Europäische Zentralbank:Der Druck auf Lagarde wächst

Die EZB entscheidet über Nothilfen - aber was kann sie jetzt noch machen?

Von Markus Zydra, Frankfurt

Donnerwetter über der Bankenmetropole

Stürmische Zeiten: Die Europäische Zentralbank steht wegen der Cornona-Krise unter Druck - aber ihr Werkzeugarsenal ist aufgebraucht.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Der Druck der Finanzmärkte auf die Europäische Zentralbank wächst. Die Investoren rechnen mehrheitlich damit, dass die Notenbank den Einlagenzins von derzeit minus 0,5 Prozent weiter absenken wird. Starke Kursrückgänge an den Aktienmärkten und die Kursausschläge an den Anleihemärkten rufen große Unsicherheit hervor. Die Anleiherenditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen sind am Montag stark gestiegen von 1,07 auf 1,34 Prozent. Das bedeutet, dass es teurer wird für Italien sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen. Die Kreditkosten liegen zwar noch deutlich unter denen von 2011 - damals musste Italien sieben Prozent bezahlen. Aber die Investoren fordern ein Signal von Christine Lagarde.

Die Investoren fordern ein Signal von Christine Lagarde

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, seit November im Amt, steht vor ihrer ersten Bewährungsprobe als Krisenmanagerin. Am Donnerstag wollen sie und die Notenbankerkollegen im EZB-Rat beschließen, was zu tun ist, um die Gemüter zu beruhigen. Die europäischen Währungshüter stehen unter Druck, seit die amerikanische Notenbank Fed letzte Woche mit ihrer überraschenden Hauruckentscheidung den Leitzins deutlich abgesenkt hat. Die Maßnahme brachte bislang wenig, die Börsen bleiben in Panikstimmung. Es scheint fast so, als habe die Fed hat mit dieser Entscheidung ihre Hilflosigkeit unter Beweis gestellt. Dabei ist sie der goldenen Regel alle Notenbanken gefolgt, die lautet: Währungshüter sollten in einer Krise immer handlungsfähig wirken. Eine Situation, in der sie nichts mehr tun können, sollten sie unbedingt vermeiden. Dabei ahnen sie auch bei der EZB: Das Corona-Virus ist weitgehend immun gegen Zinspolitik.

Aber es geht um ein Zeichen der Stärke. "Wir rechnen damit, dass der Negativzins am Donnerstag abgesenkt wird auf 0,6 Prozent, auch die Anleihekäufe könnten ausgeweitet werden, so löst man Verspannungen am Finanzmarkt", sagt Dirk Schumacher, Chefökonom der französischen Bank Natixis. Aber im Kern könne die EZB in dieser Situation auch "nur Salbe auf die Wunde geben".

Weitgehend hilflose Währungshüter, das ist eine neue Erfahrung. Immerhin haben die Zentralbanken erfolgreich die globale Finanz- und Euro-Schuldenkrise bekämpft: mit viel Geld und Leitzinsen nahe null Prozent. Das Problem: Die lockere Geldpolitik wurde nie konsequent beendet. Sie wirkt bis heute. Kredite kosten nichts, mitunter muss der Schuldner nicht einmal den vollen Betrag zurückbezahlen. Das ist die Konsequenz der Nullzinspolitik in den Industriestaaten. Noch niedrigere Zinsen können die Lähmung der Wirtschaft wohl kaum kurieren. "Wenn die Gefahr besteht, dass zehn Prozent der Arbeitnehmer zuhause bleiben müssen in Quarantäne, dann ist das für die Wirtschaft natürlich fatal", so Schumacher. "Da vergibt niemand mehr Kredite, da investiert niemand mehr."

Die Zinspolitik der EZB scheint daher weitgehend ausgereizt zu sein. "Eine Absenkung des Einlagenzinses wäre nur Symbolpolitik, das bringt jetzt nichts", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. "Die globale Wirtschaft leidet unter einem Angebotsschock, den Firmen fehlen Vorprodukte, die Lieferketten sind geschwächt oder unterbrochen. Da kann die Geldpolitik wenig machen." Eine Zinssenkung käme bestimmt auch bei den Sparern nicht gut an. Damit nicht genug. Eine Zinssenkung der EZB könnte auch Europas Banken in die Bredouille bringen, denn deren Erträge leiden vielerorts unter den Negativzinsen. In dieser Situation wird die problematische Doppelfunktion der EZB deutlich, denn sie ist nicht nur geldpolitische Zentralinstanz, sondern beherbergt auch die zuständige Bankenaufsichtsbehörde. Geldpolitik und Bankenaufsicht stecken im Zielkonflikt.

Die Bankenkontrolleure bei der EZB befürchten zudem, dass ein Wirtschaftsabschwung zu vielen Kreditausfällen in den Bankbilanzen führen kann. Das Risiko einer Bankenkrise nimmt zu, denn die faulen Kredite der Finanzkrise sind auch noch nicht restlos verdaut.

"Das einzige, was man tun kann, ist den Banken und Unternehmen in dieser Phase der rückläufigen Nachfrage bei den Kosten zu helfen. Also Garantien übernehmen, Steuerstundungen, Lohnfortzahlungen absichern. Da sind die Regierungen gefragt", sagt Natixis-Ökonom Schumacher.

Sogar in Fachkreisen kursiert wieder die Idee vom Helikoptergeld

Und was kann die EZB tun? Sie könnte Notkredite an Banken vergeben, damit die Institute ihre Kundschaft, kleine und mittlere Unternehmen, weiter mit Geld versorgen können. "Die EZB sollte dafür sorgen, dass man im Ernstfall genügend Liquidität bereitstellt, um einer Knappheit in den Geldmärkten und bei der Liquiditätsversorgung von Unternehmen vorzubeugen", sagt DZ Bank-Experte Bielmeier. Die Notenbank könne auch ihre monatlichen "Anleihekäufe temporär erhöhen". Die EZB kauft jeden Monat Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro. Einige Finanzmarktexperten gehen davon aus, dass das Volumen verdoppelt wird. Mit den Ankäufen drückt die EZB den Kreditzins für Unternehmen und die Regierungen der Euro-Staaten.

All dies wären wichtige, aber doch nur flankierende Maßnahmen. Die Notenbanken haben ihre klassischen Instrumente weitgehend ausgereizt. Deshalb kursiert die Idee vom Helikoptergeld, selbst in Fachkreisen. Der ehemalige Chef der Schweizer Notenbank, Philipp Hildebrand, und der ehemalige Vize-Präsident der amerikanischen Federal Reserve, Stanley Fischer - beide nun in Diensten des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock - haben vorgeschlagen, die Notenbank solle ihre unerschöpflichen Geldreserven im Falle einer schlimmen Krise direkt in die Taschen der Bürger und Unternehmen stecken - in Kooperation mit den Regierungen.

Diese Maßnahme gilt als der letzte wirklich starke Hebel für Notenbanken, um einen Finanzcrash abzuwenden. Trotz des "schwarzen Montags" - so schlimm steht es aktuell wohl nicht.

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