Europäische Union:Wie Macron schon jetzt die Koalitionsverhandlungen beeinflusst

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Hat sich der "Neugründung" der EU verschrieben und möchte diese zusammen mit einer neuen deutschen Regierung vorantreiben: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. (Foto: REUTERS)
  • Frankreichs Präsident will die Europäische Union "neugründen", zwei Tage nach der Bundestagswahl stellt er seine Reformvorschläge vor.
  • Macron will, dass sie in die deutschen Koalitionsverhandlungen einfließen.
  • In Berlin ist man dafür offen, will das Projekt aber erst Ende des Jahres angehen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Ministerialbeamte schreiben ihren Chefs gern unaufgefordert auf, was sie in Koalitionsverhandlungen durchzusetzen haben. In diesem Jahr liefert auch Deutschlands wichtigster Verbündeter in der EU eine Wunschliste ab. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat sich der, wie er selbst sagt, "Neugründung der Europäischen Union" verschrieben. Er will ein Europa, das seine Bürger schützt, und plant dazu weitreichende Reformen, die er am Dienstag vorstellen will. Das Datum, zwei Tage nach der Bundestagswahl, ist mit Bedacht gewählt. Die französischen Reformvorschläge sollen in die deutschen Koalitionsverhandlungen einfließen.

Die Reaktion im Berliner Regierungsviertel ist zwiegespalten. Das Kanzleramt findet zwar, dass eine deutsch-französische Initiative angesagt ist. Die Bereitschaft sei da, "es miteinander hinzukriegen". Nach deutscher Lesart des Kalenders ist dafür aber frühestens Ende des Jahres Zeit, wenn erstens die neue Bundesregierung gebildet ist und zweitens Präsident Macron zu Hause in Frankreich anstehende Reformen wie Rente und Bildung vorangetrieben hat. Ein Erfolg bei seinen schwierigen innenpolitischen Vorhaben würde der europäischen Agenda des Franzosen zusätzlich Schwung verleihen, ist Berlin überzeugt.

Ebenso überzeugt ist man in der deutschen Hauptstadt, dass die Reformvorschläge Macrons keine große Freude, aber eine Debatte auslösen werden. Im Bundesfinanzministerium liegt längst ein Plan, was aus deutscher Sicht wünschenswert ist und was nicht. Der bisherige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), im Nebenamt Europa-Chef der bisherigen Bundesregierung, hält ihn unter Verschluss. Wie und ob er vorgestellt werden wird, hängt von Schäubles politischer Zukunft ab.

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In Berlin will man sich vor allem Zeit für eine Debatte nehmen

Dass Schäubles Ideen mit denen des Franzosen deckungsgleich sind, gilt allerdings als ausgeschlossen. Das heißt aber nicht, dass es keine Gemeinsamkeiten geben kann. In durchaus nicht selbstverständlicher Einigkeit lassen Kanzleramt und Finanzministerium wissen, dass es zunächst eine Analyse braucht: Woran krankt die Euro-Zone, und woran liegt das? Danach ist zu überlegen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Malaise zu beheben. Wenn sie in Macrons Plänen stehen - umso besser.

Die deutsche Herangehensweise schließt einen eigenen Finanzminister für die Euro-Zone - wie ihn Macron fordert - keineswegs aus. Ebenso schließt sie keinen eigenen Geldtopf für Euro-Länder aus, Macrons zweite Idee. Angela Merkel hatte so etwas schon 2011 vorgeschlagen.

Damals wie heute galt: Ob Berlin den Daumen über die Vorschläge hebt oder senkt, hängt von der Antwort auf die Frage ab, was der Finanzminister zu tun bekommt. Ist er ein Frühstücksdirektor oder darf er Schuldtitel ausgeben und Haushaltspläne zurückweisen?

Ähnlich entscheidend ist die Frage, was mit einem Budget für die Euro-Länder finanziert werden soll. Warum sollen die Euro-Staaten drei bis vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in einen Topf geben, wenn damit wieder ärmere Euro-Staaten gefördert werden sollen, die ohnehin mehr Geld aus dem EU-Haushalt bekommen? Und was ist deren Gegenleistung?

Auch bei anderen Ideen gehen die Franzosen aus Sicht Berlins den zweiten Schritt vor dem ersten. Etwa bei der gemeinsamen Arbeitslosenversicherung für Euro-Staaten. Berlin lehnt es nicht grundsätzlich ab, darüber zu reden, weist aber darauf hin, dass zuerst das Arbeitsrecht in den Euro-Staaten angeglichen werden muss, bevor über das Arbeitslosengeld entschieden werden kann.

Schon vor Macrons Rede am Dienstag, die er in der Pariser Universität Sorbonne vor Studenten halten wird, zeichnet sich ab, dass es einen Vermittler zwischen Paris und Berlin brauchen wird. Als solcher hat sich vor einigen Tagen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ins Spiel gebracht. In seiner Rede zur Lage der Union baute Juncker erste Brücken, über die sich Merkel und Macron annähern könnten.

Viel Zeit haben Berlin und Paris nicht, sich auf einen Kompromiss zu einigen

Er bündelte die deutsche Forderung nach mehr Wettbewerbsfähigkeit mit dem französischen Wunsch eines Euro-Finanzministers und schuf daraus einen EU-Wirtschafts- und Finanzminister, der noch dazu die Gruppe der Euro-Finanzminister leitet. Einen ähnlichen Posten gibt es bereits - in der europäischen Außenpolitik. Die Außenbeauftragte Federica Mogherini dient der EU-Kommission und den nationalen Außenministern gleichermaßen. Sollten sich die Euro-Staaten darauf einigen, wären noch nicht einmal Vertragsänderungen nötig.

Auch das von Schäuble vorangetriebene Vorhaben, den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen, bedarf keiner EU-Vertragsänderung. Im Jahr 2010 gründeten die Euro-Staaten in aller Eile ihren eigenen Fonds, um von der Pleite bedrohte Staaten mit Krediten zu helfen. Im Laufe der Jahre übernahm der Fonds immer weitere Aufgaben. Er besitzt beste Kreditwürdigkeit. Schäuble lässt nun prüfen, ob der Fonds genutzt werden kann, um Staaten bei Reformen zu unterstützen.

Frankreich steht der Idee durchaus aufgeschlossen gegenüber. Wie weit, das wird sich am Dienstag bei Macrons Rede zeigen. Viel Zeit haben Berlin und Paris nicht, sich auf einen Kompromiss zu einigen und die Partner zu überzeugen. Steht die neue Bundesregierung erst Ende des Jahres, bleiben maximal zwei, drei Monate. Im Mai 2018 wird in Rom ein neues Parlament gewählt. Wird bis dahin über den Euro gestritten, spielt das den Gegnern der Währung in Italien in die Hände.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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