Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Ausgerechnet die CSU könnte Weidmann als EZB-Chef verhindern

  • Bundesbank-Präsident Jens Weidmann würde 2019 gern den Chefposten der Europäischen Zentralbank (EZB) übernehmen.
  • Doch es wird im kommenden Jahr noch ein Amt vergeben: das des Präsidenten der EU-Kommission.
  • Der CSU-Politiker Manfred Weber rechnet sich Chancen darauf aus - und Merkel wird nur ein Spitzenamt besetzen dürfen.

Von Nico Fried, Berlin Alexander Mühlauer, Brüssel, Ulrich Schäfer und Markus Zydra, Frankfurt

Jens Weidmann hat nie gesagt: Ich will es werden. Er hat sich stets nur verklausuliert geäußert. Getreu dem Motto seines Kollegen, des ehemaligen US-Notenbank-Chefs Alan Greenspan: "Wenn ich Ihnen über Gebühr klar erscheine, müssen Sie falsch verstanden haben, was ich gesagt habe."

Aber klar ist: Der Bundesbank-Präsident möchte im kommenden Jahr gern den Italiener Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) beerben. Die Kanzlerin weiß von seinem Interesse, sie haben darüber geredet. Aber ob Angela Merkel ihn vorschlagen wird, hängt nicht allein von ihr ab - sondern auch von den Ambitionen eines CSU-Politikers, der erwägt, für ein anderes Spitzenamt in der Europäischen Union zu kandidieren.

Denn im kommenden Jahr wird nicht bloß der Posten des EZB-Präsidenten neu besetzt. Gesucht wird auch ein neuer Präsident der EU-Kommission. Und auch für dieses Amt gibt es potenzielle Bewerber aus Deutschland. Genannt werden Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Und vor allem: Manfred Weber.

Der CSU-Politiker aus Wildenberg in Niederbayern leitet im EU-Parlament seit vier Jahren die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Nun trägt er sich mit dem Gedanken, als EVP-Spitzenkandidat bei der Europawahl im Mai anzutreten, und er darf sich durchaus Chancen ausrechnen, dass Europas Christdemokraten ihn Anfang November auf ihrem Parteitag in Helsinki nominieren. Sollte die EVP dann die Wahlen gewinnen und Weber, so wie vor vier Jahren Jean-Claude Juncker, das Amt des Kommissionschef zufallen, wäre es vorbei mit Weidmanns Chancen. Denn mehr als ein Spitzenamt wird Deutschland nicht besetzen dürfen.

Ausgerechnet die CSU würde die Hoffnungen von Weidmann durchkreuzen. Ausgerechnet jene Partei, die bereits vor zwei Jahren gefordert hatte, auf Mario Draghi solle - erstmals in der zwanzigjährigen Geschichte der EZB - ein Deutscher folgen. Markus Söder, damals Finanzminister, hatte die Debatte angestoßen, andere Christsoziale hatten sekundiert. Draghis lockere Geldpolitik habe "zu einem massiven Glaubwürdigkeitsverlust der EZB geführt", meinte der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Daher müsse der nächste EZB-Chef ein Deutscher sein.

Die Kanzlerin will sich alle Optionen offenhalten

Da kam natürlich nur Weidmann infrage. Er gilt als ausgewiesener Fachmann, bewegt sich sicher auf internationalem Parkett und ist von ausgesuchter Freundlichkeit im persönlichen Umgang. Gleichzeitig kann er hartnäckig sein und folgt unbeirrt seinen Prinzipien. Im vorigen Jahr hat auch Wolfgang Schäuble, damals noch Bundesfinanzminister, seine Präferenz für Weidmann klar durchblicken lassen. Merkel wurde Gleiches nachgesagt.

Am Donnerstag war nun im Handelsblatt zu lesen, dass die Kanzlerin ihre Prioritäten geändert und neue Wünsche habe. Sie wolle lieber das Amt des EU-Kommissionschefs mit einem Deutschen besetzen, weil dies größeren Einfluss biete. Tatsächlich jedoch hat sich an Merkels Position nichts geändert; sie sagte am Donnerstag in der georgischen Hauptstadt Tiflis: "Ich kann keinerlei Wünsche bestätigen, die ich habe, sondern wir werden die Entwicklung abwarten und dann schauen, wie sich die deutsche Position entwickelt." Mit anderen Worten: Die Kanzlerin will sich alle Optionen offenhalten. Die eine ist Weidmann. Die andere könnte Weber sein.

Denn noch hat Weber von Unionsseite keine offizielle Zusage. Die Gremien von CDU und CSU beraten Anfang September über die Spitzenkandidatur. Bis Ende des Monats soll es dann eine Entscheidung geben. Kandidiert Weber innerhalb der EVP, könnte er dort auf einen starken Gegner treffen: Michel Barnier, Brexit-Chefverhandler der EU. Auch ihm werden Ambitionen nachgesagt, ebenso dem irischen Ex-Premier Enda Kenny.

Die EVP dürfte nach der Europawahl mit ziemlicher Sicherheit stärkste Fraktion im Parlament bleiben. Ob es aber diesmal wieder den Automatismus geben wird, dass ihr Spitzenkandidat Kommissionspräsident wird, ist offen. Es kann gut sein, dass sich, falls Populisten viele Sitze erringen, die Mehrheitsverhältnisse dramatisch ändern und die EVP gezwungen sein könnte, Personaldeals mit anderen Parteigruppen zu schließen.

Merkel wird in den kommenden Wochen ihre Möglichkeiten in dem Postenpoker sondieren, Anfang September trifft sie Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Die Top-Jobs dürften dann zur Sprache kommen. Falls Macron die EZB mit einem Franzosen besetzen möchte, hätte er eine Auswahl geeigneter Kandidaten: Frankreichs Notenbank-Chef François Villeroy de Galhau, EZB-Mann Benoît Cœuré oder Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds.

Für Weidmann spricht, dass die Kanzlerin ihn kennt und schätzt. Der 50-Jährige war von 2006 bis 2011 ihr wichtigster Wirtschaftsberater. Weidmann leitete die Abteilung für Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt und wirkte während der Finanz- und Schuldenkrise an zahlreichen Rettungspaketen mit: erst für die Banken, später dann für Griechenland. Aus Sicht konservativer Politiker spricht für ihn zudem, dass er als geldpolitischer "Falke" gilt, also als jemand, dem die Bekämpfung der Inflation wichtiger ist als alles andere. Weidmann war für die Falken in der Ära Draghi der letzte Rettungsposten, er lehnte sich im EZB-Rat gegen wichtige Beschlüsse auf, was ihm viele Kollegen im Gremium bis heute nicht verziehen haben. Ein tiefer Graben ging danach durch die EZB, die in der Vergangenheit stets darauf geachtet hatte, Auseinandersetzungen nicht nach außen dringen zu lassen.

Genau dies aber könnte sich nun als Problem für Weidmann erweisen. Gerade in Südeuropa gibt es Vorbehalte gegen seinen harten Kurs. Dass er als EZB-Präsident eine andere Linie verfolgen müsste und nicht allein deutsche Interessen vertreten könnte, hilft ihm als Argument wenig. Im Gegenteil: In Italien wird in den Medien argwöhnisch verfolgt, dass er "Wahlkampf" betreibe. Weidmann würde dies bestreiten, hat seine Termine in Italien aber vorsorglich reduziert.

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SZ vom 24.08.2018/vit
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