Europäische Zentralbank:Grüne Geldpolitik

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Für die Zukunft gerüstet? Schülerinnen und Schüler von "Fridays for Future" demonstrieren 2019 vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Die EZB sieht Risiken durch den Klimawandel, die den Finanzsektor betreffen. Auch die Preisstabilität wäre dann in Gefahr.

Von Markus Zydra

Die Europäische Zentralbank (EZB) möchte mehr gegen den Klimawandel tun. Christine Lagarde, seit fast einem Jahr Präsidentin der Institution, hat damit ihr Ziel, das sie gleich zu ihrer Inauguration zur Verwunderung vieler Kollegen vortrug, konsequent vorangetrieben. Bei jeder guten Gelegenheit machte die Französin Werbung für eine "grüne Geldpolitik". Inzwischen hat sie auch ihre Kollegen überzeugt, wie die jüngste Entscheidung der EZB-Chefetage zeigte: Mit Beginn des kommenden Jahres möchte die Notenbank bei ihren Refinanzierungsgeschäften mit den Banken bestimmte "grüne" Anleihen als Sicherheit für die Kreditvergabe akzeptieren. Darüber hinaus plant die EZB, auch solche Anleihen von Unternehmen zu kaufen, die mit dem Erreichen bestimmter umweltverträglicher Ziele verbunden sind. Die EZB sprach bei der Bekanntgabe der Entscheidung Ende September von "Sustainability-Linked Bonds".

Europas Notenbank steckt mitten in einem Wandlungsprozess. Die Retter der Euro-Zone haben ihre Geldpolitik in der letzten Dekade grundlegend verändert. Als Reaktion auf die Folgen der globalen Finanzkrise begann die EZB ihre Leitzinsen immer weiter abzusenken, bis auf null Prozent. Gleichzeitig starteten die Währungshüter ein billionenschweres Rettungsprogramm, in dem sie Staatsanleihen sowie Unternehmensanleihen aufkauften und den Banken Billigkredite gaben. Diese Nullzinspolitik ist zum Verdruss vieler Sparer in Deutschland bis heute intakt. Im Zuge der Corona-Krise wurden die Ankaufprogramme sogar noch erweitert. Diese lockerste Geldpolitik in der Geschichte der EZB hatte starke Effekte auf die Wirtschaft, aber auch auf die Vermögensverteilung in der Gesellschaft: Aktionäre und Immobilienbesitzer profitierten davon stärker als Arbeitnehmer. Daher ist in der Debatte mitunter von einer "politischen" EZB die Rede. Dahinter steht der Vorwurf, die Notenbank übernehme Aufgaben, die den demokratisch gewählten Politikern vorbehalten sind.

In dieser Spannungslage nun also der Sprung in eine "grüne Geldpolitik"? Natürlich ist dieser Schritt umstritten. "Klimapolitik ist Sache von gewählten Regierungen und Parlamenten. Sie verfügen über die geeigneten Instrumente, wie Steuern auf den Ausstoß von Kohlendioxid oder einen Emissionshandel", sagt Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Die Regierungen verfügten über die notwendige demokratische Legitimation für den Einsatz dieser Instrumente. Doch Weidmann sagt auch: "Notenbanken können und sollten in Sachen Klima mehr tun als bisher."

Darüber, wo diese dünne Linie verläuft, zwischen "mehr tun" und zuviel zu tun, wird die EZB in den nächsten Monaten beraten. Lagarde hat zu Jahresanfang eine grundlegende Strategiedebatte auf die Spur gebracht, bei der "jeder Stein umgedreht" werde, wie sie versprach. Neben der Frage, ob das Inflationsziel noch zeitgemäß und eine bessere Kommunikation angezeigt seien, steht auch das Umweltschutzthema im Zentrum: Was hat der Kampf gegen den Klimawandel mit dem Mandat der EZB zu tun, nämlich für stabile Preise zu sorgen?

Für Lagarde steht fest: Der Klimawandel könne, wenn man sich nicht darum kümmere, die Wirtschaft in einer Weise treffen, die Risiken für die Preisstabilität mit sich bringe. "Beides hängt intrinsisch zusammen und ist verbunden", so die EZB-Präsidentin, deren Institution auch für die Bankenaufsicht zuständig ist.

In diesem Bereich ist die Berücksichtigung des Klimawandels einfacher zu motivieren. Banken vergeben Kredite und deren Ausfallrisiko hängt auch davon ab, ob die kreditnehmenden Unternehmen für die Zukunft gerüstet sind. Nur ein Beispiel: Wer zu lange auf den Verbrennungsmotor in der Automobilindustrie setzt, könnte in finanzielle Schwierigkeiten geraten und womöglich seine Darlehen nicht mehr zurückzahlen.

Im Rahmen der Bankenaufsicht müssen die EZB-Aufseher diese durch neue politische Leitplanken in der Umweltpolitik induzierten unternehmerischen Rahmenbedingungen berücksichtigen. An den dafür nötigen Risikomodellen arbeiten die Experten in den Behörden und Banken. Und auch die Ratingagenturen, auf deren Noten sich auch die EZB bei ihren Anleihekäufen verlässt, sind gefordert, Klimarisiken besser abzubilden. Die wichtigste Aufgabe: Man muss Prognosemethoden entwickeln, die berechnen, welche Risiken in der Bankbilanz durch eine mögliche Zunahme von Naturkatastrophen und neuen Gesetzen entstehen.

Die EU-Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzsystem, die ab nächstes Jahr gilt, gibt eine wichtige Anleitung. Investoren sollen auf Basis dieser Gesetze dazu beitragen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. In diesen Paradigmenwechsel möchte Lagarde die EZB einklinken, etwa im Rahmen des Kaufs von Unternehmensanleihen, die man in "braune" und "grüne" Anleihen klassifizieren kann.

Deutlich ambitionierter wäre es, den Ankauf von Staatsanleihen "grün" zu steuern, Die EZB würde sich wohl großen Ärger einhandeln, wenn sie urteilt, wie gut oder wie schlecht ein Euro-Staat die Ziele des Pariser Klimaabkommens umsetzt.

© SZ vom 21.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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