Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Spiel mit dem Feuer

EZB-Präsident Draghi möchte mindestens 500 Milliarden Euro in die Euro-Zone schleusen - und zwar über den Ankauf von Staatsanleihen. Doch Geld allein schafft keinen Wohlstand. Im Gegenteil: Es scheint fast so, als ob die Wirtschaftswelt allergisch auf das viele Geld reagiert.

Ein Kommentar von Markus Zydra

Man kann sich die Weltwirtschaft ja einmal als großes Lagerfeuer vorstellen, an dem sich alle Menschen wärmen wollen. In diesen Tagen muss dort der eine oder andere Pulli übergezogen werden, denn die dicken Hölzer glimmen nur noch. Der Feuerwart wirft verzweifelt Stroh nach, doch die mit dem Fall der Mauer durch Öffnung der Weltmärkte einst so kräftig geschürten Flammen drohen dennoch auszugehen.

Auch aus diesem Grund wird die Europäische Zentralbank (EZB) wohl an diesem Donnerstag, um im Bild zu bleiben, viel frisches Stroh nachwerfen. EZB-Präsident Mario Draghi möchte mindestens 500 Milliarden Euro in die Wirtschaft der Euro-Zone schleusen, und zwar über den Ankauf von Staatsanleihen. Auch die amerikanische, japanische und britische Zentralbank haben auf diese Weise Billionen in das Finanzsystem gepumpt. Gleichzeitig liegt der Leitzins in den Industriestaaten nahe null Prozent. In der Geschichte hat es keine Periode gegeben, in der Geld so vorrätig und billig war.

Kein Wachstum

Eigentlich, so liest man in den Lehrbüchern, müssten die Eisen der Wirtschaft jetzt schon glühen. Doch die alten Reflexe funktionieren nicht mehr. Es scheint fast so, als ob die Welt der Wirtschaft allergisch auf das viele Geld reagiert. Man leiht und verleiht es nicht in dem Maße, wie zu erwarten wäre. Die Realität trotzt der akademischen Lehre.

Es ist daher an der Zeit, die Macht der Notenbanken realistischer einzuschätzen. Mit dem Geld aus der Notenpresse kann man katastrophale Folgen einer Finanzkrise lindern und das Überleben des Systems sichern. Doch auch die Wirkung dieser Maßnahme erreicht den Punkt, an dem sie nurmehr verpufft. Die Euro-Zone atmet noch - dank Draghi. Es gibt aber kein Wachstum - trotz Draghi.

Billiges Geld kann im besten Fall die Gesundung flankieren, doch im schlimmsten Fall Schaden anrichten. Die Börsen sind weltweit wieder heiß gelaufen, weil Anleger in Zeiten niedriger Zinsen hohe Risiken eingehen. Wenn die EZB Staatsanleihen aufkauft, dann drückt sie am Finanzmarkt den Kreditzins für Euro-Staaten und subventioniert damit indirekt die Staatshaushalte. Italien und Frankreich haben dann mehr Geld übrig, und die Regierungen könnten das Interesse verlieren, die so wichtigen wirtschaftspolitischen Reformen durchzuführen.

EZB geht in Vorleistung

Ein gutes Argument, Staatsanleihen zu kaufen, gibt es: Durch die Geldschwemme der EZB würde der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar weiter geschwächt. Das stärkt den Exportsektor, was der gesamten Wirtschaft in der Euro-Zone nützt. Doch das allein wird nicht reichen. Die Politik muss mehr tun. Irland, Spanien und Portugal haben es vorgemacht. Sie haben reformiert, jetzt kommt das Wachstum. Auch in Frankreich und Italien muss der Rahmen der Wirtschaft neu gesteckt werden. Veränderungen erzeugen Reibung, neue Jobs und Ideen entstehen. Das sind dicke Bretter, die lange brennen.

Auch muss für die nächste Generation mehr getan werden. Was ist beispielsweise mit den vielen Arbeitslosen in Südeuropa? Die jungen Menschen brauchen Jobs und Ausbildung. Wird da genug getan? Warum gibt es in deutschen Grundschulen immer noch Klassen mit 30 Schülern, was die Förderung der Schwächeren fast unmöglich macht? Mit guten bildungspolitischen Antworten auf diese Fragen ließe sich schon mehr für Wachstum tun, als es eine Notenbank je schaffen könnte.

Draghi weiß das, dennoch tritt er in Vorleistung. So entsteht der unvorteilhafte Eindruck, dass sich die EZB von den Finanzmärkten treiben lässt. Die Börse fordert das, was die EZB nun vorhat, schon seit Jahren. Auch Politiker appellieren an die Verantwortung der Währungshüter. Doch der Glaube an die EZB ist Spiegelbild des politischen Versagens.

Notenbanker gelten als Heroen unserer Zeit. Kein Wunder, sind sie doch die letzte Instanz mit Geld im Ärmel. Einige Wissenschaftler fordern schon, die EZB könne ja als Nächstes Geld an die Bürger verschenken. Einmalig 500 oder 1000 Euro für jeden - als Starthilfe für den Aufschwung. Wer würde da Nein sagen?

Doch Geld allein schafft weder Wachstum noch Wohlstand. Da braucht es viel mehr. Doch wer Stroh ins Feuer wirft, dem fehlt die Zeit, frisches Holz zu hacken.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2015/hgn
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