Europäische Zentralbank:Die Ja-Sager von der EZB

EZB in Frankfurt am Main

Viele Profis und Abgänger von Eliteuniversitäten wollen bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt arbeiten. So luftig und offen wie der neue Glasturm von innen wirkt, ist die Organisation aber nicht.

(Foto: dpa)

Nach außen will die Europäische Zentralbank mächtig und wichtig wirken. Viele Mitarbeiter leiden aber unter Hierarchien, Vetternwirtschaft und Duckmäusertum.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es sind verstörende Details, die ein langjähriger Angestellter der Europäischen Zentralbank (EZB) erzählt. "In manchen Abteilungen verordnen die Chefs ihren Mitarbeitern eine bestimmte Sicht auf die Dinge. Querdenker werden ausgebremst. Abweichende Meinungen zu wichtigen Themen erreichen die obersten Entscheidungsebenen der Notenbank oft nicht mehr", berichtet der Mann mit der Bitte, dass sein Name nicht veröffentlicht wird. Die scharfe Kritik paart sich allerdings mit einem Treuebekenntnis. Er sei "froh und glücklich", bei der EZB zu arbeiten. Sein Tonfall legt nahe, dass er diese Aussage ernst meint.

Der EZB-Angestellte beklagt den "Perfektionismus, den das Haus verfolgt", der oft das Gegenteil bewirke. "Wir produzieren manchmal 30 Versionen einer einzigen Vorlage. Man fragt sich, ob die Ausarbeitung danach besser geworden ist." Der Mann macht sich Sorgen, ob die EZB unter diesen Bedingungen im Ernstfall richtig reagiert. "Sehen wir noch rechtzeitig das, was wir sehen sollten?"

Miese Umfragewerte bei den Mitarbeitern

Natürlich schimpfen Mitarbeiter, deren Idee bei Vorgesetzten kein Gehör findet, gerne mal über Denkverbote. Andere klagen vielleicht vorschnell über "Burn-out", wenn sie länger arbeiten müssen. Aber bei der EZB scheint das Verhältnis zwischen Management und einigen Mitarbeitern doch grundsätzlicher belastet zu sein.

Das belegen jüngste Umfragen unter den 3600 Beschäftigten. Auf die Frage, wie man in der EZB am effektivsten Karriere machen kann, antworteten 65 Prozent der Belegschaft (Teilnahmequote 90 Prozent): "Indem man die richtigen Leute kennt", sprich Vetternwirtschaft. Im vergangenen Jahr verwies die Gewerkschaft IPSO zudem auf eine psychologische Untersuchung, der zufolge 31 Prozent der Mitarbeiter Burn-out-gefährdet seien und knapp fünf Prozent Gedanken an Selbstmord oder selbstverletzendes Verhalten geäußert hätten.

Bei der EZB im Frankfurter Ostend prallen Welten aufeinander. Auf der einen Straßenseite warten morgens Tagelöhner auf ihren Transport zur nächsten Baustelle. Auf der anderen Seite kündet der dicke Schutzwall aus Stein von der Macht der Notenbank. Die Pforte steht im Schatten der Doppeltürme. Die Architektur ist ein Statement: Die EZB gibt sich modern und wichtig. Die Sicherheitskontrolle ist streng wie am Flughafen.

Gewerkschafter beklagen eine "Gnadenherrschaft"

Johannes Priesemann hat sein Büro im 5. Stock. Der 57-jährige Jurist ist Vorsitzender der Gewerkschaft IPSO, die etwa 40 Prozent der unbefristet Beschäftigten bei der Notenbank vertritt. "Die EZB nutzt grundsätzlich erst einmal Zeitverträge und setzt Leiharbeiter für dauerhafte Tätigkeiten ein", kritisiert Priesemann. Nur circa 1300 der insgesamt etwa 3600 Menschen, die die EZB beschäftigt, haben unbefristete Verträge, 1100 hofften auf Entfristung, weitere 1000 seien prekär beschäftigt. Die verbleibenden 200 Mitarbeiter seien zur EZB von anderen Stellen abgeordnet. "Doch eine unabhängige Zentralbank braucht eine unabhängige Belegschaft. Die gibt es aber nur mit festen Arbeitsverträgen und einem öffentlichen Dienstrecht."

Priesemann sagt, die EZB betreibe - willentlich oder nicht - eine Art "Gnadenherrschaft". Beförderungen und nahezu alle Vergünstigungen stünden weitgehend im Ermessen der Vorgesetzten oder des Direktoriums. "Die europäischen Regierungen haben die EZB zum Gesetzgeber im eigenen Arbeitsrecht gemacht", sagt der Gewerkschafter. Diese Kombination von Exekutive und Legislative sei eine gefährliche und undemokratische Machtkonzentration.

Auch Politiker sind besorgt. Fabio De Masi (Die Linke) trifft als Vertreter des Europäischen Parlaments immer wieder Beschäftigte und Gewerkschafter der EZB. "Als ich einmal ein Abschiedsfoto in Brüssel machen wollte, da sagte der Mitarbeiter, er wolle nicht auf das Foto, denn er befürchte dann die Entlassung", erinnert sich der Europa-Abgeordnete. Sein Eindruck: "Die EZB wird sehr streng geführt, damit auch strittige Entscheidungen von oben nach unten umgesetzt werden." Insgesamt sei die EZB personell zu unterbesetzt, um die vielen Aufgaben gewissenhaft und sorgfältig ausüben zu können.

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