Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Heute Freund, morgen Rivale

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Bundesbank-Präsident Jens Weidmann verhehlt seine Ambitionen auf den Chefposten bei der EZB kaum mehr. Doch in Paris hat er einen Konkurrenten.

Von Leo Klimm und Markus Zydra, Paris/Frankfurt

Jens Weidmann wartet eine halbe Stunde in der großen Eingangshalle der Banque de France, bis der Gouverneur der französischen Notenbank auftaucht. Da schleicht sich François Villeroy de Galhau von hinten heran und zupft den Bundesbank-Chef am Ärmel: "Jens, du musst kurz mitkommen, es tut mir leid, wir müssen zusammen ein Foto machen." Bitte lächeln. Aber klar! Weidmann und Villeroy kennen sich ja nicht nur gut aus dem Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie sind "auch Freunde", wie Villeroy sehr oft betont, als die beiden an diesem Mittwoch bei einem Ökonomen-Symposium in der Banque de France aufeinandertreffen. Jens Weidmann und François Villeroy: Freunde, vielleicht - aber zugleich Rivalen. Denn in gut einem Jahr hört Mario Draghi als EZB-Chef auf. Und die Frage, wer ihm nachfolgt, stellt sich immer drängender. Weidmann macht keinen Hehl mehr daraus, dass er Draghi als Herrn über den Euro beerben will. "Ich denke, jedes Mitglied im EZB-Rat sollte den Gestaltungswillen mitbringen, auch in einer anderen Rolle an der Geldpolitik mitzuwirken", hat der Bundesbank-Präsident neulich gesagt. In der vorsichtigen Sprache der Notenbanker ist das eine klare Bekundung von Ehrgeiz. Und: Es bedeutet nebenbei, dass sich Weidmann darauf einrichtet, Villeroy zum Konkurrenten zu haben. Frankreich schickt für internationale Spitzenposten schließlich fast immer jemanden ins Rennen.

Villeroy selbst hält sich freilich noch bedeckt. Auf Spekulationen um seine Ambitionen reagiert er bisweilen gereizt. Sollte es also zur Entscheidung zwischen Weidmann, Villeroy und möglichen weiteren Anwärtern wie dem Niederländer Klaas Knot kommen, so ist jetzt die Phase, in der sich die Rivalen noch belauern. Einen offenen Kampf wird es auch danach kaum geben.

Es geht um die Führung jener Institution, die zu einer Machtzentrale Europas wurde

Dabei geht es um viel. Es geht um die Führung jener Institution, die in den vergangenen zehn Jahren zu einer Machtzentrale Europas wurde. Die EZB rettete 2012 unter Draghi die Euro-Zone und stützte später mit Anleihekäufen im Wert von 2,6 Billionen Euro die Wirtschaft.

Die Entscheidung über die Draghi-Nachfolge ist damit zugleich eine Richtungsentscheidung: Führt die EZB unter dem künftigen Chef ihren pragmatischen Kurs fort, der auf die Stützung der Konjunktur ausgerichtet ist? Dafür stünde einer wie Villeroy. Oder setzt sich Weidmann als Vertreter einer eher defensiven - also ziemlich klassisch deutschen - Geldpolitik durch? Viele in Deutschland verbinden mit Weidmann die Hoffnung, dass die Nullzinspolitik, die hierzulande Sparguthaben entwertet, unter ihm ein Ende hätte.

Weidmann gilt derzeit als der aussichtsreichste Kandidat. Die EZB wurde nach Vorbild der Bundesbank konzipiert, doch bislang schaffte es kein Deutscher an ihre Spitze. Europas größte Volkswirtschaft wäre also dran, könnte man sagen. Villeroy und Knot haben dagegen den Nachteil, dass aus ihren Ländern schon EZB-Chefs kamen. Die Lage ist aber vertrackt, weil auch die Spitzenposten bei der EZB-Bankenaufsicht nachzubesetzen sind: Deren Chefin Danièle Nouy hört Ende des Jahres auf. Der Vertrag von Vize-Präsidentin Sabine Lautenschläger endet zwei Monate später. Die Deutschen stellen mit Klaus Regling auch den Chef des Euro-Rettungsfonds ESM. Am Ende wird sich Weidmanns und Villeroys Schicksal wohl in einem großen politischen Personaldeal nach der Europawahl im Mai 2019 entscheiden. Dann sind auch die Spitzen der EU-Kommission, des Europäischen Rates und des Parlaments zu besetzen. Das erzeugt viele Unwägbarkeiten.

Weidmann wie Villeroy genießen im Kreis ihrer EZB-Kollegen hohes Ansehen. In manchen Punkten sind sie sich nah, etwa beim gemeinsamen Plädoyer für eine Kapitalmarktunion. Das wurde jüngst von den Regierungen in Berlin und Paris aufgegriffen. Und Weidmann mag im Jahr 2012 als einziger im EZB-Rat dagegen gestimmt haben, im Notfall unbegrenzt Anleihen von Krisenländern zu kaufen - der Ex-Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel weiß doch, dass er als EZB-Präsident Geldpolitik für sämtliche 19 Euro-Staaten machen und deshalb möglicherweise in Deutschland unpopuläre Entscheidungen treffen müsste. Konkurrent Villeroy wiederum, der als Erbe der Porzellandynastie Villeroy & Boch Wurzeln in Deutschland hat, präsentiert sich gern als Mittler zwischen den Wirtschaftskulturen Nord- und Südeuropas.

"Unser Thema ist ja fast das Gleiche", ruft Villeroy am Mittwoch seinem deutschen Freund zu, als er den Titel des Vortrags sieht, den Weidmann gleich halten will. Es geht um Geldpolitik in unsicheren Zeiten. Der Inhalt der Vorträge aber, erweist sich dann, ist sehr verschieden: Villeroy hält teils eine europapolitische Grundsatzrede. Weidmann einen streng wissenschaftlichen Vortrag. So unterschiedlich kann man das gleiche Thema behandeln.

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SZ vom 22.06.2018
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