Europawahl:Was die EU tun muss, um wieder geliebt zu werden

EU-Flagge auf einer Demonstration für Europa in Leipzig

In Europa dominiert das Marktwirtschaftliche. Aber spätestens mit der Digitalisierung wird sich das ändern.

(Foto: dpa)

Für viele Menschen gleicht die EU einer anonymen Gesetzesmaschine. Sie wünschen sich ein sozialeres Europa. Was für ein starkes Symbol wäre ein europaweiter Mindestlohn!

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die Umfragen zur Europawahl beunruhigen. Seit Längerem legen auf dem Kontinent Parteien zu, die jeden weiteren Fortschritt der Union stoppen wollen. Ebenso rechtspopulistische EU-Gegner, denen die FPÖ-Affäre womöglich nur in Österreich schadet. Beiden - Bremsern wie Gegnern - erleichtern nicht nur Sonderthemen wie Asyl das Handwerk, sondern vor allem, dass die EU so ein technokratisches Image hat.

Die Union gilt einer Menge Menschen als anonyme Gesetzesmaschine, Hort übergriffiger Bürokraten oder Subventionsschleuder. Was dagegen viele Bürger heute von der Politik erwarten, nämlich Schutz in einer globalisierten Welt, liefert Brüssel in den Augen der meisten kaum. Diese Meinung mag verkürzt sein, in Teilen ungerecht, aber sie ist tief verankert. Die etablierten Parteien sollten deshalb ein konsequent soziales Europa schaffen, wenn sie ihre gestaltende Mehrheit gegen die Brüssel-Gegner halten möchten.

Dass die EU heute nur wenigen das Herz wärmt, liegt an ihrer Entwicklung. Der Zweite Weltkrieg ist zu lange her, als dass Zeitgenossen den Staatenklub wirklich als Friedensbringer empfänden. Stattdessen prägte er sich als Regelsetzer für Butterberge und Glühbirnen ein. Der gemeinsame Markt produziert zwar zuverlässig Wohlstand für alle und löst damit die größten sozialen Probleme, aber ihm fehlt die Anschaulichkeit. "Kein Mensch verliebt sich in einen Binnenmarkt", wusste der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors schon vor 30 Jahren.

Die Dominanz des marktwirtschaftlichen Agierens hinterlässt eine Lücke. Die Europäer spüren, dass ihr Leben rauer geworden ist. Seit sie mit Chinesen und Robotern konkurrieren, werden Jobs unsicherer und Löhne stagnieren. Viele Bürger wünschen sich Europa als Bollwerk gegen den kälteren Kapitalismus angelsächsischen oder asiatischen Typs. Natürlich ist es komplex, die Bürger besser abzusichern, ohne die marktwirtschaftliche Basis des Wohlstands zu gefährden. Die Parteien sollten es trotzdem ernsthaft versuchen, denn mehr und mehr Wähler wenden sich gegen das herkömmliche Elitenprojekt Technokraten-Europa.

Vor der Wahl an diesem Sonntag lässt sich tatsächlich beobachten, dass die etablierten Parteien auf einmal ein soziales Europa versprechen. Das Adjektiv findet sich auf Plakaten der Grünen, von SPD oder CSU. Bei den Konservativen handelt es sich jedoch um den Versuch, ohne Substanz Stimmen zu fangen. Und bei den anderen um ein Versprechen, für das erst rechtliche Grundlagen geschaffen werden müssen. Der EU fehlen Kompetenzen für entsprechende Gesetze. Arbeitsmarkt oder Rente blieben nationale Domänen. Daran müsste sich etwas ändern, wenn Europa ein soziales Gesicht bekommen soll.

Was für ein starkes Symbol für die Bürger wäre ein europaweiter Mindestlohn! Firmen könnten weniger leicht Arbeitnehmer in Bamberg gegen solche in Bari oder Bukarest ausspielen. Ähnlich demonstrativ wäre ein Mindeststeuersatz für Firmen, damit die Regierungen ihre Einnahmen (und damit ihre Sozialbudgets) nicht mehr gegenseitig herunterkonkurrieren. Oder wie wäre es mit einem europäischen Fonds, der in Aktien und Immobilien investiert, um die Renten auf dem alternden Kontinent aufzubessern?

Deutschland sollte sich einen Ruck geben, in eine menschlichere EU zu investieren

Sicher: Mehr sozialer Schutz ist nur sinnvoll und bezahlbar, wenn er klug gestaltet wird. Ein Mindestlohn müsste die unterschiedlichen Lebensverhältnisse berücksichtigen. Ein Einheitsbetrag wäre für Griechenland zu hoch und für die Niederlande zu niedrig. Stattdessen sollte der Mindestlohn etwa bei 60 Prozent des mittleren Lohns in einem Land liegen.

Es darf auch keine Anreize für Regierungen geben, nationale Sozialkassen zu plündern, weil man auf Hilfe aus Brüssel hofft. Aber solche Fragen lassen sich regeln, beispielsweise indem es keine gemeinsame EU-Arbeitslosenversicherung gibt, aber einen Notfallfonds. Der könnte verhindern, dass ein Land in der Wirtschaftskrise soziale Hilfen kürzen muss und so die Konjunktur weiter abwürgt.

Es gibt bei Mitte-Links-Parteien durchaus Vorschläge, Kompetenzen nach Brüssel zu verlagern, um solche Initiativen zu ermöglichen. Doch dafür zeichnen sich keinerlei Mehrheiten ab, weil Liberale und Konservative grundsätzlich dagegen sind. Diese Haltung ist kurzsichtig. Gerade reiche Staaten wie Deutschland sollten sich einen Ruck geben, in eine menschlichere EU zu investieren, die Bürger unter anderem auch von der Europawahl überzeugt. Wenn die Brüssel-Gegner so stark werden, dass sie jeden Fortschritt in der Union lähmen, verlieren die größten wirtschaftlichen Profiteure am meisten.

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