Europäische Union:Von wegen Binnenmarkt

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Eine Säule der EU ist eigentlich der unkomplizierte Austausch von Waren und Dienstleistungen. Doch das grenzüber­schreitende Geschäftemachen ist komplizierter als gedacht.

Von Björn Finke, Brüssel

Der gemeinsame Binnenmarkt ist das Herzstück der EU: Unternehmen sollen in anderen Mitgliedstaaten so einfach Geschäfte machen oder investieren können wie in der Heimat, Bürger sollen überall arbeiten dürfen. So weit die Theorie. Doch in der Praxis stoßen Firmen regelmäßig auf Hindernisse. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bei seinen Mitgliedskammern in der Bundesrepublik sowie bei den Auslandshandelskammern in EU-Staaten. Der DIHK stellte die Ergebnisse am Freitag in Brüssel vor.

DIHK-Chefjurist Stephan Wernicke sagt, er sei "überrascht, wie viele Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden Handel und vor allem bei den Dienstleistungen bestehen". In manchen Bereichen seien die Hindernisse über die vergangenen Jahre sogar eher größer als kleiner geworden. Die Umfrage lieferte einige Beispiele. So müssen Bauarbeiter in Belgien einen besonderen Ausweis bei sich tragen. Baufirmen aus dem Ausland, die dort tätig sein wollen, können diesen zwar beantragen, aber die zuständige Behörde verschickt das wichtige Dokument nur innerhalb Belgiens - ein Ärgernis. In Griechenland wiederum muss ein Unternehmen im Durchschnitt 55 Tage warten, bis ein einfacher Stromanschluss freigeschaltet ist.

Ein Problem ist auch, dass Behörden im Ausland Informationen und Formulare oft nur in der Heimatsprache zur Verfügung stellen und nicht auch in Englisch oder Französisch. Tätigt ein Betrieb nur selten Geschäfte in einem bestimmten Land, lohnt es sich dann kaum, einen Übersetzer oder sprachkundigen Anwalt zu beauftragen. Viele Schwierigkeiten bereitet außerdem die Anerkennung von Berufsabschlüssen. Zudem sind nicht in jedem Staat die Gerichte effizient und vertrauenswürdig. "Wenn Sie in Italien jemanden verklagen, weil er Ihnen 20 000 Euro schuldet, dauert das Verfahren fünf bis sieben Jahre", sagt DIHK-Jurist Wernicke. In anderen Ländern gebe es Klagen über Korruption in der Justiz.

Der Lobbyist ist deshalb äußerst unglücklich über das Auslaufen der Investitionsschutz-Abkommen zwischen EU-Staaten. Solche Verträge bieten Unternehmen besseren Schutz, wenn sie zum Beispiel im Ausland einen Betrieb aufbauen und dieses Investment durch Aktionen der Behörden gefährdet ist. Die Mitgliedstaaten kündigen die Abkommen auf Wunsch der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde argumentiert, EU-Regeln garantierten ausreichend Schutz; besondere Staatsverträge hätten im Binnenmarkt nichts verloren. Wernicke fordert hingegen, die Verträge müssten durch neue, bessere Regeln ersetzt werden.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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