Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Notenbank als Geisterfahrer

Die Europäische Zentralbank setzt sich über alle Bedenken hinweg und pumpt Hunderte Milliarden Euro in die Finanzmärkte. Wie ein Autofahrer, der einsam seine Spur hält und sich von vielen vermeintlichen Falschfahrern nicht beirren lässt.

Ein Kommentar von Marc Beise

Tatsächlich, er hat es getan. Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, wird für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen europäischer Staaten kaufen. Die EZB drückt damit immer mehr neues Zentralbankgeld in die Finanzmärkte, die ohnehin im Geld schwimmen. Es sind zwar einige Sicherungen eingebaut worden: so die monatliche Stückelung der Tranchen, die Beschränkung auf höherwertige Papiere (also zum Beispiel keine griechischen Anleihen), und die nationalen Notenbanken sollen für 80 Prozent eventueller Verluste haften.

Dennoch handelt es sich um eine riskante Wette, wie es sie so in Europa noch nicht gegeben hat. Draghi begründet seine Politik unter anderem damit, dass er eine Deflation, also einen Preisverfall mit womöglich partiellem Zusammenbruch der Wirtschaft, verhindern will. Dafür nimmt er in Kauf, dass die riesigen Geldmengen neue Blasen hervorrufen und dies in einen Finanzcrash münden könnte - und das alles, obwohl umstritten ist, ob eine Deflation überhaupt zu befürchten ist. Die derzeit niedrige Preissteigerung erklärt sich zu einem Teil durch die gesunkenen Öl- und Energiepreise.

Hochverschuldete Staaten profitieren

Die Argumente, warum die Mega-Geldspritze jetzt falsch ist, sind Legion. Sie reichen vom Verfassungsrecht bis zu politischer und volkswirtschaftlicher Kritik. Die EZB ist auf der Finanz-Autobahn unterwegs wie ein Autofahrer, der einsam seine Spur hält und sich von Hunderten angeblichen Falschfahrern nicht beirren lässt.

Natürlich gibt es auch Unterstützer der neuen Politik, sie finden sich vor allem in internationalen Finanzkreisen und in Europas Süden. Kein Wunder: Indem die EZB Staatsanleihen kauft, macht sie die Zinslast der hochverschuldeten Staaten, die diese Anleihen brauchen, erträglicher. Sie mindert dort den Reformdruck - ausgerechnet jetzt, da sich erste Erfolge zeigen.

Bürger verlieren ihr Erspartes

Die EZB greift damit in das Geschäft der Staaten ein und bewegt sich nah an einer ihr verbotenen Staatsfinanzierung. Sie gefährdet zudem mit ihrer Niedrigzinspolitik das Geschäft der Banken und Versicherungen und entwertet das Geld der Sparer. Und sie schürt in Deutschland die eurokritischen Geister. Draghi will den Euro sicherer machen, und tut genau das Gegenteil. Die Befürworter der EZB-Politik argumentieren, dass das Geld letztlich bei Firmen und Bürgern ankommt und Konsum und Investitionen anschiebt. In einer Zeit aber, da das Zinsniveau nahe null liegt und mit dem niedrigen Ölpreis faktisch ein Konjunktur-Sonderprogramm läuft, ist nicht fehlendes Geld das Problem, sondern fehlendes Vertrauen in Finanzpolitik und Wettbewerbsfähigkeit der Staaten.

Natürlich ist der EZB-Rat ein Kollegialgremium, das mit Mehrheit entscheidet. Traditionell aber hat der Chef viel Macht - so wie einst der Präsident der amerikanischen Notenbank Fed, Alan Greenspan. Der Ruf dieses Mannes, der einmal als Magier des Geldes gehandelt wurde, ist heute ruiniert, er selbst hat zugeben müssen, dass er dramatische Fehler gemacht hat. "Super-Mario" ist auf dem besten Wege, dieses Schicksal zu teilen.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2015
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