Europäische Währungsunion:Ein klares Nein

Die Niederlande lehnen einen höheren Bruttobeitrag zum EU-Haushalt ab. Sie fürchten das Tandem Frankreich und Deutschland.

Von Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der Binnenhof in der Innenstadt von Den Haag Niederlande Sitz des Ministerpräsidenten und der Eers

Der Binnenhof in der Innenstadt von Den Haag. Seit dem 15. Jahrhundert tagt dort das Parlament der Niederlande.

(Foto: Jochen Tack/imago)

"Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit." Es war unter anderem diese Passage im Sondierungspapier von Union und SPD, die in den Niederlanden schlimme Befürchtungen bestätigte. Die Angst nämlich, dass der große Nachbar sich nun endgültig und vollen Herzens auf den enthusiastisch pro-europäischen Kurs von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einlassen würde. Was damit einherginge - ein größerer EU-Haushalt, ein EU-Finanzminister mit eigenem Eurozonen-Budget, Steuerharmonisierung, EU-Hilfe für nationale Reformen, kurz: der Einstieg in eine Transferunion -, stünde quer zur Grundhaltung der niederländischen Regierung und der meisten Parteien. Sie lässt sich mit einem klaren Nein zu "mehr Europa" und zu "mehr Geld für Europa" zusammenfassen.

Diese Überzeugung scheint man in Den Haag nun offensiver als bisher formulieren zu wollen: "Die Niederlande können eine Erhöhung ihres Bruttobeitrags zum EU-Haushalt nicht akzeptieren", heißt es lapidar in einem Positionspapier zum mehrjährigen Finanzrahmen ab 2021. Und "seid vorsichtig, geht nicht zu weit", lautete auch die Botschaft, die Premierminister Mark Rutte am Montag seiner Kollegin Angela Merkel in Berlin überbrachte. Schließlich habe man "über die Jahre hin ein enges Verhältnis aufgebaut". Merkel betonte, beide Seiten hätten in Europa immer konstruktiv zusammengearbeitet.

Mit CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, der auch als Nein-Sager galt, konnte man in Den Haag leben, weil er im Zweifel auf die Regeln pochte, statt politischer Opportunität nachzugeben. Wie er hätten auch die Niederländer die Griechen nach 2012 lieber vor die Tür der Euro-Zone gesetzt, als immer wieder neues Geld nachzulegen. Statt vom "Spar-Falken" Schäuble werde Merkel nun aber von dem SPD-Mann Olaf Scholz flankiert, schreibt das NRC Handelsblad. "Es wäre nicht überraschend, wenn dieses Team eher geneigt wäre, EU-Ländern mit einer schwächeren Wirtschaft entgegenzukommen."

Diese Skepsis ist weit entfernt von der beißenden EU-Kritik, wie sie aus Ungarn oder Polen zu hören ist. Laut Umfragen sind die Niederländer weiterhin sehr pro-europäisch eingestellt und allein wegen ihrer starken Exportorientierung angewiesen auf die EU. Sie sehen sich aber als Mahner. In vielerlei Hinsicht - beim Euro, bei der Erweiterung und der Vertiefung der EU - entwickle sich die Union in eine Richtung, die stark von dem abweiche, was einmal vereinbart worden sei, sagt Adriaan Schout vom Haager Clingendael Institut. Aus Sicht der Niederlande werden die Regeln nur noch so befolgt, wie es in Berlin gerade passt. Oder vielmehr in Paris. Rutte solle lieber mit Macron sprechen, dem Merkel bloß hinterherlaufe, empfiehlt denn auch Syp Wynia, Kolumnist von Elsevier.

Wieder einmal hat sich auch Frits Bolkestein zu Wort gemeldet. Der liberale frühere EU-Kommissar hatte in den neunziger Jahren vehement vor Blauäugigkeit hinsichtlich der Gefahren einer Währungsunion gewarnt und damals vor allem den Beitritt Italiens verhindern wollen. Er sehe sich in seinen damaligen Warnungen bestätigt, schrieb Bolkestein in der Volkskrant. Spätestens mit der Finanzkrise sei in der Währungsunion jede Disziplin verloren gegangen: Es sei zu - eigentlich verbotenen - Bail-outs gekommen, und dank der Milliardeninterventionen der Europäischen Zentralbank könnten die Euro-Staaten immer höhere Schulden aufhäufen. "Der Geist des Vertrags von Maastricht wird mit Füßen getreten. Für die Niederlande ist das eine bittere Erfahrung."

Beim EU-Gipfel im Juni sollen "konkrete Entscheidungen" zur Zukunft der Währungsunion fallen

In den vergangenen Jahren hatte das Land wenigstens noch einen einflussreichen Posten in der Währungsunion inne. Als Präsident der Euro-Gruppe, des Gremiums der Euro-Finanzminister, hielt Jeroen Dijsselbloem das Geld zusammen. In der Euro- und Griechenland-Krise suchte der Finanzminister aus Den Haag stets den Schulterschluss mit Schäuble. Seit Januar hat die Eurogruppe aber nun in Mário Centeno einen Portugiesen zum Vorsitzenden. Zwar kein ausgewiesener "Griechen-Freund", doch wird er in Holland verdächtigt, als sozialdemokratischer Südeuropäer nachlässiger mit all jenen zu sein, die den Stabilitätspakt eher als Vorschlag denn als Vorschrift sehen.

Immerhin haben es die Niederländer geschafft, Centeno einer der Ihren an die Seite zu setzen. Mit Hans Vijlbrief folgte im Februar ein Niederländer auf den Österreicher Thomas Wieser als Chef der Euro-Arbeitsgruppe (Euro Working Group). Das einflussreiche Gremium bereitet die Sitzungen der Euro-Gruppe vor.

Schon beim EU-Gipfel im Juni sollen "konkrete Entscheidungen" zur Zukunft der Währungsunion fallen. Absehbar ist, dass der Euro-Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut wird, der künftig all jene Aufgaben übernimmt, die am Anfang die sogenannte Troika übernommen hatte. Eine weitere Entscheidung könnte zur Vollendung der Bankenunion fallen. Realistisch ist ein neuer Zeitplan sowie klare Bedingungen, die erfüllt sein müssen, bevor eine gesamteuropäische Einlagensicherung eingeführt werden kann. Diese Form der Vergemeischaftung sehen nämlich nicht nur die Niederländer ziemlich kritisch.

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