Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Lockere Sprüche zur lockeren Geldpolitik

Lesezeit: 3 min

Die EZB möchte Menschen mit unterschiedlichem Bildungsniveau und Vorwissen besser erreichen. Das ist komplizierter als gedacht, wie EZB-Chefin Lagarde feststellen musste.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Das Vertrauen der Bürger in die Europäische Zentralbank war früher größer. Die umstrittene Nullzinspolitik, die billionenschweren Anleihekäufe, die Effekte der Geldpolitik auf die ungleiche Verteilung der Vermögen in der Gesellschaft sowie das daraus erwachsene Unbehagen vieler Menschen haben am Nimbus der Währungshüter geknabbert. Die EZB selbst räumt diesen Vertrauensverlust - den größten aller EU-Institutionen - in einer aktuellen Analyse ein und gibt eine Handlungsanweisung, wie dieses Malheur zu beheben sei: Die Notenbank müsse auch "Menschen mit unterschiedlichem Bildungsniveau und Vorwissen" besser erreichen.

Diese Aufgabe ist lösbar, aber nur wenn Notenbanker ihre Sprache und ihren Ausdruck vereinfachen, was den meisten schwerfällt. Sie kommen meist aus der Wissenschaft, wo der geldpolitische Jargon über Jahre eingeübt wurde. Darüber hinaus möchten Währungshüter Missverständnisse vermeiden. Ein falsches Wort, und die Finanzmärkte reagieren panisch.

Doch was ist mit der Bevölkerung? Die sollte auch verstehen, was in der Zentralbank passiert, und warum es passiert. Aus diesem Verständnis zieht die Geldpolitik schlussendlich ihre Legitimation. Diesen Anspruch der Menschen auf Nachvollziehbarkeit der geldpolitischen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem jüngsten EZB-Urteil deutlich hervorgehoben.

Christine Lagarde war sich dieses Defizits in der Kommunikation der Notenbank von Anfang an bewusst. Die EZB-Präsidentin versprach zu ihrem Amtsantritt vor sieben Monaten, sie wolle die Menschen besser erreichen, und zwar mit einfachen und verständlichen Worten. "Ich werde meinen eigenen Stil haben", sagte sie. Die Finanzexperten sollten nicht jedes ihrer Worte überinterpretieren.

"Haltet die Notenbank raus aus der Presse, und die Presse raus aus der Notenbank."

Doch inzwischen musste die Französin lernen, wie schwer es ist, diesen guten Vorsatz auch umzusetzen. Lockere Geldpolitik verträgt sich selten mit lockeren Sprüchen. So sagte Lagarde im Frühjahr ganz forsch, die EZB sei nicht dazu da, Italiens Schuldzinsen auf niedrigem Niveau zu halten. Das war verständlich formuliert, erzeugte aber an den Börsen eine Panik. Was, die EZB will nicht mehr retten? Lagarde musste noch am selben Tag zurückrudern und die Kampfbereitschaft der Notenbank unterstreichen.

Dieses Missgeschick hat die EZB-Präsidentin vorsichtiger gemacht. Bei der letzten Pressekonferenz las sie Antworten von einem Zettel ab. Nichts mehr mit freier Rede. Ist das die neue Kommunikation der EZB, fragte daraufhin ein Journalist. Lagarde sagte, sie wolle in bestimmten Bereichen ihrer Kommunikation "sehr genau sein" und auch ihre Kollegen im EZB-Rat "nicht im Stich lassen." Der "Easy talk" stößt bei der Geldpolitik offenbar schnell an Grenzen.

Man sollte gleichzeitig nicht verschweigen, dass die Kommunikation der Währungshüter früher noch viel unbefriedigender war. Die amerikanische Federal Reserve teilte bis in die 1990er-Jahre nach ihren Treffen nur lapidar mit: "Das Treffen der Federal Reserve ist beendet." Ob die Leitzinsen verändert wurden, das mussten die Finanzmärkte und die breite Öffentlichkeit selbst herausfinden. "Haltet die Notenbank raus aus der Presse und die Presse raus aus der Notenbank", war das Mantra der Bank of England. Die Herren des Geldes pflegten oft ein äußerst elitäres und entrücktes Gehabe. Die Finanzmärkte fingen an, den Gesichtsausdruck der Notenbankpräsidenten zu interpretieren. Manchmal sollte sogar die Farbe der Aktentasche verraten, was in der Sitzung besprochen wurde. Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Notenbank Fed, hat mit dieser Mystik auf entwaffnende Weise kokettiert, als er sagte: "Ich weiß, sie denken, dass sie das verstanden haben, von dem sie denken, dass ich es gesagt hätte. Aber ich bin nicht sicher, ob sie merken, dass das, was sie gehört haben, nicht das ist, was ich meinte."

Heutzutage kommen die Währungshüter mit diesem Kauderwelsch nicht mehr durch. Die Ansprüche an Transparenz sind gewachsen. Notenbanken publizieren inzwischen ihre Sitzungsprotokolle und machen Pressekonferenzen nach den geldpolitischen Sitzungen. Diese Informationen sind sprachlich an den Bedürfnissen der Finanzmärkte ausgerichtet.

Doch wie soll die EZB mit den Menschen umgehen, die der Geldpolitik ausgesetzt sind, sie aber nicht verstehen? Lagarde wäre eigentlich prädestiniert für eine verständliche Kommunikation. Die Juristin kommt nicht aus dem Teich der Geldtheoretiker. Doch sogar sie ist gebunden an das strenge Sprachregime. Bleibt also nur die Stellenausschreibung: "EZB-Direktor für Bürgerschulung. Qualifikation: Hirn und Schnauze."

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SZ vom 29.06.2020
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