Europäische Spar- und Reformpolitik:Fiskalunion - Einer für alle, alle für einen

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Erfahrene Politiker erkennt man daran, dass ihre Sätze absolut klingen, sie sich aber stets ein Hintertürchen offen lassen. Wolfgang Schäuble beherrscht diese Kunst wie sonst keiner. Er sagt "Nein" zu Euro-Bonds, gemeinsamen Staatsanleihen der Euro-Länder, auf die vor allem die krisengeplagten Nationen so sehr hoffen. Damit würden ökonomisch schwere Fehler gemacht. Und schiebt dann nach: "Wer mehr europäische Haftung will, muss mehr europäische Zuständigkeit wollen." Damit bleibt er beim "Nein" - solange die Mitglieder der Währungsunion eine eigenständige Finanzpolitik verfolgen.

In Zukunft aber ist alles möglich, was heute noch nicht vorstellbar ist: eine europäische Finanzpolitik aus einem Guss. Große Veränderungen kündigen sich oft leise an. Und eine echte Fiskalunion wäre ein solch großer Wurf, von dem sich nicht wenige Politiker und Ökonomen einen Ausweg aus der Schuldenkrise versprechen. Nur wird das nicht mit einem Paukenschlag verkündet - das Wahlvolk wird sachte darauf vorbereitet.

Wer der Bundeskanzlerin in den vergangenen Tagen aufmerksam zugehört hat, vernahm auch ungewohnte Töne. Angela Merkel, der die Welt T-Shirts mit dem Spruch "No we can't" verdankt, sagte im ARD-"Morgenmagazin" Anfang Juni: "Wir brauchen nicht nur eine Währungsunion, sondern wir brauchen eine sogenannte Fiskalunion, also mehr gemeinsame Haushaltspolitik."

Verzicht auf Souveränität

In einer solchen Union würden die Euro-Mitglieder weitgehend auf ihre haushaltspolitische Souveränität verzichten. Ob Steuern, Subventionen, Sozialabgaben oder neue Schulden - vieles müsste von Brüssel genehmigt werden. Im Gegenzug würde die Schuldenaufnahme vergemeinschaftet. Es gäbe - in der radikalsten Variante - also keine deutschen, spanischen oder italienischen Anleihen mehr, sondern europäische.

Für angegriffene Staaten würden die Zinsen sinken, solide Staaten wie Deutschland müssten dagegen mehr zahlen. Spanien bekäme wieder zu erträglichen Konditionen Geld und wäre nicht wie Griechenland, Portugal oder Irland auf den Rettungsfonds angewiesen. Für Deutschland würde das Schuldenmachen aber teurer. Das Prinzip Fiskalunion heißt also: Rettung gegen Reformen, Hilfe und Härte. So könnte die Schuldenkrise auf einen Schlag beendet werden; den Euro-Mitgliedern würden aber tiefgreifende Veränderungen abverlangt.

Ökonomisch gedacht geht es darum, unbedingte Haushaltsdisziplin zu verankern und die finanziellen Kräfte zu bündeln. Die Nationalstaaten müssten dazu wesentliche Teile ihrer Souveränität an eine europäische Institution abgeben, die ihre Haushalte überwacht, beispielsweise eine Runde der Euro-Finanzminister. Frei verfügen könnten die Regierungen dann nur noch über Finanzmittel, die durch eigene Einnahmen gedeckt sind. Wer mehr Geld ausgibt, als er einnimmt, muss seine Wünsche prüfen lassen. Die Runde der Euro-Haushälter entscheidet dann, ob und in welcher Höhe neue Euro-Anleihen ausgegeben werden, um diese Defizite zu finanzieren.

Eine Fiskalunion erfordert eine politische Einheit

Unabdingbar ist, dass dieser mächtige Zirkel demokratisch legitimiert und von den Parlamenten kontrolliert wird. Spätestens an dieser Stelle wird klar: Eine Fiskalunion ohne politische Union ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wer einen europäischen Fiskalpakt schaffen will inklusive gemeinsamer Verantwortung für die Schulden der Euro-Länder, muss eine demokratische Regierung der Union schaffen, also eine echte föderale politische Gemeinschaft. Überall in Europa müssten die nationalen Verfassungen geändert werden, vielerorts müsste das Volk dazu befragt werden.

Der Vorstellungskraft sind keine Grenzen gesetzt, wie eine Fiskalunion im Detail gestaltet werden soll - das gilt sowohl für eine effektive Kontrolle der Budgets in Brüssel als auch für die Vergemeinschaftung der Schulden. Politiker und Wissenschaftler haben Dutzende von Vorschlägen dazu gemacht. Die meisten sehen eine gemeinsame Haftung zumindest für einen Teil der Altschulden und/oder neu herauszugebender Anleihen vor; oftmals wird auch ein bestimmter Teil der Steuereinnahmen dem Tilgen von Schulden und Zahlen von Zinsen gewidmet. Das Spektrum reicht von Euro-Bonds über den Schuldentilgungsfonds der deutschen Wirtschaftsweisen bis hin zu Light-Varianten europäischer Anleihen.

Vorbild Deutschland

Wie auch immer sie aussehen, eins haben sie gemeinsam: Deutschland müsste bereit sein, einen Teil seiner finanzpolitischen Glaubwürdigkeit und Zahlungskraft dem Euro-Klub zu leihen. Die Steuerzahler würden weitere Risiken für andere Staaten übernehmen. Als Gegenleistung müssten sich die Regierungen im Süden auf deutsche Tugenden in der Spar- und Reformpolitik verpflichten und einwilligen, dass ihre Haushalte in Brüssel überwacht - und notfalls auch von dort gelenkt werden.

Die Bundesregierung, obwohl grundsätzlich zum Tabubruch bereit, zögert, riesige Summen zu riskieren. Sie ist - ebenso wie die Bundesbank - von der Angst geplagt, dass Tilgungsfonds oder Euro-Bonds eine "Haftung ohne Kontrolle" bedeuten, dass die widerwilligen Reform- und Sparbemühungen erschlaffen, sobald es noch mehr Geld gibt. Sie beharrt zu Recht darauf, neue Mittel nur gegen Mitsprache zu bewilligen. Deshalb ist bei der Einführung einer Fiskalunion die Reihenfolge der Schritte wichtig: Erst müssen die Staaten auf Souveränität verzichten, dann kann es Gemeinschaftsbonds geben. Viele Südländer wollen es andersherum machen. Das deutsche "Nein" steht. Vorerst.

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