaten vorschlagen. EU-Diplomaten halten diese Variante für die wahrscheinlichste.

Das wäre die Gelegenheit für Weidmann, wieder auf die - neue - Bühne zu treten. In der CDU werden künftig entweder Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Jens Spahn den Ton angeben. Dass Merkels Nachfolger an der Spitze der CDU ganz anders denkt in Sachen EZB, ist allerdings bisher nicht absehbar. Keiner der drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz hat bislang erkennen lassen, dass man glaube, Jens Weidmann sei der richtige Mann für die EZB-Spitze. Man darf davon ausgehen, dass auch sie den politischen Preis für deutlich zu hoch halten, der in Europa zu bezahlen wäre, um den im EZB-Rat immer mal wieder unbequemen und isolierten Weidmann zu unterstützen. Ein deutscher Präsident könnte schnell unter Generalverdacht geraten, die Südstaaten strenger ranzunehmen. In einigen Kreisen ist man sogar bereit, Wetten abzuschließen, dass er weder vorgeschlagen wird, noch eine Chance habe, es zu werden.

Dabei wurde Weidmann lange Zeit als aussichtsreicher Nachfolger für Mario Draghi gehandelt, dessen Vertrag im November 2019 ausläuft. Allerdings hatte sich der frühere Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel einige Male gegen Draghis lockere Geldpolitik ausgesprochen, mit der er die Euro-Zone stabilisierte. Das brachte ihm Respekt in Deutschland ein, doch in den meisten anderen EU-Staaten tragen sie ihm sein Verhalten nach. Auch einige Kollegen im EZB-Rat halten Weidmanns öffentliches Veto rückblickend immer noch für falsch. Er habe einen Streit, der intern hätte bleiben sollen, nach außen getragen.

Weil Weidmann umstritten ist, haben sich nun andere Kandidaten positioniert, etwa François Villeroy de Galhau: Der amtierende Präsident der Banque de France hält die lockere Geldpolitik von Draghi für richtig, was ihn auch bei italienischen Politikern vermittelbar macht. Auch Benoît Coeuré werden Chancen eingeräumt. Der Ökonom sitzt seit 2012 im EZB-Direktorium und ist ein enger Vertrauter von Draghi. Coeuré kennt die Notenbank und bräuchte keine Einarbeitungszeit. Allerdings wäre seine Berufung juristisch umstritten. Eigentlich gilt die Regel, dass EZB-Direktoren nur für eine achtjährige Mandatsperiode eingesetzt werden. Der Vertrag von Coeuré endet 2020. Doch in der EZB kursiert seit einiger Zeit ein juristischer Kniff. Coeuré würde kurz vor Draghis Vertragsende zurücktreten und seine Mandatszeit damit unterbrechen. Dadurch könnte er noch einmal acht Jahre im Direktorium wirken - dieses Mal als EZB-Präsident. Französische Kandidaten haben schlechtere Chancen, weil mit Jean-Claude Trichet bereits ein Landsmann den EZB-Chefposten innehatte.

Dadurch kommen Kandidaten aus kleineren Euro-Staaten ins Spiel, etwa Olli Rehn, der im Juli den Gouverneursposten der finnischen Zentralbank übernahm. Ihm fehlt die Erfahrung als Geldpolitiker, doch er hatte als EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung eine Schlüsselrolle beim Eindämmen der Euro-Krise. Rehn ist bekannt in Brüssel, vielleicht nützt ihm das. Er wäre ein guter Kompromisskandidat.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018
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